Essen, Aalto Ballett Theater, Der Nussknacker - Verträumt, Verspielt, Verwunschen, IOCO Kritik, 22.12.2016
Der Nussknacker von Peter Tschaikowski
Verträumt, Verspielt, Verwunschen
Von Viktor Jarosch
Der Nussknacker, das von E.T.A. Hoffmann 1816 geschriebene Kunstmärchen um Erwachsenen- und Kinderwelten, über Träume und Wirklichkeiten formte Modest Tschakowski zu einem Theaterstück, vertonte Bruder Peter Tschaikowski. 1892 in St. Petersburg uraufgeführt ist der Nussknacker mit seinen Träumen bis heute aktuell, ist eines der populärsten Ballette der Musikgeschichte. Tschaikowskis Werke, gleichgültig ob in klassischer oder moderner Choreographie, sind nahezu immer Publikumslieblinge; sie stellen aber auch hohe Ansprüche an tänzerische wie schauspielerische Fähigkeiten der Darsteller. Die Erwartung voller Häuser und schneller Gewinne lockt auch zweitklassige Compagnien, deren Niveau für Tschaikowskis Werke oft nicht reicht. Die einfache Lösung der Überforderung: Schwierige Stellen der Musik werde gestrichen oder durch andere Komponisten ersetzt. Man lerne: Ein Nussknacker hat gelegentlich mit Tschaikowski nur noch am Rande zu tun. So prüfe, bevor man sich bindet! Das Aalto Ballett Essen und Ballettchef Ben Van Cauwenbergh tanzen in der Spitzenliga deutscher Ballettcompagnien. Hohe Auslastung sind sichtbares Wahrzeichen überregionaler Wertschätzung des Aalto Ballett; mit modernem und klassischem Handlungsballett. Choreographien des Aalto Ballett gerne auch an anderen großen Theatern Europas getanzt.Gefragt, warum er die so weit bekannte Geschichte um den Nussknacker neu erzählen möchte, zeigt van Cauwenbergh große Nähe zu kleinen Besuchern: „Der Nussknacker wurde 2007 zum letzten Mal in Essen gespielt; ich sehe es als meine Pflicht an, das Stück wieder zu präsentieren: Das Publikum braucht es, das Haus braucht es und für unsere Compagnie ist es wichtig einen Klassiker zu tanzen“. Wo sieht Van Cauwenbergh die Schwerpunkte seiner neuen Choreographie: „Ich finde es wichtig, daß Publikum immer neu zu begeistern. Meines Erachtens ist der Nussknacker, obwohl er dem Stück seinen Namen gibt, nicht die Hauptfigur. Mein Fokus (NB: „in meiner Choreographie“) liegt auf den Kinderfiguren Clara und Louise, ist der Prinz bei uns als Karl von Beginn an Teil der Geschichte, ist der Patenonkel Drosselmeier kein alter Mann sondern eine echte, tänzerische Figur, die eine zentrale Rolle spielt. Ich möchte die Welt der Kinder aus verschiedenen Blickwinkeln darstellen, Kinder ins Theater holen, Kinder auf die Bühne bringen“. Van Cauwenbergh weiß, wovon er spricht: Den Nussknacker hat er oft selbst getanzt und mehrfach choreographiert.So schwelgt der Nussknacker im Aalto - Theater in farbiger Opulenz; unzählige Bilder führen zart wie humorvoll in die Welten von Kindern: In der festlichen Villa der Stahlbaums in schneeverhangenem Winter (Bild) trifft Familie Rattenstein in flottem Auto ein. Mutter Stahlbaums Plan: Tochter Louise soll mit Herrmann verkuppelt werden; es gilt eine gesellschaftlich perfekte Familie zu zeigen. Geschenke werden getauscht, man flaniert. Doch bald zeigt die Beziehung Risse; nicht nur wegen des ständig über ein Tigerfell oder anderes stolpernden Hausdiener (Tomas Ottych), alias Butler James aus Dinner for One, der auch das Auto der Rattensteins in betäubenden Knall "zerlegt". Sekt wird getrunken, eine scheinbar coole Party mit atemberaubenden 40 Tänzern, 120 unterschiedlichen Kleidern, Anzügen und 45 verschiedenen Kopfbedeckungen (Ulrich Lott, Regina Weilhart) nimmt Fahrt auf. Doch Hermann kann Louise (Yanelis Rodriguez) nicht gewinnen: In Van Cauwenberghs Inszenierung verliebt sich Louise in Karl (Aidos Zakan), den ebenfalls eingeladenenNeffen von Patenonkel Drosselmeier. Drosselmeier schenkt der jüngeren Tochter Clara (Laura Kubicko) einen Nussknacker, um den sich mit Rattensteins heftig gestritten wird, bis diese empört das Fest verlassen.
