Reiner Goldberg, Tenor - Leben und Wirken - Teil 3, IOCO Interview, 12.08.2018

Reiner Goldberg, Tenor - Leben und Wirken - Teil 3, IOCO Interview, 12.08.2018
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Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper © IOCO
Hamburgische Staatsoper © IOCO

Tenor Reiner Goldberg im Interview - Leben und Wirken

Teil 3 -  Richard Strauss, Repertoire,  Hilfen für Gesangskarriere

Von Michael Stange

Teil 1  -  Reiner Goldberg Interview - Herkunft und Beginn der Karriere

Teil 2  -  Reiner Goldberg Interview - Über den Aufbruch ins Heldenfach, Bayreuth, seine Karriere, Begegnungen mit Herbert von Karajan, Guiseppe Sinopoli, Wolfgang Wagner und mehr.

Teil 3 -  Richard Strauss, Repertoire,  Hilfen für Gesangskarriere

Im dritten Teil des Interviews beschreibt Reiner Goldberg seine Bühnenjahre im vereinigten Deutschland, sein Repertoire, Aspekte des Rollenstudiums, Herausforderungen des Sängerlebens und er berichtet über die Weitergabe seiner Erfahrungen an den Nachwuchs.

Opernhaus Graz / Reiner Goldberg als Peter Grimes, 2002 © Toni Muhr
Opernhaus Graz / Reiner Goldberg als Peter Grimes, 2002 © Toni Muhr

Opernhaus Graz GmbH, Peter Grimes, 2002  © Toni Muhr.

Mit Richard Strauss ging es nach der Berliner Frau ohne Schatten unter Ernst Märzendorfer zügig weiter 1982 haben Sie in München mit Bernhard Haitink Richard Strauss Daphne aufgenommen. In Paris haben Sie 1984 die Liebe der Danae gesungen. Welche Beseutung haben für Sie die Opern von Richard Strauss?

Die für mich zentralen Partien waren der Bacchus in Adriane, der Kaiser in Frau ohne Schatten und später der Herodes. Begonnen hatte es Ende der siebziger Jahre in Berlin mit der Frau ohne Schatten. Ziemlich bald kam 1983 die Bitte, in einer konzertanten Aufführung des Guntram unter Eve Queler in New York mitzuwirken. Sie war eine der ersten sehr berühmten Dirigentinnen in den USA und brachte mit ihrem Orchester immer konzertant seltene Opernwerke heraus. Wir haben noch 1992 gemeinsam Rienzi gemacht.

Auf mich kam sie wohl über meine Agentin Nelly Walter von Columbia Artists Management. Sie hat sich rührend um mich gekümmert. Sie war eine zauberhafte Dame, die aus Dresden stammte und damals, als wir uns kennen lernten, schon über achtzig war.

Nelly Walter arbeitete in Deutschland schon vor 1933 als Künstleragentin und war seit ihrer Übersiedlung nach New York 1946 bei der Columbia wieder in ihrem alten Beruf als Agentin für Sänger tätig. Sie musste mehrfach vor den Nazis flüchten und hatte den ganzen Krieg in Frankreich in einem Konzentrationslager überlebt. Vor ihrer Übersiedlung in die USA hat sie in Frankreich kurz für die Amerikanische Armee gearbeitet. Diese Version der Geschichte habe ich aber erst später gehört. Sie hat mir das so nicht berichtet. Als ich mit ihr zu tun hatte, hat sie mir erzählt, sie sei schon vor dem Krieg aus Frankreich geflohen. Trotz ihrer schrecklichen Erlebnisse und der Verfolgung durch die Nazis war sie ein unglaublich gütiger, ausgeglichener und liebevoller Mensch Sie war eine feinsinnige Musikkennerin und fleißig wie eine Biene. An sie denke ich gern und häufig zurück. Sie hat vielen Sängern wie Domingo und Carreras  den Weg in die USA gebahnt.

Für mich, der ich kein Englisch sprach, war sie ein Riesenglück. Sie liebte die Musik und die von ihr betreuten Sängerinnen und Sänger. Für uns riss sie sich ein Bein aus und wir waren über zehn Jahre in gutem Kontakt. Sie war noch mit Richard Tauber, Elisabeth Rethberg und vielen anderen Stars befreundet und hat mir darüber viel erzählte. Sie wollte mich gleich in den USA behalten und hat dort viel für mich getan.

