Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, La Giuditta von Alessandro Scarlatti, IOCO Kritik, 13.2.2017

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, La Giuditta von Alessandro Scarlatti, IOCO Kritik, 13.2.2017

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold

Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold

"SCHÖNHEIT WIRD SIEGEN" La Giuditta von Alessandro Scarlatti

Von Ljerka Oreskovic Herrmann

Die szenische Aufführung des Oratoriums La Giuditta für drei Stimmen, Streicher und Basso continuo von Alessandro Scarlatti entstand in einer Kooperation zwischen dem Hessischen Staatstheater Wiesbaden, der Hochschule für Musik Mainz, dem Exzellenz-Programm BAROCK VOKAL (Künstlerische Leitung: Univ.-Prof. Claudia Eder) und dem Museum Wiesbaden. Warum ist das so wichtig? Weil in diesem Fall gerade die Öffnung des Blickes – ins Musikalische, zur Szene und zum bildnerischen Werk einer ganzen Epoche – auch das Fenster in die bis heute uns prägende Kultur Europas öffnet.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic, Hyemi Jung, Christian Rathgeber © Paul Leclaire
Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic, Hyemi Jung, Christian Rathgeber © Paul Leclaire

Wer im vergangenen Herbst/ Winter das Glück hatte, die unglaubliche und überwältigende Ausstellung Beyond Caravaggio in der National Gallery in London besuchen zu können, erlebt zunächst eine Enttäuschung, denn Caravaggios Werk ist nur ein Mal in Kopie vorhanden. Und doch eine so wesentliche Erkenntnis der Ausstellung: Neapel war im 17. Jahrhundert die zweitgrößte Stadt mit 300.000 Einwohner und ein bedeutendes kulturelles Zentrum Europas, was zum ersten Mal in einem deutschen Museum eine umfassende Würdigung erhält.

Doch es war nicht nur die bildende Kunst, die Neapel so anziehend machte, sondern auch die Musikszene. Und so berührten sich beide Kunstformen, richtete sich das Interesse beider oftmals auf dieselben (antiken) Sujets, wie in unserem Fall auf die Geschichte von Judith und Holofernes. Das Museum zeigt das Bild Judith enthauptet Holofernes von Artimisia Gentileschi, eine Malerin des 17. Jahrhunderts, gleich am Eingang und es erspart uns nicht den Schrecken, den diese Tat auf uns ausübt. Francesco Solimenas Gemälde von 1728  Judith zeigt dem Volk das Haupt des Holofernes verklärt die Tat als Triumph einer Frau über den Feldherrn.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic © Paul Leclaire
Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic © Paul Leclaire

Bei Alessandro Scarlatti wird daraus ein Triumph der Schönheit – eine berückende Musik, die die mörderische Giuditta nicht zu einem Monster werden lässt, sondern ihre äußeren Vorzüge hervorhebt. Sie ist schön, aber auch eine mutige Frau, denn sie wagt den Tyrannenmord, wofür sich offensichtlich kein Mann bereit gefunden hat. Wie überhaupt Judith in der Bibel keine rollenkonforme Frau ist, und auch die Opernfigur Giuditta nicht zu den tragisch endenden Heldinnen gehört.

Scarlattis Musik ist auf Seiten der „belleza“ und damit bei den Frauen ohne allerdings den Mann (in ihm) zu verraten. Die Überzeugung, dass Schönheit siegen muss, weil sie das größere Verführungspotential besitzt, beglaubigt sein Oratorium bis zum Schluss. Es ist zugleich der Ausdruck einer zutiefst humanistischen Hoffnung, dass „Schönheit“ die „Hässlichkeit“, nämlich die Gewalt, überwinden kann – obwohl „frau“ einen Preis zahlt.