Louise liest Clara eine Geschichte vor; beide fallen in einen tiefen Schlaf voll weihnachtlicher Traumwelten. Der Nussknacker steht unbeachtet; ein riesiger Weihnachtsbaum voller Geschenke leuchtet im Hintergrund; der Hausdiener "schiesst" mit einem Fotoapparat die Festgesellschaft und schläft auch auf dem Tigerfell ein. Claras verspielte Traumwelten beginnen zu blühen: Ein Riesenpendel symbolisiert die Zeit; ein Kampf der Nussknacker gegen eine Rattenhorde wird durch eine "Riesenrattenfalle" etwas unernst entschieden; Projektionen vermitteln weihnachtliches Alpenglühen; der Hausdiener "James", in schwarzem Frack, zieht auf Schlittschuhen weite Kreise über die Bühne.
Den Weg durch die Traumwelten zeichnet Van Cauwenbergh mit üppigen Projektionen und Charme wie Humor auf der Bühne: Carla, Louise auf ein einem Boot, Drosselmeier, nun ein Zauberer mit züngelnder Kappe und weit wehendem Umhang (Moisés León Noriega) begleitet sie. Eine Wassernixe schwimmt vorbei, verwunschene Figuren steigen auf und entschwinden. Der Zauberer führt Louise und Karl sanft durch Schneegestöber in das Reich der Süßigkeiten und verheiratet sie. Carla erlebt die mitreißenden tänzerischen Höhepunkte der Nussknacker-Komposition zu wechselnden Blumen-Projektionen: Den herrlich choreographierten Spanischen, Arabischen und Chinesischen Tanz, den mitreißend akrobatischen russischen Trepak (
Wataru Shimizu),den Tanz der Rohrflöten, den Tanz der Zuckerfee.... verzaubernd vorgetragen von den Solisten und dem Corps de ballet des Aalto Ballett Essen sowie Schülerinnen des Ballett-Studio Roehm.
Die Essener Philharmoniker unter Yannis Pouspourikas fügen sich zart wie feurig in die Traumwelten von Clara und Louise; Kastagnettenrasseln, silbern klingelnde Celesta, anmutige Violinsoli im Blumenwalzer verzaubern mit Tschaikowskis betörender Klangpalette das Aalto Theater. So zeigt sich der Nussknacker im Aalto-Theater Essen als Kindern gewidmetes, unaufgesetzt verträumtes Weihnachtsmärchen, welches auch den meist Erwachsenen unbändige Freude bereitet. Die Choreographie Ben Van Cauvenberghs bringt Humor und Zärtlichkeiten gepaart mit tänzerischer Virtuosität auf die Bühne; neue Deutungen werden in Essen nicht versucht. Die meist großen Besucher waren begeistert: Bewiesen durch großen, lauten Beifall des ausverkauften Hauses.Der Nussknacker im Aalto Theater Essen; weitere Vorstellungen 25., 29. Dezember 2016; 1., 8., 15. Januar 2017.
---| Pressemeldung Aalto Ballett Essen |---
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