Halle, Theater Halle, Herzog Blaubarts Burg - Bremer Freiheit, IOCO Kritik, 09.05.2017

Halle, Theater Halle, Herzog Blaubarts Burg - Bremer Freiheit, IOCO Kritik, 09.05.2017
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Theater und Orchester Halle

Oper Halle © Falk Wenzel
Oper Halle © Falk Wenzel

Herzog Blaubarts Burg   und Bremer Freiheit"Sinnlichkeit in Pink und Doppelung des Schreckens"

Crossover Inszenierung von Fassbinders Schauspiel Bremer Freiheit und Bartoks Oper Herzog Blaubarts Burg

Premiere 6.5.2017, weitere Vorstellungen 12.5., 21.5., 27.5. und 31.5.2017

Von Guido Müller

Bela Bartoks Operneinakter zum Libretto von Bela Balazs Herzog Blaubarte Burg von 1911 dauert keine Stunde und stellt Opernhäuser immer wieder vor die Herausforderung, ein anderes Werk, häufig eine andere Kurzoper oder ein Ballett damit zu koppeln, um den Opernbesuchern einen vollwertigen Opernabend zu bieten. Dabei stellt das Werk in seinem impressionistischen und expressiven Rausch und seiner Tiefenpsychologisierung schon höchste Anforderungen an das Riesen-Orchester und die zwei Sängerdarsteller des Blaubart und der Judith, die deutlich über Richard Strauss hinaus gehen und die Tür zur modernen Musik des 20. Jahrhunderts weit öffnen. Wegen Unspielbarkeit 1911 in Budapest abgelehnt kam das Werk auch erst 1918 zur Uraufführung.

 Theater Halle / BREMER FREIHEIT © Tobias Kruse
Theater Halle / BREMER FREIHEIT © Tobias Kruse

Am Opernhaus Halle ist die Leitung nun den zunächst ungewöhnlich anmutenden Weg gegangen, den Einakter (in der deutschen Fassung von Wilhelm Ziegler) mit einem frühen Schauspiel von Rainer Werner Fassbinder von 1972 zu verzahnen in einer Crossover-Inszenierung von Thirza Bruncken, die in der Opernregie debütiert. Wenn man sich bewußt macht, dass auch Bartoks Oper ein gesprochener Schauspiel-Prolog vorangestellt ist (der in Halle den Abend eröffnet und sonst leider oft gestrichen wird) und das Werk zudem der Filmästhetik verwandt ist, wirkt dieses Crossover schon keineswegs mehr so irritierend. Zudem stellt der Prolog die Frage, wo sind eigentlich Bühne und wo Zuschauerraum. Diese traditionelle Trennung mit der Guckkastenbühne versuchen die neuen Produktionen dieser Spielzeit am Musiktheater Halle auf sehr unterschiedliche und originelle Weise aufzuheben.

Das auf den ersten Blick verbindende Element von Schauspiel und Oper ist der Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau, beides Serienmörder. Dargestellt zum Einen in Fassbinders ironisch betitelter "Bürgerlicher Tragödie" in Gestalt der historischen Massenmörderin Ge(e)sche Margarethe Gottfried, die 1831 in Bremen hingerichtet wurde. Mit dem Ziel der Befreiung aus ihren geschlechtlichen und materiellen Fesseln vergiftet sie nacheinander alle nächsten Angehörigen. Ernsthaft ein Vorbild kann diese Geesche doch für keinen Emanzipationskampf sein. Daher ist das Etikett "Bürgerliches Trauerspiel" genauso Fassbindersche Ironie wie der Titel Bremer Freiheit und die ganze Handlung schwer ernst zu nehmen.

Theater Halle / Herzog Blaubarts Burg © Tobias Kruse
Theater Halle / Herzog Blaubarts Burg © Tobias Kruse

Bartoks auf einen französischen Märchenstoff zurück gehende Oper rückt auf der anderen Seite symbolistisch-tiefenpsychologisch die verborgenen Wünsche und Begehren des Mannes Blaubart in den Mittelpunkt, denen seine vierte Frau Judith nachspürt. Mit ihrer Liebe will sie die verschlossenen Seelenkammern Blaubarts öffnen und die dunkle Burg erhellen. Am Ende wird sie aber nach dem Blick in Blaubarts Psyche und auf die drei getöteten Vorgängerinnen Morgen, Mittag und Abend zur Nacht erstarren. Blaubart verschwindet ins schweigende ewige Dunkel. Bei allem betörend-baritonalen Schöngesang kann uns dieser narzistische Macho doch kaum echte Bewunderung abverlangen. Der Geschlechterkampf findet keine versöhnliche Lösung in beiden Werken. Geesche wird geköpft, Judith erstarrt und Blaubart versinkt im Nichts. Kein soziales, kein Gender- und kein Märchen-Happy-End ...

