Bad Kissingen, Kissinger Sommer, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, IOCO Kritik, 18.07.2022

Bad Kissingen, Kissinger Sommer, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, IOCO Kritik, 18.07.2022
Regent Bau in Bad Kissingen © Daniel Karmann
Regent Bau in Bad Kissingen © Daniel Karmann

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen - Ruth Reinhardt

- Die „Bremer“ - mit Strawinsky, Brahms, Schumann in einem Gastkonzert -

von Thomas Thielemann

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen war im Zeitraum  von 2017 bis 2021, meistens mit den Dirigaten von Paavo Järvi, das Residenzorchester des Festivals Kissinger Sommer. Inzwischen hat sich einiges geändert: das Festival hat mit Alexander Steinbeis einen neuen Intendanten, es gibt einen Besuchershuttle mit Würzburg bzw. Fulda und man trifft sich wieder nach den Konzerten zur Lounge im Schmuckhof. Vor Allem, die wichtigsten Veranstaltungen werden seit diesem Jahr gestreamt und stehen für neunzig Tage im Internet abrufbar zur Verfügung.

Fast erwartungsgemäß waren die Konzertveranstaltungen nicht vollständig ausgebucht. Man ist aber mit den Konzertbuchungen nicht unzufrieden. Da die Gastronomie im Umfeld des Regent Baus komplett versagte, hatten die Veranstalter in den Räumen eine hervorragende Vor-Konzert- und Pausenversorgung organisiert. Ansonsten macht der Kissinger Badebetrieb im Jahre 2022 einen etwas „zurückgebauten“ Eindruck.

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen © Julia Baier
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen © Julia Baier

In der Saison 2022 des Kissinger Sommer waren die „Bremer“ nur mit einem Konzert im Festivalprogramm mit der Gastdirigentin Ruth Reinhardt und dem Pianisten Daniil Trifonov vertreten. Auf dem Programm standen Kompositionen der Kernkompetenz des hochinteressanten Klangkörpers, nämlich von Igor Strawinsky (1882-1971), Johannes Brahms (1833-1897) und Robert Schumann (1810-1856).

Kaum funktionierten nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die Postverbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten wieder, erreichte Igor Strawinsky ein Brief des Schweizer Dirigenten Paul Sacher (1906-1999) mit der Bitte, zur Feier des 20-jährigen Bestehens seines „Basler Kammerorchesters“ ein Streicherstück von der Dauer von 10 bis 12 Minuten „wie etwa bei Bachs Brandenburgischen Konzerten“ zu komponieren.

Ende August 1946 lieferte Strawinsky sein dreisätziges nach der Art des barocken Concerto geschriebenes „Concerto in D für Streichorchester“ ohne jede Erläuterung. In einem Begleitbrief bedauerte Strawinsky seine Zeitnot und meinte lakonisch: dass das Werk für Streichorchester geschrieben, wird man sehen, dass es dreisätzig ist, wird im Programm zu lesen sein und, dass es nicht im geringsten atonal ist, werden die Hörer zu ihrem Vergnügen selbst herausfinden.

Ruth Reinhardt © Meyerson-ricostudios
Ruth Reinhardt © Meyerson-ricostudios

Das brillant-witzig dargebotene, auch als Basler bezeichnete Stück, erwies sich als raffiniert-unterhaltsamer Auftakt des Konzertes. Ruth Reinhardt versprühte vom Beginn an viel Energie, um das Orchester anzutreiben. Die Streicher der Kammerphilharmonie hatten sichtlich Spaß, mit ihr die Tiefen dieses etwas sperrigen Kondensats aus Rhythmus, Raffinesse und Farbe darzubieten. Besonders die Bratschistin Friederike Latzko half, die Wirkung des delikat leichtgewichtigen Gebildes von Strawinskys Schwelle zum Expressiven zu sichern, was von den Besuchern stürmisch quittiert worden war.