In Berlin und anderswo kam bald nach der Frau ohne Schatten auch der Bacchus in Ariadne auf Naxos. Eine Rolle, die ich sehr geliebt habe dazu. Dafür hat Nelly Walter 1984 auch an der MET ein Vorsingen arrangiert. Zum Vertrag kam es damals aber nicht sondern erst später für Fidelio und Tannhäuser.

Eine weitere wichtige Partie war der Apollo in Daphne mit Lucia Popp. Das haben wir unter Bernhard Haitink in München aufgenommen. Lucia Popp hatte die Seele in der Stimme und ist für mich eine der schönsten deutschen Stimmen. Eine der Strauss Opern, die mich musikalisch stark begeistert hat ist Die Liebe der Danae. Die haben wir 1984 in Paris gemacht.

Der Herodes ist eine Partie, die mich besonders lange begleitet hat und die ich auch auf CD eingesungen habe. Musikalisch sind die Rauschhaftigkeit und der Glanz der Musik von Richard Strauss für mich immer ein Erlebnis gewesen. Mit seinen Werken bin ich in unbekannteren Partien und in Glanzrollen um die Welt gereist und die Aufführungen sind mit einer Vielzahl glücklicher Erinnerungen verbunden.

Mit Ihrem fünfzigsten Geburtstag verband sich 1989 ein weiteres deutsches Schicksalsjahr. Die Mauer fiel. Sie sind – anders als viele Kolleginnen und Kollegen – im Staatsopernensemble geblieben und haben auch in den neunziger Jahren in allen Ihren wichtigen Partien wie Bacchus, Parsifal, Tannhäuser, Siegfried und vielen anderen Partien große Erfolge gefeiert. Wie wichtig war das Stammhaus für Sie in dieser Phase Ihres Sängerlebens?

Im Jahr 1989 hatte ich in Bayreuth beide Siegfriede gesungen. Nach Urlaub und Vorstellungen in der DDR befand ich mich auf einem Gastspiel in Turin. Nach der Vorstellung rufe ich eine Freundin in Berlin an, die mich fragte: „Rate wo ich gestern war? In West-Berlin". Ich traute meinen Ohren nicht. Als ich dann einige Tage später in Tegel landete, sah ich die ganzen Trabbis und dachte mir, mich laust der Affe. An sich gingen der Betrieb in der Staatsoper und auch die Gastspiele zunächst normal weiter.

Etwa 1990 begann in der Berliner Staatsoper eine wilde Zeit, die erst mit der Verpflichtung Daniel Barenboims Ende 1992 endete. Wir bekamen einen neuen Intendanten, der das alte Ensemble muffig und provinziell fand. Viele sind einfach entlassen worden, weil man ihnen vorwarf, sie würden nicht international gastieren. So wurden zum Beispiel die Eva Maria Bundschuh, die Gisela Schröter und viele andere einfach geschasst.

Für Stimmen bestand kein Interesse. Der Intendant fragte einen Kollegen: „Brauchen wir den Goldberg noch?“ Nachdem dem Kollegen der Mund offen stehen blieb verwies er auf mein damaliges Engagement als Erik in Bayreuth, meine Auslandsgastspiele und meine zahlreichen damaligen Vorstellungen in der Staatsoper. Dadurch bin ich der Entlassung wohl entkommen. Die folgenden Intendanzen haben die Sänger wieder gewürdigt und ich bin in Berlin weit über meine Pensionierung hinaus viel beschäftigt gewesen.

Von den neunziger Jahren bis 2010 habe ich meine Glanzrollen wie Florestan, Bacchus, Parsifal, Pedro, Siegfried, Tannhäuser, Herodes und vieles mehr in Berlin und international gesungen.

Eigentlich bin ich ja schon 2004 in Ehren in Pension gegangen, bin aber lange darüber hinaus in Berlin, Hamburg, München und anderswo tätig.

Hamburgische Staatsoper, Moses und Aaron, Aaron, 2004 © Jörg Landsberg

Neues kam hinzu wie der Peter Grimes 2001 in Graz, in München habe ich bis 2016 in Janaceks Makropulos mitgesungen und habe dort auch 2008 in Henzes Basariden mitgewirkt. Nun erstrahlt die Berliner Staatsoper in neuem Glanz und im nächsten Jahr werde ich wieder in den Meistersingern als Meister dabei sein. Den Ulrich Eisslinger mache ich ab dem Herbst 2018 auch in Wiesbaden.

