Magdeburg, Theater Magdeburg, Rigoletto - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 06.01.2021

Magdeburg, Theater Magdeburg, Rigoletto - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 06.01.2021
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Theater Magdeburg

Theater Magdeburg © Andreas Lander
Theater Magdeburg © Andreas Lander

Rigoletto -  Giuseppe Verdi

- Sparafucille und Gilda in ihrem "Wohnwagen der Freuden" -

von Christian Biskup

„Oh, Le roi s’amuse ist der großartigste Stoff und vielleicht sogar das größte Drama der Moderne. Triboulet ist einer Erfindung Shakespeares würdig!! […] Als ich bei der Durchsicht verschiedener Sujets Le roi s’amuse durchging, durchfuhr es mich wie ein Blitz, wie eine plötzliche Erleuchtung.“ So schrieb Giuseppe Verdi 1850 in einem Brief über das „königliche“ Schauspiel aus der Feder Victor Hugos. Das Stück hat ja auch alles: Liebe, Rache, Drama und bei allem Ernst auch seine Komik, weshalb es Verdi wohl auch für eine seiner berühmtesten Schöpfungen als Vorlage nahm: Die Oper Rigoletto. Im Theater Magdeburg erfuhr das Werk eine überzeugende Darbietung.

Regisseur Christian von Götz legt das Stück nicht als romantische Liebesgeschichte Gildas an, sondern fokussiert das Leiden Rigolettos in seiner unmenschlichen Umwelt. Der Herzog wird als sadistischer Herrscher gezeichnet, dessen Vergnügungssucht und brutale Sexualpraktiken stillschweigend am Hof geduldet werden. Frauen werden zu Gegenständen, die seine Lust  befriedigen sollen und hinterher „entsorgt“ werden. Erst als Rigolettos Tochter, das einzige Wesen, das ihm Liebe schenkt, an den Hof kommt, richtet sich der Narr auf und versucht seine ganze (Ohn-)Macht für die Rettung seiner Tochter einzusetzen.

Theater Magdeburg / Rigoletto hier Sparafucille und sein "Wohnwagen der Freuden" © Andreas Lander
Theater Magdeburg / Rigoletto hier Sparafucille und sein "Wohnwagen der Freuden" © Andreas Lander

Götz überfrachtet die Handlung nicht mit Symbolen oder neuen übergestülpten Geschichten. Vielmehr wird der Inhalt – wenn auch mit modernen Mitteln und Bildern – schlicht und eindringlich erzählt. So sind die originalen Handlungsorte durchaus noch in dem herzoglichen Palastzimmer alá Berlusconi (samt Bunga-Bunga-Party) und in Sparafuciles Wohnwagen der Freuden“ (Foto oben) wiederzuerkennen. Rigolettos Zimmer hingegen wird zu einer hellerleuchteten Kirche, in der die Reinheit Gildas wie der Gral gehütet wird (Bühne: Dieter Richter). Dazu passen auch manche komischen Regieeinfälle, wie das Ummanteln Gildas mit Absperrband, das die Schergen des Herzog von Mantua natürlich nicht aufhält, sie zu entführen. Nicht minder amüsant ist die Personenführung bei den Orgien im Palast, bei der auch die Kostümbildnerin Sarah Mittenbühlen die verrücktesten Kopfbedeckungen beisteuert. Das komödiantische Highlight war jedoch der Auftritt der Herzogs vor seinem berühmten „La donna è mobile“. In der kurzen Pause vor seinem Einsatz sah der Regisseur vor, dass der Herzog vor seiner Freudennacht eine Prise Kokain die Nase hochziehen sollte – was so taktgenau geschah, dass es Verdi selbst hinein komponiert haben könnte.

Bei all den komischen Elementen blieb der Fokus dennoch auf das Drama gerichtet. Dass dieses unter die Haut ging, verdankte man vor allem Kihun Yoon als Rigoletto. Obgleich schauspielerisch schon stark, verfügte er über einen solch wandelbaren und expressiven Bariton, dass man seine ganze Gefühlswelt auch blind hätte nachvollziehen können. Seine Stimme ist voluminös, wuchtig, aber dabei so flexibel, dass sie von einem starken Ausruf unmittelbar ins schönste Pianissimo gleiten konnte. Dies kommt besonders der großen Arie „Cortigiani, vil razza dannata“ zu gute. Wie gewaltsam verzweifelt ist sein Wutausbruch, wie flehend weinerlich seine Bitten. Sein Klang erinnert an den großen italienischen Sänger Apollo Granforte (1886-1975). Kurzum – Yoon gelingt eine vollkommen überzeugende Rollengestaltung.

