Never Such Innocence English Song - CD, Benjamin Hewat-Craw, Yuhao Guo, IOCO CD Rezension, 06.06.2022

Never Such Innocence English Song - CD, Benjamin Hewat-Craw, Yuhao Guo, IOCO CD Rezension, 06.06.2022
CD - Never Such Innocence English Song - CD
CD - Never Such Innocence English Song - CD

Never Such Innocence English Song - CD

- The Lads that will die in their Glory and never be old -

von Marcus Haimerl

Ralph Vaughan Williams, hier um 1900 © Wikimedia Commons
Ralph Vaughan Williams, hier um 1900 © Wikimedia Commons

Den 150. Geburtstag von Ralph Vaughan Williams (* 12. Oktober 1872 in Down Ampney, Gloucestershire; † 26. August 1958 in London) nahmen Bariton Benjamin Hewat-Craw und Pianist Yuhao Guo zum Anlass, Lieder des britischen Komponisten vorzustellen, die in den Jahren zwischen 1904 und 1914 entstanden sind. Mit den beiden anderen auf der CD vertretenen, vielleicht weniger bekannten Komponisten George Sainton Kaye Butterworth (* 12. Juli 1885 in London; † 5. August 1916 bei Pozières, Somme) und Ivor Bertie Gurney (* 28. August 1890 in Gloucester; † 26. Dezember 1937 in Dartford, Kent) hat Ralph Vaughan Williams eine Gemeinsamkeit: sie kämpften alle drei im Ersten Weltkrieg. Für zwei von ihnen bedeutete der Weltkrieg ein jähes Ende. Butterworth fiel 1916 bei der Schlacht an der Somme, Gurney litt nach seinem Militärdienst an Kriegstraumata und verbrachte die letzten 15 Jahre seines Lebens in der Psychiatrie.

Die vorliegende Einspielung kann man als einen Blick auf die britische Periode des Fin de Siècle verstehen, die durch den ersten Weltkrieg abrupt endete. Die Kombination von Liedern aus der Kriegszeit gewährt einen Einblick in die Seele der Jugend der Zeit und des englischen Liedes der Epoche. Die Trauer über den Verlust der Unschuld angesichts der kommenden Kriegsgräuel schwingt in den Liedern in ahnender Voraussicht bereits mit, doch bleibt die Lebensfreude dabei nicht aus.

Am 2. Dezember 1904 hatte Ralph Vaughan Williams Liederzyklus The House of Life (Das Haus des Lebens) nach sechs Sonetten von Dante Gabriel Rossetti (12. Mai 1828 in London; † 9. April 1882 in Birchington-on-Sea, Kent) Premiere in der Bechstein Hall, London (heute Wigmore Hall).

Ralph Vaughan Williams hegte eine große Liebe für die menschliche Stimme. Er schrieb die menschliche Stimme sei das älteste und großartigste aller Instrumente und könne zum Medium der besten und tiefsten menschlichen Emotion gemacht werden. Laut seiner zweiten Ehefrau Ursula hatte er eine große Affinität zu den Dichtungen von Rossetti. Die Lieder dieses spannenden Zyklus sind Experimente, Ausdruck von Vaughan Williams Suche nach seiner idealen Kompositionssprache.

George Butterworth ist auf Grund seines kurzen Lebens, er starb 31-jährig in der Schlacht an der Somme, außerhalb Großbritanniens kaum bekannt. Am Beginn seiner Karriere stehend, hinterließ er wenige vollständige Kompositionen und zerstörte viele seiner eigenen Werke, da er keine unbearbeiteten Stücke hinterlassen wollte, sollte er aus dem Krieg nicht zurückkehren.

Butterworths Interesse an britischer Volksmusik und dem Volkstanz hat seine Kompositionen stark beeinflusst. Aufgrund des starken englischen Hintergrunds vertonte er die Dichtungen von Alfred Edward Housman (* 26. März 1859 in Fockbury, Grafschaft Worcestershire; † 30. April 1936 in Cambridge) zu dem Zyklus Six Songs of a Shropshire Lad. Der Zyklus wurde 1911 komponiert und hatte im Mai desselben Jahres seine Uraufführung in Oxford. Bei der Premiere in London kam es zu gemischten Reaktionen. Einerseits wurde eine Wiederholung des Liedes The lads in their hundreds verlangt, andererseits schrieb ein Kritiker, Butterworth würde seinen eigenen kompositorischen Instinkten nicht trauen und versuchen, Anstrengung durch Inspiration zu ersetzen. Auch - oder vielleicht gerade weil - die Komposition möglicherweise zu radikal für die Zeit ihrer Entstehung war, hat sich dieser Zyklus als Klassiker des englischen Liedrepertoires etabliert.

Ivor Bertie Gurney wuchs in der Stadt Gloucester auf und sang im Knabenchor der Gloucester Cathedral. Am Royal College of Music in London studierte er, genau wie Vaughan Williams, bei Charles Villiers Stanford. Gurney litt seit seiner frühen Erwachsenenzeit wahrscheinlich an einer in Episoden auftretenden bipolaren Störung, die - wohl in Kombination mit den erlebten Kriegsgräueln - zu jenem schweren Zusammenbruch im Frühjahr 1918 führen sollte, während er noch beim Militär war. Vor einem ersten Nervenzusammenbruch im Jahr 1913, während seiner Studienzeit am Royal College, schrieb er die Five Elizabethan Songs, die er liebevoll „The Elizas“ nannte. Der Zyklus erfreute sich in den Kreisen des Royal Colleges großer Beliebtheit und wurde während des Krieges auch für kleinere Ensembles umgeschrieben. Die Texte dieses Zyklus stammen von William Shakespeare (1564-1616), John Fletcher (1579-1625), Thomas Nash (1567-1601), das Lied Tears von einem unbekannten Dichter. Die beiden Lieder Tears und Sleep (John Fletcher) gehören zu den besten des Komponisten, in denen der Einfluss der Tudor-Lautenisten besonders erkennbar ist.

