Wolfsburg, Scharoun-Theater Wolfsburg, SCHWANENSEE - Ukrainische Staatsoper „Taras Schetschenko“, IOCO Kritik, 25.02.2020

Wolfsburg, Scharoun-Theater Wolfsburg, SCHWANENSEE - Ukrainische Staatsoper „Taras Schetschenko“, IOCO Kritik, 25.02.2020

Theater Wolfsburg

Scharoun Theater Wolfsburg © Stadt Wolfsburg / Lars Landmann
Scharoun Theater Wolfsburg © Stadt Wolfsburg / Lars Landmann

Schwanensee  - Ukrainische Staatsoper „Taras Schetschenko“

Kein sterbender Schwan - aber Happy End für Alle

von Christian Biskup

Jedes Jahr touren zahlreiche Ensembles mit dem Stück durch Deutschland – Schwanensee! Ob mit oder ohne Orchester, die Ballettgruppen kommen meist aus Osteuropa, denn dort wird der Spitzentanz, anders als an den meisten deutschen Häusern, traditionell noch an den verschiedensten Theatern der Länder auf die Bühne gebracht. Das Ballett und Orchester der Ukrainischen Staatsoper „Taras Schetschenko“ Kiew folgte der Einladung ins Scharoun-Theater Wolfsburg und führte dem Publikum die ganze Kunst des Spitzentanzes vor.

Schwanensee von Pjotr Ijitsch Tschaikowsky ist ein Klassiker der Ballettliteratur. 1877, bei der Uraufführung im Bolschoi-Theater von Moskau war das Stück kein Erfolg. Damals was das Bolschoi-Theater noch nicht das Bolschoi von heute. Mangelnde Vorbereitung, zu schwierige Musik und eine schlechte Ausstattung ließen das Stück schnell vom Spielplan verschwinden. Erst 1895 wurde mit der Choreografie von Marius Petipa (1818-1910) und Lew Iwanow (1824-1901) ein Siegeszug eingeleitet, der bis heute anhält. Und auf jene Choreografie, sowie auf die Wiederaufführungen von Alexander Gorsky (1871-1924), Fjedor Lopuchow (1886-1973) und Vladimir Burmeister (1904-1971) beruft sich die Choreografie von Valerie Kovtun (1944-2005), die bereits 1986 Premiere hatte und bis zum 23.02 auf Deutschland-Tournee war. Wer auf den sterbenden Schwan wartete, wartete jedoch vergeblich. In Tschaikowskys Schwanensee gibt es kein Sterbesolo, dieses wurde 1905 erst zu Camille Saint-Saens Schwanenmusik aus dem Carneval der Tiere für Primaballerina Anna Pawlowa choreografiert. Tatsächlich gibt es jedoch für Tschaikowskys Schwanensee verschiedene Finalversionen, die ein Sterbesolo erlauben würden. Doch die Inszenierung der Ukrainischen Staatsoper „Taras Schetschenko“ spielt die Version mit „Happy End“ für die Hauptprotagonisten:

Scharoun Theater Wolfsburg / SCHWANENSEE © Staatsoper Kiew
Scharoun Theater Wolfsburg / SCHWANENSEE © Staatsoper Kiew

Prinz Siegfried feiert mit Freunden seinen 21. Geburtstag. Von seiner Mutter erhält er eine wertvolle Armbrust versehen mit der Erinnerung, dass er beim Hofball am nächsten Tag aus vier potenziellen Bräuten eine auszuwählen habe. Als der Abend anbricht und der Prinz weiße Schwäne vorüberziehen sieht, entschließt er sich auf die Jagd zu gehen. Am See angekommen, sieht er, dass sich die Schwäne in schöne Schwanenmädchen verwandeln. Odette, die Prinzessin, berichtet, dass der böse Zauberer Rothbart sie in Schwäne verwandelt hat und er nur zur Mitternachtszeit keine Macht mehr über sie hat, weshalb sie in ihrer menschlichen Gestalt erscheinen. Erlösung vom Fluch gibt es nur, wenn ihnen jemand ewige Treue schwört. Wird der Schwur gebrochen, bleiben sie für immer Schwäne. Bezaubert von ihrer Schönheit schwört Siegfried Treue und bittet sie zum Ball zu kommen. Doch sie kann nicht. Rothbart, der den Schwur beobachtet hat, schmiedet derweil schon Pläne, wie er sie in seiner Macht behalten kann.