Es ist die Version La Giuditta >a tre< für drei Solisten, die im Kleinen Haus des Staatstheaters gegeben wird. Der Ort ist gut gewählt, da die kleinere Bühne eine Intimität und Nähe sowohl für das Stück als auch für das Publikum herstellt. Scarlatti hat das Oratorium um 1697 geschrieben, das als die „Cambridge-Giuditta“ bekannt ist, da das Manuskript im Rowe Music Library am King’s College in Cambridge aufbewahrt wird. Das Orchester besteht aus zwei Violinen (Swantje Hoffmann und Julia Huber-Warzecha), Viola (Silke Volk), Violoncello (Daniela Wartenberg), Violone (Ichiro Noda), Laute (Toshinori Ozaki) und Cembalo (Sabine Bauer). Ihnen ist unter der hervorragenden Leitung von Christian Rohrbach eine packende und mitreißende Vorstellung gelungen und zeigt, wie Musik den Schrecken ob der Geschichte in puren musikalischen Genuss verwandeln kann.

Die zwei Sängerinnen und ein Sänger zeigen die Geschichte in ihrer konzentriertesten Form: Giuditta – gesungen von der Sopranistin Radoslava Vorgic – schafft es die Bedenken ihrer Nutrice/ Amme auszuräumen und gemeinsam mit ihr in das Lager von Oloferne zu gelangen, um diesen zu ermorden und damit die Belagerung von Bethulia zu beenden. Dort vermag sie all ihre Reize – sängerisch wie spielerisch – im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen: Er erliegt ihr.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic, Hyemi Jung © Paul Leclaire
Hessisches Staatstheater Wiesbaden / La Giuditta - Radolslava Vorgic, Hyemi Jung © Paul Leclaire

Matthias Schaller hat die Bühne für diesen intimen Rahmen geschaffen. Sie besteht aus zwei betonfarbenen Schießscharten, die wahlweise auch als Schrank dienen können, damit Giuditta ihren Garderobenwechsel zwecks Verführung auf offener Bühne vollziehen kann. Mal bilden sie auch eine Art Spalier (fast an Barockgärten erinnernd) um die beiden sich auf einer Bank näher kommen zu lassen. Dann am Ende gibt es nur noch das Bettlager, als Oloferne sich endlich am Ziel wähnt. Die Arie der Nutrice – ein wunderbarer Alt von Hyemi Jung – sollte ihn warnen, denn sie „lullt“ ihn wider besseres Wissen mit der Geschichte von Samson und Dalila ein. Der Tenor Christian Rathgeber gibt den Feldherrn, der doch weiß, wo der verwundbare Punkt ist: nämlich als Mann. Er ist den beiden Damen durchaus ein ebenbürtiger Partner. Mit viel Spielwitz und (Sanges)Freude gelingt eine kleine, aber feine Aufführung, in der alle drei Beteiligten begeistern können.

Am Ende ist aber der Kopf ab – die Regie die Tat dankenswerter Weise weder richtig zeigt noch Blut spritzen lässt. Der tote Oloferne wird nach hinten gerollt und statt seines Kopfes liegen die zuvor gereichten Melonen symbolträchtig herum. Für die Kostüme zeichnet Claudia Weinhart verantwortlich, die neben dem Militaristischen (Oloferne am Anfang und einige Soldaten), auch Verspieltes (Kleider der Giuditta) und Gold (Olofernes Anzug) als Symbol der Macht – bis heute beliebt bei den Mächtigen! – präsentiert. Die Regie lag in den Händen von Chris Pichler, die eine solide und auf die Wirkungsmächtigkeit der Musik bauende Inszenierung zeigte, und ein andres Ende erzählt indem sie eine „Liebe“ andeutet: eine zusätzliche in c-Moll geschriebene Arie „Ombre voi“ („Ihr Schatten“) von Scarlatti. Giuditta ihres „Verführungskleides“ beraubt, im Unterkleid singend, steht nun nicht mehr als Heldin, sondern als Frau da – alleine, beinahe trauernd und enttäuscht ob ihres Handelns. Einhelliger Applaus.