Die in einem bizzaren, mit Zitaten von Barbie-Puppen-Ästhetik, expressionistischem Stummfilmkino à la Nosferatu und zeitgenössischen TV-Familien-Soaps puppenstilartig bis in die Botox-Masken hinein inszenierten Werke werden durch ein einheitliches Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Christoph Ernst) einer pinkfarbigen Pappmacheburg auf der Drehbühne zusammen gehalten. Dessen geheime Verliese erinnern an das Peiniger-Haus der eingesperrten und gefolterten Natascha Kampusch  und an die Wohnzimmer/Küchen-Ästhetik der Ekel Alfred TV-Serie der 1970iger Jahre "Ein Herz und eine Seele".

Das öffnet den Blick hinter die Fassaden politischer Korrektheit und bürgerlicher Normalität in das Entsetzen und Exzessive. Das verbindet auch die drei Zeitebenen des mythischen Mittelalters, des frühen 19. Jahrhunderts und der bis heute prägenden 1970iger Jahre dieser Inszenierung. Dieser sezierende Blick in die Abgründe des Menschen, in seine Doppelrolle von Täter und Opfer, in das Erschreckende und die Abgründe des Menschen verbindet Fassbinder und Bartoks Werke, die geradezu sinnliche Lust am Blick auf Obzönität und die Macht des Mordens zeigen, nur getarnt hinter den Masken des Kampfes um die Gleichberechtigung und Freiheit. Die Doppelung der Gleichzeitigkeit von Täter und Opfer, die Janusköpfigkeit des Schreckens, durchzieht den ganzen Abend, der nicht nur Schauspiel und Oper verzahnt sondern auch Extremzustände. Auch die Schauspieler spielen in der Oper Rollen und die Sänger im Schauspiel und doppeln sich über Geschlechterunterschiede hinweg.

Sowohl die Werke wie die konsequent mit verschiedensten Theatermitteln auch der Musikeinspielungen, der Choreographie, des Slapsticks, der Text-Wiederholungen, des Übersprechens, des Films und dem Rollentausch zwischen Männern und Frauen zuspitzende Inszenierung erlauben dem Zuschauer keinen bequemen Theaterabend. Sie gehen unter die Haut. Daher die Empörung und Verstörung, die dieser Abend vielleicht auch gerade wegen der grandiosen musikalischen und guten schauspielerischen Leistungen im Publikum und auch bei mir hinterließ. Darf ein Opernhaus so viel schlechten Geschmack und Grauen slapstickartig zeigen und anprangern? Und dies gerade auch noch in einer Zeit, in der in Halle besorgte Bürger wieder einmal die Verschwendung der Steuergroschen für solche Bühnenexperimente lautstark beklagen, angeführt von einer hiesigen Regionalzeitung. Und in der wieder ernsthaft vor allem von ostdeutscher Seite her um "Leitkultur" und "deutsche Kulturwerte" diskutiert wird.

Diese Inszenierung macht deutlich, dass gerade heute die Oper lebendig und risikofreudig solche Experimente eingehen muss, um nicht zur musealen Reservatenkammer zu verkommen, sondern aufzuwecken, peinlich zu peinigen und zu provozieren - wie Bartoks in Ungarn nach der Entstehung sogar verbotene Oper und Fassbinders Stücke in den 1970iger Jahren. Während das Stück Fassbinders textlich durchaus stark den frühen 1970iger Jahren verbunden eine gewisse Patina angesetzt hat, somit des Pepps der Inszenierung wohl stärker bedarf, bewährt sich in Bartoks immer wieder überwältigender musikalischer Sinnlichkeit und Expressivität seiner Oper die Genialität des Einakters. Schade, dass Bartok nicht wie Puccini ein Opern-Triptychon geschaffen hat.

Die herausragend spielende Staatskapelle Halle unter der straffen und gespannten musikalischen Leitung von GMD Josep Caballé-Domenech zeigte auf prächtige und berauschende Weise die Qualität der Komposition. Gerd Vogel sang den Blaubart ebenso balsamisch-verführerisch wie bedrohlich-expressiv. Anke Berndt gestaltete souverän und ausdrucksstark den schwierigen gesanglichen Part der Judith. Gedoppelt wurde sie in einigen Sequenzen von der jugendlicheren Gesangsstimme der Felicitas Breest. Alle drei spielten auch in der Bremer Freiheit mit, das wesentlich von den Schauspielgästen Susanne Bredehöft, Thorsten Heidel und Mirco Reseg getragen wurde. Während Bartoks Oper nach diesem kaum gleichgültig lassenden und unterhaltsamen Abend sicher auch in anderen Koppelungen weiter leben wird, bleibt von diesem Crossover-Experiment der Oper Halle der Eindruck eines bilderreichen, lebendigen Theaterabends, der auch den sinnlichen Reiz der Kombination von Fassbinder-Schauspiel und Bartok-Oper in pink beeindruckend demonstriert hat.

Herzog Blaubarts Burg  und Bremer Freiheit: Weitere Vorstellungen 12., 21., 27. und 31.5.2017

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