Ausstellung Henri Matisse und Gegenwartskünstler im Gespräch, IOCO

Ausstellung Henri Matisse und Gegenwartskünstler im Gespräch, IOCO
Das Musée d'Art moderne de Collioure © Musée

Anregende Ausstellung „Back to Matisse“ in Collioure

COLLIOURE: Eine der schönsten des an schönen Städten reichen Roussillon, der im Süden Frankreichs am Mittelmeer gelegenen und an Spanien grenzenden Region, ist Collioure. An dessen südlichem Rand liegt das kleine „Musée d'Art moderne de Collioure“ in der „Villa Pams“ auf einem der ihren Fuß im Mittelmeer badenden Ausläufer der Pyrenäen. Sie blickt hinunter auf die Stadt mit ihrer Vauban-Festung und dem malerischen Hafen, den in Bildern zu verewigen von Henri Matisse, André Derain und Paul Signac bis hin zu Pablo Picasso kaum ein Maler der Moderne ausgelassen hat. Der um 1880 herum errichtete, schlossartige Bau mit seiner katalanischer Schmiedearbeit und Keramik passt perfekt in die Landschaft.

1985 wurde das Museum mit dem anspruchsvoll klingenden Namen  in der „Villa Pams“ eröffnet und erinnert immer wieder an den Ruf Collioures als Künstlerstadt, der Anfang des letzten Jahrhunderts von Henri Matisse (1869 - 1954) begründet wurde. Matisse lebte von 1905 bis 1906 in Collioure und malte mit André Derain, begeistert vom Licht dieses damals noch kleinen Fischerstädtchens, die Bilder mit starken Farbkontrasten und flächiger Darstellung, die den Ruf der Gruppe der „Fauves“, der Wilden, begründeten.

Delphine Dénéréaz gestaltet eine „Petite chapelle des fleurs“ Foto: Anne Engelhardt

Hundertzwanzig Jahre nach Matisses Aufenthalt in Collioure hat Museumsdirektorin Claire Muchir die Sommerausstellung dieses Jahres „Back to Matisse“ im „Musée d'Art moderne de Collioure“ kuratiert. Dazu hat sie dreizehn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler animiert, den Dialog mit dem fauvistischen Altmeister Matisse aufzunehmen; das Plakat von Benoit Bonnemaison-Fitte  zur Ausstellung spielt direkt auf die „Fauves“ an: darauf heben sich  aus einer pastosen Farb-Masse aus Orange, Blau und Grün deutlich „Bestien“ heraus. Weitere Farben Matisses kehren auch in den pink, hellegrün und dunkelviolett gestrichenen Museumswänden wieder, als sollten die den Meister ehrenden Exponate von seinem Geist umarmt werden.

Die eingeladenen sieben Künstlerinnen und sechs Künstler nähern sich auf ihren je persönlichen, durchaus verschiedenen Wegen, mal in farblicher, mal figürlicher Nähe oder in kleiner oder größerer Distanz, bestimmten Motiven Matisses. Dankenswerter Weise ist das Werk Matisses, auf das sich die oft unmittelbar für die Ausstellung geschaffenen Exponate beziehen, tellergroß neben ihnen angebracht, so dass die Bezüge für die Betrachter nachvollziehbar werden.

Nicolas Cussac antwortet auf Matisses „Les poissons rouges“ Foto: Anne Engelhardt
Nicolas Cussac antwortet auf Matisses „Les poissons rouges“ Foto: Anne Engelhardt

Das ist nicht durchgängig der Fall: Ein Vorhang von Adrien Vescovi, der die Museumsbesucher begrüßt, wenn sie die katalanisch gewendelte Treppe zur Ausstellung im ersten Stock hinaufsteigen, ist eine sehr abstrakte Hommage an die Liebe Matisses zu Textilien. Und im ersten Saal nimmt eine „Petite chapelle des fleurs“ von Delphine Dénéréaz eine ganze Wand ein, auf der ein weißes Drahtgitter dicht mit floralen Applikationen in matten Farben nett bestückt ist.