Beim Hofball im Festsaal des Schlosses am nächsten Tag lehnt Siegfried alle potenziellen Bräute ab – seine Gedanken gelten nur Odette. Erst als Rothbart mit seiner Tochter Odile erscheint, die vom Vater die Gesichtszüge Odettes erhalten hat, ist Siegfried entflammt, glaubt er doch Odette zu sehen. Seiner Mutter berichtet er, dass sie seine Braut sein soll. Rothbart und Odile verlassen daraufhin triumphierend den Saal. Als an einem Palastfenster die traurige Odette erscheint, erkennt er den Betrug und eilt schnell zum See der Schwäne. Er erklärt Odette den Betrug und beteuert, dass sein Treueschwur nur ihr gegolten habe. Doch Rothbart gibt so schnell nicht auf – er entfesselt die Elemente und beginnt mit Siegfried zu kämpfen. Dieser verletzt ihn so schwer, dass Rothbart seine Zauberkraft verliert – die Schwanenmädchen sind erlöst!

Die Ausstattung von Maria Lewitskaja ist konventionell-konservativ aber sehr poetisch. Gemalte Bühnenprospekte, von denen der Schwanensee in seinen blau-schimmernden Tönen besonders hervorsticht, sowie die prachtvolle Ausstattung des Festsaales mit Thronsessel sind mit den prächtigen Kostümen ein Genuss für die Augen. Eine kluge Lichtregie verstärkt die jeweilige Stimmung. Hier wird nur erzählt, nichts gedeutet, was den Gegnern von jeglicher Art von Regietheater sicher entgegen kommt. Trotzdem oder deshalb ist der Abend nicht langweilig, was an den starken Leistungen der Tänzer liegt. Den größten Erfolg konnte Daniil Silkin und das Corps de Ballet im neapolischen Tanz der Tanzfolge im dritten Akt erringen. Sein zahlreichen schwindelerregenden Fouettés en tournant sowie das perfekte Timing zur Musik machten ihn – trotz der Kürze des Auftritts – zum Publikumsliebling des Abends.

Scharoun Theater Wolfsburg / SCHWANENSEE hier die Primaballerina Anastasia Schewtschenko als weißer Schwan © Staatsoper Kiew
Scharoun Theater Wolfsburg / SCHWANENSEE hier die Primaballerina Anastasia Schewtschenko © Staatsoper Kiew

Doch auch die 1993 geborene Primaballerina Anastasia Schewtschenko konnte in der Doppelrolle der Odette / Odile überzeugen. Grazil und elegant, sowie zu Beginn ihres Auftritts wunderbar scharwenzelnd, gab sie mit fließenden Armbewegungen die begehrenswerte Schwanenprinzessin. Ihre Wandlung zur dunklen Odile gelang spielerisch. Ihr Bühnenpartner Oleksi Tiutiunnyk in der Rolle des Prinzen begeisterte besonders durch seine Grand jetés, die großen Sprünge, die ihn scheinbar schwerelos über die Bühne schweben ließen, wobei sich offenbarte, dass die Wolfsburger Bühne für sein Können eigentlich zu klein ist. Sehr beeindruckend gelang der Kampf zwischen Siegfried und dem Zauberer Rothbart (kraftvoll und energiestrotzend Volodymyr Kutuzov), der temporeich und sehr dynamisch choreografiert wurde. Für viel Beifall sorgte auch der Tanz der kleinen Schwäne (Inna Chorna, Ievgeniia Korshunova, Jateryna Chupina, Kateryna Dehtiarova), welcher in Reihe en croix getanzt wurde und sicher eine der beliebtesten Nummern des Ballettes ist. Das Pas de Trois begleitete viele Nummern – mit wenigen synchronen Unsicherheiten – poetisch und originell choreografiert.

Das Orchester der Staatsoper „Taras Schewtschenko“ unter der Leitung von Mykola Djadjura spielte die Ballettmusik hörbar mit Freude, wobei es schon erstaunlich ist, wie unterschiedlich die Musik mit einem östeuropäischen Orchester klingt. Das ukrainische Orchester spielt die Musik gemäß der russischen Tradition weitaus schroffer und weniger stark romantisierend. Dramatische Elemente werden deutlich hervorgehoben, lyrische Momente entkitscht wo es geht, man spielt in recht flotten Tempi. Dies funktioniert in Verbindung mit der Choreografie ausgesprochen gut, die so stets dynamisch bleibt. Viel Applaus vom Publikum für Dirigent und Orchester!

Nach gut drei Stunden und zwei Pausen, in denen ausschließlich lobende Worte für Ensemble und Inszenierung zu hören waren, endet der Abend mit Standing Ovations für alle Beteildigten. Das ukrainische Ensemble kann auf der ersten Station ihrer Tournee einen großen Erfolg verbuchen.

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