Sie haben heute ein Repertoire von mehr als 70 großen Rollen in Oper, Operette und Konzert. Die Komponisten reichen von d ’Albert (Tiefland), Beethoven (Fidelio, Missa Solemnis), Berg (Wozzeck), Britten (Peter Grimes), Gounod (Faust), Haydn (Schöpfung), Janacek (Jenufa), Krenek (Johnny spielt auf), Mahler (Lied von der Erde, Das klagende Lied, 8. Sinfonie), Mendelssohn (Paulus), Puccini (Tosca, Der Mantel), Schostakowitsch, Schönberg (Moses und Aron), Strauss

Hamburgische Staatsoper / Moses und Aaron hier Reiner Goldberg als Aaron, 2004 © Jörg Landsberg
Hamburgische Staatsoper / Moses und Aaron hier Reiner Goldberg als Aaron, 2004 © Jörg Landsberg

(Ariadne, Daphne Guntram, Frau ohne Schatten, Elektra, Salome, Liebe der Danae), Verdi (Traviata), Wagner (Rienzi bis Parsifal), Weber (Oberon, Freischütz) bis Zemlinsky. Oft sind sie eingesprungen oder haben sehr kurzfristig Verpflichtungen übernommen. Viele große Partien wie Lohengrin 1997 haben Sie vom Blatt oder in Italienisch oder Englisch gesungen. Woher kommt dies Vielfalt und diese Fähigkeiten zur Aneignung eines so vielfältigen Repertoires?

Mein ganzes Leben war immer Musik. Mir ist es schon ganz früh leicht gefallen, mir Musik vom Gehör, von den Noten und vom Wort anzueignen. Die Liebe zur Musik begann mit der Silbermann Orgel in unserer Kirche in Crostau. Dort habe ich als Kind oft und lange gesessen. Die ersten praktischen Übungen begannen im Posaunenchor. Weiter ging es im sorbischen Ensemble, wo wir die fremde sorbische Sprache vom Blatt gesungen haben.

Bei mir war es als erstes die Liebe zur Musik, die für mich ein Lebenselixier ist. Das zweite ist sicher die Neugier. Das Dritte ist, eine bestmögliche Leistung erreichen zu wollen. Die Musik die ich gemacht habe, hat mich immer fasziniert und interessiert. Dadurch habe ich das irgendwie aufgesogen.

Viele Rollen wie Guntram, Apollo oder Rienzi habe ich gelernt, weil ich die Musik geliebt habe. Oft war klar, dass es sich um ein einmaliges Konzert handelt. Auch dort ist das Lernen der Partie aber ein wichtiger Teil des Übens des Umgangs und des Verinnerlichen von Musik. Die Möglichkeit, die Noten während der Vorstellung vom Blatt zu singen macht es leichter ein Stück zu singen. Eine Auseinandersetzung mit der Rolle ist aber trotzdem nötig.

Opern auf der Bühne wie Moses und Aaron zu singen, erfordert natürlich viel mehr Vorbereitung. Allein der schwierige Text und dann der Ausdruck. Besonders im Schlussdialog von Moses und Aaron. Das ist so schwer. Und auch den Ausdruck zu treffen, insbesondere ab: „….sichtbare Wunder sollte ich tun, wo das Wort und das Bild des Mundes versagten...!“

Mit dem Aaron habe ich vielleicht einen Weltrekord erreicht. Diese Rolle habe ich mindestens 59-mal gesungen. Das Werk wurde in Japan mit Siegfried Vogel und mir 1994 erstmals halbszenisch aufgeführt. Das war unglaublich. Der japanische Dirigent Kazuyoshi Akiyama dirigierte das, als ob es Hänschen klein sei. Die japanischen Sänger und der Chor haben das mit unglaublicher Hingabe und Schönheit gemacht. Bei dieser Vorstellung haben zwei Goldbergs mitgewirkt, weil die deutsche Übersetzung für Akiyama goldener oder heller Berg ist. In Japan soll das sogar kommerziell sogar auf CD erschienen sein.

