Linz, Landestheater Linz, FIDELIO - TWICE THROUGH THE HEART, IOCO Kritik, 14.10.2020

Linz, Landestheater Linz, FIDELIO - TWICE THROUGH THE HEART, IOCO Kritik, 14.10.2020


Landestheater Linz

Landestheater Linz / Neues Musiktheater Volksgarten © Sigrid Rauchdobler
Landestheater Linz / Neues Musiktheater Volksgarten © Sigrid Rauchdobler

FIDELIO   - TWICE  through the HEART

Ludwig van Beethoven  -  Mark-Anthony Turnage

von Marcus Haimerl

Für die aktuelle Saison hat Intendant Hermann Schneider das Motto „Freiheit“ gewählt und inszeniert mit der ersten Opernpremiere eben dieser Saison FIDELIO, die Freiheitsoper des Jahresregenten Ludwig van Beethoven (1770-1827)  höchstpersönlich. Allerdings beschränkt man sich in Linz nicht auf eine einfache Umsetzung der Fassung des Fidelio in der Fassung von 1814, sondern implantiert in dies Werk die knapp 30-minütige, dramatische Szene Twice through the Heart, des britischen Komponisten Mark-Anthony Turnage (*1960), die gleichzeitig ihre österreichische Erstaufführung erlebt.

Die schottische Lyrikerin Jackie Kay hat für die ursprüngliche Fassung ihres Librettos auf die Gerichtsakten des Falls der Amelia Rossiter zurückgegriffen, die nach 10-monatiger Ehe 1987 ihren gewalttätigen Mann erstochen hat.

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Dieses Monodrama für Mezzosopran und 16 Instrumentalisten handelt - in neun Szenen -  von einer namenlosen Frau, die in ihrer Gefängniszelle sitzt und von den Misshandlungen ihres Ehemannes berichtet. Als dieser versuchte, sie zu erdrosseln, erstach sie ihn in Notwehr mit einem Küchenmesser (Szene 1 - No way out). Die Jahre ehelicher Gewalt haben die Frau isoliert. Sie schweigt vor Gericht über die Taten ihres Mannes. (Szene 2 - Inside)

Sie erinnert sich an Momente des Glücks der Ehe, aber auch über die beginnende Grausamkeit, die nach der Geburt des gemeinsamen Kindes beginnt (3. Love). Die Frau hat nie über die Gewalt gesprochen. Sie war ihrem Ehemann gegenüber immer loyal und träumte von einem gemeinsamen bürgerlichen Leben (4. By the sea). Die Scham über ihre Erlebnisse hat die Frau verstummen lassen, aber die Erinnerungen begleiten sie (5. Inside #2).

Durch die Gewalt im eigenen Haus fühlte sich auch dieses wie ein Gefängnis an. Jeder Versuch von Freiheit oder Freude wurde von ihrem Ehemann unterdrückt (6. Four Walls). So wie ihr Ehemann nunmehr begraben ist, fühlt sich die Frau in ihrer Zelle begraben (7. Interlude / 8. Landslide). Eine Porzellantasse, aus der sie allabendlich ihren Tee trinkt, erinnert sie an zu Hause (9. China cup).

Landestheater Linz / FIDELIO - THWICE through the HEART - hier :  Katherine Lerner, Erica Eloff © Herwig Prammer
Landestheater Linz / FIDELIO - THWICE through the HEART - hier : Katherine Lerner, Erica Eloff © Herwig Prammer

Zwei Seiten einer Medaille sollen hier gezeigt werden. Einerseits die Liebe von Leonore, die ihren Ehemann aus dem Kerker befreit, andererseits die namenlose Frau, die sich durch Notwehr aus der Ehehölle befreit. Zwar ist Mark-Anthony Turnages Szene zwischen ersten und zweiten Akt eingebaut, jedoch wird die namenlose Frau bereits im ersten Akt in die Handlung integriert und bleibt auch während des zweiten Aktes dauerhaft in ihrer Zelle auf der Bühne.

Für die Regiearbeit Hermann Schneiders schuf Falko Herold (Bühne, Kostüme und Video) ein Einheitsbühnenbild, welches eine dystopische Welt darstellen soll, Cineasten aber durchaus auch an die bekannte Szene aus Carol Reeds Meisterwerk Der dritte Mann in den Kanälen Wiens erinnern könnte. In der Mitte der Bühne befindet sich eine Wasserfläche, die bei jedem Schritt entsprechend platschende Geräusche erzeugt. Seitlich, am Ende einer langen Metalltreppe befindet sich eine Art Kommandozentrale. Ungemein erfreulich ist vor allem die musikalische Seite des Abends, auch wenn durch die Streichung sämtlicher Dialoge Beethovens Werk Schaden erleidet und auch dem Kenner der Oper das Folgen der Handlung nicht einfach gemacht wird.

Die südafrikanische Sopranistin Erica Eloff begeistert als Titelheldin mit unglaublich durchschlagskräftigem Sopran und einer exzellenten Nuancierung. Eine ebenso beeindruckende Leistung erlebt man von Marco Jentzsch, der mit der Strahlkraft seines kräftigen, edlen Tenors ein großartiges Rollendebüt feiern konnte. Überzeugen konnten auch die Sänger des Linzer Opernensembles: Adam Kim als Don Pizzaro, auch wenn hier ein wenig mehr Boshaftigkeit durchklingen dürfte, Dominik Nekel als fantastischer Rocco, Martin Achrainer als luxuriös besetzter Don Fernando, sowie Mathias Frey als Jaquino und Fenja Lukas als Marzelline.

Eine ganz besondere Leistung erlebt man zweifelsohne von Katherine Lerner, deren unglaublich intensive stimmliche und darstellerische wie auch leidenschaftliche Gestaltung des Mezzoparts von Mark-Anthony Turnages Twice through the heart ein eindringliches Bild jener Frau zeichnet, die nur durch Notwehr der Hölle ihrer Ehe entfliehen kann, um dann doch wieder in Gefangenschaft zu gelangen.

Musikchef Markus Poschner gelingt mit dem Bruckner-Orchester Linz eine intensive und unglaublich lebendige Umsetzung von Beethovens Partitur. Besser hat man Beethovens Oper schon lange nicht mehr gehört. Entsprechender Jubel am Ende für einen musikalisch perfekten Abend, der noch bis Februar erlebt werden kann.

FIDELIO - TWICE through the HEART am Landestheater Linz; die nächsten Vorstellungen 17.10.; 19.10.; 23.10.; 27.10.; 1.11.; 17.11.; 29.11.; 5.12.2020 und mehr

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