Theater Magdeburg / Rigoletto hier Gilda im herzoglichen Palast © Andreas Lander
Theater Magdeburg / Rigoletto hier Gilda im herzoglichen Palast © Andreas Lander

Dies gilt auch für Hyejin Lee, welche die Rolle der Gilda übernahm. Äußerst jugendlich aussehend und kostümiert, konnte sie auch mit ihrem schlanken und leichten Sopran die, hier sehr infantil angelegte, Rolle bestens gestalten. In den Koloraturen flexibel, glich ihre Stimme bei zunehmender Höhe einem gleißenden Licht – strahlend und direkt, mit wenig Vibrato wurde nicht nur ihr berühmtes „Caro Nome“ zum Genuss.

Die schönsten Melodien hat Verdi ohne Frage dem Herzog „in den Mund“ gelegt. Jonathan Winell, der beim „Questa o quella“ noch hörbar bedeckt war, sang sich im Laufe des Abends frei und war ab dem zweiten Akt auch stimmlich deutlich präsenter. Den sardistisch-lustsüchtigen Herren mimte das Ensemblemitglied des Theater Magdeburg sehr überzeugend. Besonders oberhalb der Tessitura entwickelt Winells Stimme eine strahlende, kraftvolle Höhe, die dem Herzog gut stand. Leider gab es gerade im berühmten „La donna è mobile“ hörbare Abstimmungsprobleme zwischen Graben und Bühne, was jedoch den Gesamteindruck nur wenig trübte.

Neben den drei Hauptrollen ist besonders die spielerische Leistung von Karina Repova in der Doppelrolle der Maddalena und Giovanna zu erwähnen. Besonders als Verführerin des Herzogs war sie in ihrer lasziven Darstellung wie auch gesanglich voll präsent. Johannes Stermanns Sparafucile zeichnete sich durch eine präzise Stimmführung aus, und konnte trotz des Fokus auf die drei Hauptpersonen sehr gut bestehen. Abschließend sei noch Stephanos Tsirakoglou erwähnt, der den Monterone sang. Obgleich die Partie sehr klein ist, bekommt sie aufgrund der Aussprache des Fluchs eine große Bedeutung. Selten hat man den Fluch so gewaltsam und mächtig auf der Bühne ausgesprochen gehört. Wohl jeder hätte nach einem solchen Auftritt an die Verwirklichung geglaubt – zum Glück traf es ja nur den Rigoletto...

Neben den durchweg guten sängerischen Leistungen trug auch das feurige Dirigat von Svetoslav Borisov zum Erfolg des Abends bei. Straffe Tempi und ein durchsichtiger Klang prägten die Vorstellung. Zwischen Bühne und Graben funktionierte die Kommunikation mit wenigen Ausnahmen sehr gut. Lediglich zwischen dem gut einstudierten Chor auf der Hinterbühne und dem Orchester lief nicht immer alles glatt. Corona macht es den Theatern ja auch nicht leicht und erfordert nicht immer optimale Kompromisse. Wohl auch deshalb wurde eine reduzierte Fassung von Alberto Colla gespielt. Große klangliche Nachteile gab es nicht – auch das kleinere Orchester stemmte die dramatischen Eruptionen der Partitur problemlos. Schade war nur das Fehlen des Beckens in der Schlagzeugfraktion, welches ja doch charakteristisch für die dramatischen Höhepunkte in der italienischen Oper ist.

Insgesamt erlebte man einen beglückenden Opernabend im Theater Magdeburg. Obgleich diese Rigoletto -Vorstellung - 2.1.2021 - die letzte Aufführung der Produktion war, kann man hoffen, dass das Stück in der nächsten Saison eine Wiederaufnahme erfährt – das, zugegeben nur spärlich erschienene, Publikum unter 2G+-Bedingungen war begeistert und feierte die Inszenierung und die Sänger aus Leibeskräften.

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