Den Lohengrin hatte ich bereits Anfang der achtziger Jahre studiert. Ich konnte die Rolle vollständig vom Blatt singen und bin aber nie gefragt worden, die Partie auf der Bühne zu singen. Dann ergab es sich 1997, dass der Lohengrin der Premiere in Berlin krank geworden war und ich vier Tage vorher gefragt wurde, die Rolle von der Seite zu singen. Dazu war ich gern bereit und das hat, nach zweitägigem Wiederholen der Partie, gut funktioniert. Den Lohengrin habe ich dann auch auf der Bühne 2002 in Turin gesungen und davon gibt es auch Ausschnitte auf YouTube.

Bei Peter Grimes hat mich einfach die Rolle und das Schicksal interessiert. Ich spreche ja kein Englisch und musste alles phonetisch lernen, aber es hat gut geklappt und viel Arbeit erfordert. Es war aber auch eine tolle Produktion mit Philippe Jordan in Graz.

Am schwersten erschien mir das Studium des Siegfried. Nach dem Rienzi in Perugia 1980 und dem Vorsingen bei Herbert von Karajan war mir klar und meine Agentin hat mich auch darauf hingewiesen, dass bald dicke Brocken kommen könnten. Also habe ich mir nach dem Parsifal und dem Vorsingen bei Solti auch die Noten vom Siegfried angesehen und mit meinem Korrepetitor hineingerochen. Nach dem ersten Schreck über die Flut der Noten, die Länge der Rolle und die Schwierigkeiten der Partie habe ich die Partie wieder weggelegt. Dann hat mich die Rolle aber nicht mehr los gelassen. Sie ist musikalisch so vielfältig. Ich habe sie dann bald darauf intensiv studiert. Diese Dramatik des 1. Akts, die Poesie des Waldwebens und auch Siegfrieds Lernen der Furcht im 3. Akt ließen mich nicht mehr los und haben mich emotional unglaublich stark berührt. Später habe ich den Siegfried unter James Levine in New York 1988 bis 89 eingespielt und auf der Bühne häufig gesungen.

Mich begeistern viele Stücke; und wenn ich die Partitur aufgeschlagen habe, bin ich mit vollem Einsatz dabei. Zuletzt passierte mir das an der Hochschule in Berlin 2010. Dort wurde konzertant Zemlinskys Zwerg aufgeführt und ich liebe diesen Komponisten. Ich habe ja schon den Kreidekreis gemacht, der auf CD veröffentlicht ist. Der Sänger des Zwergs war vier Tage vor der Premiere krank geworden, so dass ich gebeten wurde die Rolle zu übernehmen. Ich habe Ja gesagt und dann daheim erst einmal einen Schreck bekommen, wie schwer das ist. Die Vorbereitung in der kurzen Zeit war ein ordentliches Stück Arbeit, aber ich habe das von der Seite gesungen und es hat gut geklappt.

Auch Schoecks Schloss Durande ist ein Werk, das viel zu selten gespielt wird, da hatten wir 1993 eine tolle konzertante Produktion in Berlin.

Ihnen gelingt in Ihren Rollen ein starkes Widerspiegeln der Emotionen im Tonfall. Das gilt für die Aufnahmen des Aaron, des Parsifal oder auch des Herodes. In den zerrissenen Partien wie Tannhäuser, Pedro, Max und Herodes wirken Sie am stärksten. Haben Sie eine innere Vorstellung, wie Sie klingen und wie die Partien ausdrücken wollten?

Ich kann das nicht genau erklären. Bei vielen Rollen habe ich mich natürlich sehr intensiv mit dem Text auseinander gesetzt. Beim Moses sind mir natürlich bei den Proben viele Lichter aufgegangen und wir haben das mit Harry Kupfer intensivst erarbeitet. Ähnlich war es mit dem Tannhäuser. Das haben wir lange daran gefeilt und über die Perspektiven der Rolle diskutiert. Im Tannhäuser war ich so tief drin, dass ich nicht mehr gemerkt habe, was Realität und was Bühne ist und während vieler Aufführungen unglaublich gelitten habe. Dadurch sind mir dann der Ausbruch „Allmächtiger, Dir sei Preis…“ so gut gelungen. Gleiches gilt natürlich für die Romerzählung und den Venusberg. Bei letzterem erwacht Tannhäuser aus einem Traum und in der Romerzählung erinnert er sich seine Leiden und Enttäuschungen. Vermutlich realisiert im Venusberg er erst langsam, wo er sich befindet, wer er ist und was mit ihm passiert. In der Romerzählung ist er zumindest zum Schluss in Trance und nicht mehr auf der Erde. All diese Emotionen brauchen unterschiedliche stimmliche Ausdrucksmittel vom Piano zum Forte. Tannhäusers Empfindungen vom Aufwachen im Venusberg bis zum Ende der Romerzählung müssen durch einen Einklang von stimmlichem Ausdruck und die Stimmtechnik für den Zuhörer hör- und sichtbar gemacht werde.