Interessant bleibt die Person des Auftraggebers der Komposition: Paul Sacher, aus bescheidenen Verhältnissen stammend, war er durch Heirat mit der Witwe des Gründer-Sohnes der Firma „Hoffmann-La RocheMaja Sacher-Stehlin (1896-1989) zum Nutzer eines gewaltigen Aktienpaketes geworden. Mit seinem auf 25 Milliarden geschätztem Vermögen hatte sich das Paar mit einer breiten unkonventionellen mäzenischen Tätigkeit mit Kompositionsaufträgen, Bilderankäufen sowie Museumsgründungen betätigt und einen breiten internationalen Musiker-Freundeskreis erschlossen.

So gilt heute, im Zeitalter des zunehmend aggressiven privatwirtschaftlichen Sponsorings, der zu seinen Lebzeiten diskret agierende Konzernmanager, Dirigent und Mäzen Paul Sacher als der "letzte Patriarch".

Das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms gilt weniger der technischen Schwierigkeiten der Komposition wegen für Pianisten problematisch. Bedingt, ob der komplexen interpretatorischen Entscheidungsmöglichkeiten einer Gestaltung des Soloparts wegen, sei das Konzert der Prüfstein für die künstlerische Reife eines Solisten.

Brahms komponierte sein 1. Konzert für Klavier und Orchester d-Moll op. 15 im Alter von gerade 23 Jahren. Den etwas schwierigen Weg der Entstehung, Brahms wollte ursprünglich eine Symphonie schreiben, kann man deshalb insbesondere in dem Kopfsatz nachempfinden. Ruth Reinhardt musste zunächst mit dem Orchester Schwerarbeit leisten, um dem Solisten eine ordentliche Vorgabe anzubieten zu können.

Daniil Trifonov © Dario Acosta
Daniil Trifonov © Dario Acosta

Daniil Trifonov, den wir als Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Saison 2016/2017 noch ungestüm in Mozart-Klavierkonzerten und introvertiert mit einem Klavierrezital erleben konnten, zeigte sich inzwischen gereifter und bewegte sich unaufgeregt durch die wechselnden Stimmungen des Kopfsatzes. Mit emotionaler Direktheit stellte er lyrische Passagen den flexiblen Ausbrüchen gegenüber. Nur gelegentlich betonte er die Dramatik der Komposition und spielte insgesamt etwas langsamer als gewohnt.

Das Adagio bot Trifonov in einer üppigen Stimmung und vermittelte reichhaltige, gefühlvolle Sensibilität. Das Finale interpretierte er turbulent, fast respektlos und mit perfektem Ansturm bis zum Schluss. Mit ihrem Dirigat sicherte die gebürtigen Saarländerin Ruth Reinhardt, dass die Deutschen Kammerphilharmoniker dem Solisten immer einen anspruchsvollen Gegenpart liefern konnten.

Frenetische Ovationen veranlassten Trifonov zur Zugabe: Johann Sebastian Bachs BWV 147 „Jesus bleibe meine Freude“.

Mit einer klaren und präzisen Interpretation der 3. Symphonie, der „Rheinischen“, betonte Ruth Reinhardt im zweiten Konzert-Teil den Detailreichtum des Schumann´schen Werkes. Gezügelte Lautstärke begrenzte den überschwänglichen Charakter des Eingangs-Themas und setzte mit verstärktem Bläsereinsatz die interessanten Akzente im ersten Satz. Mit dem Scherzo betonte die Dirigentin effektvoll die Vielstimmigkeit der Bremer Streicher-Stimmen und ließ mit den Celli das Thema schön ausarbeiten.

Empfindsam, von vorsichtigen Streichern gespielt und einem gekonnten Klarinetten-Solo getragen, gestaltete Ruth Reinhardt den dritten Satz zum gefühlvollen Mittelteil der Symphonie.

Die Interpretation des mit „Feierlich“ überschriebenen vierten Satz betonte, in erster Linie von den Hörnern und Posaunen der „Bremer“ bestimmt, seinen sakralen Ansatz. Dennoch gelang es einen effektvollen Spannungsbogen zu einem heiteren, fast ausgelassenem Finale zu schlagen.

Die Konzertbesucher waren begeistert und dankten mit stürmischen Ovationen und erhielten die eingeforderte Zugabe.

---| IOCO Kritik Kissinger Sommer |---