Benjamin Hewat-Craw © Christian Palm - palm-fotografie
Benjamin Hewat-Craw © Christian Palm - palm-fotografie

Benjamin Hewat-Craw ist ein feinfühliger Gestalter dieser Liederzyklen zwischen Liebe und Tod, Leben und Vergänglichkeit. Mit seinem schönen, kraftvollen Bariton, mit ebenso strahlenden Höhen wie eleganten Piani, weiß der britische Bariton mit feinsinniger Gestaltung und abwechslungsreichem stimmlichem Farbenspiel jede Stimmung einzufangen.

Ob düster, wie in “The Lads in their Hundreds” (Butterworth/Housman), das den Tod der Jugend am Schlachtfeld thematisiert, nachdenklich wie in Vaughans Zyklus "The House of Life" oder auch fröhlich in "Spring" (Gurney/Nash) - der Bariton kostet die Farben voll aus und interpretiert mit feiner Klinge.

Besonders zu erwähnen ist sicherlich die besondere Textverständlichkeit und Diktion des Jungen Baritons, die das Hörvergnügen durch das gute Verständnis der Gedichte hinter den Liedern deutlich erhöht. Mit eleganter Ausdrucksweise und schöner Phrasierung baut er damit aus jedem Lied ein kleines Juwel, wie auch schon bei seiner vorhergegangenen Aufnahme von Schuberts Winterreise.

Im Alter von 22 Jahren zog Benjamin Hewat-Craw nach Deutschland, wo der junge Bariton seit nunmehr sechs Jahren lebt und arbeitet. Bereits das im September 2020 erschienene Debüt-Album mit Schuberts Winterreise wurde doppelt für den Opus-Klassik-Preis nominiert. Als Liedsänger war Hewat-Craw bereits im Beethoven Haus Bonn, der Kölner Philharmonie und Tonhalle Düsseldorf, begleitet von Michael Gees, Franziska Staubach und Yuaho Guo zu erleben. Zwischen 2015 und 2018 studierte er bei Prof. Christoph Prégardien, aktuell bei Prof. Lioba Braun und erhält Privatunterricht bei Josef Loibl in München.

CD - Cover Never Such Innocence English Song - hier Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo ©Label: Ars, DDD, 2021
CD - Cover Never Such Innocence English Song - hier Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo © Label: Ars, DDD, 2021

Der Kölner Pianist Yuhao Guo erweist sich als kongenialer Begleiter ebenso wie als hervorragender Solist. Mit glasklarem, feinfühligem Spiel und großem emotionalem Ausdruck vermag er es, die Stimme des Jungen Baritons auf Händen zu tragen und eindrucksvoll zu unterstützen. Seine Präzision und Dramatik, ebenso seine elegante Zurückhaltung an den sensiblen Passagen, lassen aufhorchen und noch Großes von diesem jungen Pianisten erwarten. Der Pianist studierte Klavier bei Nina Tichman und Liedbegleitung bei Ulrich Eisenlohr an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Der Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben sowie der Werner Richard – Dr. Carl Dörken-Stiftung hat seit 2021 einen Lehrauftrag für Klavier und Korrepetition an der Hochschule Osnabrück.

Als Erster Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, gab er Konzerte in der Kölner und Essener Philharmonie, der Tonhalle Düsseldorf und dem Festspielhaus Baden-Baden,sowie in Europa und den USA. Als Solist konzertierte er mit Orchestern wie dem WDR Sinfonieorchester Köln, der Deutschen Streicherphilharmonie, dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt/Oder oder den Duisburger Philharmonikern. Als Liedbegleiter trat er mit Benjamin Hewat-Craw unter anderem beim Oxford Lieder Festival sowie beim Southwold Arts Festival in Großbritannien auf.

Die vorliegende CD präsentiert "Das englische Lied" des frühen 20. Jahrhunderts von seiner schönsten und vielleicht typischsten Seite. Gefühlvolle Melodielinien wechseln sich ab mit komplexer und dennoch angenehmer Harmonik und anspruchsvollen Texten. Sie etablieren die vorliegenden Komponisten als Wegbereiter für Brittens enormes Lied-Oeuvre und kontextualisieren das englische Lied des Fin de Siècle und der Kriegsjahre in der jahrhundertealten Tradition britischer Musik und Poesie.

Mit enormer Musikalität und stimmiger Lied-Auswahl haben Benjamin Hewat-Craw und Yuhao Guo eine Aufnahme geschaffen, die großem künstlerischem Feingefühl eine faszinierende Epoche aufbereitet und ein Must-Have für alle Lied-Liebhaber ist! Erhältlich im Fachhandel und auf Streaming-Plattformen wie Spotify oder Amazon Music.

The Lads that will die in their Glory and never be old.

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