Bei viele Situationen des Zweifelns oder der Unsicherheit habe ich mich an eigene Erlebnisse erinnert. Das gilt auch für den Pedro im Tiefland. Natürlich ist die Szene als er Martha sieht und wo er sich fragt, ob er Martha gefallen wird, wie im dem richtigen Leben. Das hatte ich dann auch im Kopf. Der Herodes ist ja nur vordergründig ein geiler alter Mann. Er ist aber auch in seiner Todesfurcht Opfer seiner Angst und seiner Krankheit. Gerade bei Wagner und Strauss sind die Rollen so vielfältig, dass mir vor vielen Vorstellungen völlig neue Gedanken zur Rolle kamen.

Harry Kupfer war für natürlich ein Segen weil wir eigentlich alle wichtigen Rollen einmal oder mehrfach intensiv in langen Proben und Gesprächen erarbeitet haben. Er ist unglaublich sensibel und kann die Dinge die ihn bei seiner jeweiligen Deutung bewegen phantastisch darstellen. Das hat mir bei meinen Interpretationen sehr geholfen, weil die Darstellung auf der Bühne aus dem inneren des Künstlers kommen muss um gut zu wirken. Gleichzeitig konnte ich, obwohl ich ja Tenor bin, mit eigenen Ideen kommen und die wurden, wenn sie uns beiden plausibel erschienen, umgesetzt.

Ich habe immer in die Noten gesehen, wenn das Werk mich fesselte, dann habe ich mich mit Feuereifer hineingestürzt, bis die Rolle saß. Das ist das entscheidende. Man braucht die Liebe zur Musik, die Neugier und die Begeisterung. Das hilft, sich in die Rolle zu vertiefen und sie ständig für sich selbst weiter zu entwickeln.

Zu meinem Timbre und meiner Stimmfärbung habe ich mir bewusst nie Gedanken gemacht. Das kam völlig intuitiv, ich habe das so gestaltet, wie ich Rolle und Text empfand und habe nie - selbst bei Arien – eine gekünstelte Färbung der Stimme oder Betonung versucht.

Wie wichtig sind diese Auseinandersetzung mit Text und Sinn des Gesungenen bei der stimmlichen Gestaltung und die Textdeutlichkeit bei der gesanglichen Wiedergabe?

Der Text ist von zentraler Bedeutung. Der Sänger muss verstanden werden. Schon in der Hochschule, aber später auch bei Harry Kupfer hieß es: „Erzähle den Leuten das Stück.“ Das geht natürlich nur über den Text und die Musik. An der Wortdeutlichkeit zu arbeiten ist ein entscheidender Punkt. Nur dann können sich Wort und Musik verbinden und die nötige dramatische Wirkung vermitteln. Auch für das Publikum ist das doch von entscheidender Bedeutung. Je mehr es den Text versteht und je überzeugender die Darstellung ist, desto mehr kleben de Zuschauer an den Lippen des Sängers.

Staatsoper unter den Linden / Die Meistersinger von Nürnberg 2015, mit Reiner Goldberg links © Opernfotografie Detlef Kurth
Staatsoper unter den Linden / Die Meistersinger von Nürnberg 2015, mit Reiner Goldberg links © Opernfotografie Detlef Kurth

Sie stehen auch 2018 in Wiesbaden und Berlin in den Meistersingern von Nürnberg auf der Bühne. Wie wichtig sind Bühne und Theaterluft für Sie?

Die Bühne ist natürlich ein zentraler Teil meines Lebens. Wenn ich die Jahre im Sorbischen Ensemble mitzähle stehe ich 56 Jahre auf der Bühne. Natürlich ist viel passiert und für mich verbinden sich damit viele glückliche Stunden. Ein anderer Punkt ist aber der Spaß am Spielen. Ich hatte immer großes Lampenfieber. Damit muss man sich auseinander setzen und das muss man als Künstler auch akzeptieren und damit fertig werden, wenn man darunter leidet.