Das direkte Gespräch mit dem Werk von Matisse „Le bonheur de vivre“ von 1905/06 nimmt Enna Chaton auf mehreren Bildern kritisch auf. Sie bedient sich zwar der Farben aus Matisses paradiesischem Hymnus an das Leben. Aber ihre Welt ist 120 Jahre nach Matisse gebirgig und kahl, von nur einzelnen nackten, kriegerisch mit Speeren bewaffneten Menschen belebt; nirgends mehr Glück. Ähnlich düster sieht Abel Burger die Welt von heute. In nahezu ägyptischer Hieroglyphen-Sprache beschwört er in „Dans le sombre de nos jours“ die Schrecken, die sich in den Schatten des Lebensglücks verbergen: Wölfe, maskierte Delphine und scheuende, kopflose Pferde. Da ist die Umkehr von Matisses, „La fenetre ouverte“ von 1905 durch Barbara Nascimbeni schon harmloser, wenn sie zeigt, was in dem Zimmer ist, aus dessen Fenster der Maler auf die Fischerboote im Hafen von Collioure hinausblickt.

In einem schmalen Flur hat Nicolas Cussac einen tierfreundlich-kritischen Blick auf Matisses „Les poissons rouges“ von 1912 geworfen. Die Goldfische, die Matisse in einer wirklich lebensfeindlich engen Rundvase malt, lässt er auf seinem Bild befreit in einem geräumigeren Gewässer davonschwimmen. „Sein Meer“ stellt Cussac in einer Vitrine auf vielen postkartengroßen Skizzen aus. Wenn er mit Bildern, die aus einzelnen Großbuchstaben „LA MER M' EMOUVANTE“ formen, die allerdings gegen die Laufrichtung gehängt sind, kann man das durchaus als Kritik daran verstehen, dass aus Matisses kleinem Fischerdörfchen mit einzigartigem Licht ein Ort für auf  Badefreuden am Meer ausgerichtete Touristen geworden ist. Damit nähme er das Thema der letztjährigen Sommerausstellung "Plein soleil. Collioure 1945 – 1985" wieder auf. (Einpflegen https://www.ioco.de/collioure-museum-von-collioure-uber-eine-kunstler-stadt-ioco-essay/).

In einem weiteren Raum spielt Muriel Vallat-B. mit Matisses Vorliebe für Fenster. Allerdings sind die ihren verhängt und spotten mit ihrem Titel „Conversation“ vielleicht sogar der ganzen Gesprächs-Idee der Ausstellung. Direkte, zur Appropriation weitergetriebene Konversation mit Matisse auf der Ebene des Materials bestreiten Alice Guittard und Franck Gabarrou. Alice Guittard stellt der Leichtigkeit des „Intérieur au violon“ Matisses von 1918, das ein halb geöffnetes, halb von einem Schlagladen mit Lamellen gegen Sonnenlicht geschütztes Fenster zeigt, die Schwere des penibel in Marmor nachgebauten Fensters gegenüber. Franck Gabarrou füllt in einem Seitengang eine Vitrine mit all den Blumen aus Matisses „Vase de fleurs“ von 1917, die allerdings bezaubernd handgestickt sind.

Enna Chaton antwortet auf Matisses „Le bonheur de vivre“ Foto: Anne Engelhardt
Enna Chaton antwortet auf Matisses „Le bonheur de vivre“ Foto: Anne Engelhardt

Den letzten Raum der Ausstellung bespielt Didiert Béquillard mit amorphen Elementen, die er von Matisses floral dekorativer, nichts erzählender Gouache „La gerbe“ von 1953 entlehnt. Als Bilder und als Plastiken im Raum verteilt bauen sie überraschend eine Brücke von Matisse zur Pop-Art.

Die das eigene Gespräch mit Matisse anregende Ausstellung „Back to Matisse“ im „Musée d'Art moderne de Collioure“ ist noch bis zum 28. September zu besichtigen. Für die Besucher stehen Erläuterungen zu den Exponaten in Französisch, Katalanisch, Englisch und Deutsch zur Verfügung. Auch der schöne Garten der Villa Pams, in dem Claire Lindner die kleine Sonderausstellung „Au board des flots mouvants“ zeigt, ist unbedingt einen Besuch wert.

 

Öffnungszeiten: Täglich von 10 – 12 und 14 – 16 Uhr.

Eintritt 3 €, reduziert 2€ . Für Kinder bis 12 Jahre und Behinderte ist der Eintritt frei.

Adresse: Villa Pams, 4 route de Port-Vendres, 661190 Collioure

Kontakt: contact@museecollioure.com

Telefon: +33 (04) 30440546

Read more