Wenn ich dann aber auf der Bühne stand und merkte, es ging, entspannte ich mich und hatte unglaubliche Freude am Singen und Spielen. Das war dann unglaublich erfüllend und hat mich immer tief bewegt.

Das gilt gleichermaßen für frühe und späte Rollen. Auch der Zirkusdirektor in der Verkauften Braut oder den Sendorf in Janáceks Makroupolos in München müssen dem Publikum glaubhaft vermittelt werden und sind wichtige Bestandteile der Stücke.

Mein Vorteil war wohl, dass ich unbefangen an die Musik herangegangen bin. Durch fehlende Opernbesuche in der Jugend war ich nicht vorgeprägt. Dadurch sah ich mir ein Stück an, fand immer berückende musikalische Aspekte und lernte das. Entsprechend lang war mein Weg zu Wagner vom Einschlafen in der Walküre mit zwanzig bis zum Siegfried auf der Bayreuther Bühne.

Musik ist auch für Sänger eben ein Zauber, in den er eintaucht. Ich bin in der Kirche in Crostau eingetaucht und schwimme noch immer. Mir ging es immer darum Zauber und Spiel miteinander zu verbinden. Die Musik, die Oper, das Konzert haben etwas Magisches und etwas Spielerisches. Das möchte ich dem Publikum vermitteln. Daran habe ich Freude.

Neben Ihrer Gesangstätigkeit sind Sie ein gefragter Pädagoge. Wie vermitteln Sie Sängern die Technik?

Ich habe mit dem Unterrichten kurz vor Ende meiner Hochschulzeit begonnen. Die ersten Versuche gehen natürlich dahin, anderen ein wenig Singen beizubringen. An der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin habe ich viele Jahre von Anfängern bis Fortgeschrittenen mit guten Erfolgen unterrichtet.

Ich glaube aber, dass ab Lehrer ab einem gewissen Alter Lehrer nur noch Sänger unterrichten sollten, die bereits auf einer gewissen Entwicklungsstufe stehen. Das ist dann für beide Seiten fruchtbarer und beglückender.

Einmal habe ich eine wunderbare Sängerin gehört mit einer traumhaften Stimme. Leider war sie technisch nicht ganz perfekt, hat sich zu stark verausgabt und in der Höhe gewackelt. Über Umwege haben wir dann einander als Schülerin und Lehrer gefunden, machen gemeinsam Unterricht, hören ab und zu, wie erwähnt, alte Platten, und lernen voneinander. Bei diesem Unterricht sind die Früchte des Erfolgs viel näher und die Fortschritte stellen sich viel schneller ein. Die alten Fehler der Schülerin sind völlig verschwunden und die Entwicklung ihrer Stimme macht mich sehr sehr glücklich.

Ein anderes Beispiel ist ein Sänger, der kaum deutsch spricht und mit dem ich den Loge einstudiere. Den habe ich selbst nie gemacht und studiert. Nach dem Studium mit ihm kann ich das auf einmal selbst und habe die Partie nun studiert. Auch das Feilen am Text und Ausdruck hilft sehr, weil der Lehrer auf einmal zum Zuhörer wird. Der Schüler soll ja nicht den Lehrer kopieren, sondern einen persönlichen Ausdruck entwickeln, damit er seine Persönlichkeit hervorbringt und damit die individuelle Wirkung auf das Publikum entfaltet.

Es sagt sich sehr leicht, dass man nur den Mund locker und unverkrampft lassen muss und dann die Stimme mit dem Atem führt. Es funktioniert zwar so, aber um das zu schaffen muss man eben üben und sich beobachten lassen.

Der Trick ist auch, die eigene Technik so vorzumachen, dass die Schülerin oder der Schüler versteht worum es geht und dass Lehrer und Schüler gemeinsam für den Schüler das Richtige umsetzen. Das erfordert von beiden Seiten Geduld aber das gemeinsame Bemühen ist dann oft von Erfolg gekrönt und es macht Spaß.

Es passiert eben beim Unterrichten oft, dass alles klappt und das sind dann beglückende Momente. Dann weiß ich, dass es mit der Musik immer weiter geht und freue mich über die vielen jungen Talente, die ich unterrichte oder anderswo höre.

Reiner Goldberg Beim Unterricht 2018 © Elke Goldberg
Reiner Goldberg Beim Unterricht 2018 © Elke Goldberg

Was ist Ihr Geheimnis, wie haben Sie diese lange Karriere so gut durchgestanden und wie sind Sie bis heute so gesund geblieben?

Ein wichtiger Leitspruch war für mich der Spruch meines Vaters: „Bleib bescheiden.“ Niemand ist unverwundbar: Im Studium habe ich meine Stimme nicht realistisch eingeschätzt und mich fast ruiniert. Natürlich kann ich das Niemandem vorwerfen. Hätte ich nicht mit den Ärzten und der Fürsorge Arno Schellenbergs nach meiner Überanstrengung während des Studiums so viel Glück gehabt, hätte ich wieder als Schlosser arbeiten müssen.

Entscheidend ist auch, aus Fehlern zu lernen. Ich habe selbst aus Pflichtbewusstsein oder Angst geprobt und versucht zu singen, obwohl ich krank war und musste sogar Vorstellungen abbrechen. Das habe ich eine bestimmte Zeit gemacht, aber dann nie wieder. Mein Glück ist, dass ich in wunderbaren Ensembles gesungen habe, an entscheidenden Momenten meiner Karriere die liebenswürdigsten Kolleginnen und Kollegen traf und Dirigenten fand, die mich schätzen und mit denen ich oft zusammenarbeitete.

Das Publikum hat mich oft gefeiert und wir hatten ein herzliches Verhältnis. Einer dieser vielen schönen Momente war mein Einspringen in Berlin als Stolzing in den Meistersingern kurz vor meinem sechzigsten Geburtstag. Die Stimme saß wie vor zwanzig Jahren und Publikum und Chor haben mich unglaublich gefeiert. Dass sind dann Erfolge, an die man sich gern und lang erinnert. Ich war gerade in meiner Geburtsstadt Crostau und habe dort in meiner geliebten Kirche mit Begleitung der Silbermann Orgel eine Arie aus Mendelsohns Elias und Beethovens "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre ..“ gesungen. Das ging noch wunderbar und war genauso gut, wie die Missa Solemnis, die ich 2011 in Würzburg gemacht habe.

Glück habe ich mit auch den Tonträgern gehabt. Da habe ich viel eingesungen. Opern wie Parsifal, Guntram, Salome, Daphne, Moses und Aaron, Wozzeck, Walküre, Fidelio, Siegfried, Mahlers Klagendes Lied und vieles mehr ist heute noch auf CD, bei den Streaming-Diensten und auf YouTube verfügbar. Mit meiner Karriere und meiner Lehrtätigkeit bin ich sehr glücklich. Gesundheitlich habe ich Glück gehabt und bin nach einer Operation vor zwei Jahren auch wesentlich fitter als zuvor.

Den Sängern im heutigen Opernbetrieb kann man nur wünschen, dass mit den Menschen, denen sie begegnen, Glück haben. Sie müssen sich selbst kritisch beobachten und Nein sagen können, um sich nicht zu früh zu verausgaben.

In der Praxis ist das unglaublich schwer. In der DDR würden Sänger behütet und gehätschelt, weil es nicht so viele gab. Vielleicht wäre ich im Westen auch schon mit vierzig unter die Räder gekommen oder hätte vorzeitig mein ganzes Geld verjubelt.

Weitere Faktoren sind Glück, Zufall und Gesundheit. Ohne meine Kolleginnen und Kollegen, die mich empfahlen und vielen anderen glücklichen Umständen wie guten Dirigenten und Intendanten wäre meine Karriere vielleicht auch anders und weniger erfolgreich verlaufen.

Den Weg zum Sänger und die Überlebensstrategien für die Bühnenlaufbahn muss jeder finden. Wichtig ist, sich ständig zu überwachen und die stimmliche Entwicklung und Situation und das mentale Befinden zu beobachten. Geht etwas in eine falsche Richtung, sollte man Handeln, bevor es zu spät ist. Entscheidend ist aber auch und das kann man selbst beeinflussen, dass man die Musik liebt und sie mit ganzem Herzen und voller Leidenschaft macht.

Herr Goldberg, vielen Dank für das Gespräch. Bleiben Sie gesund und erfreuen sie uns mit vielen weiteren Auftritte und Aktivitäten.

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