Wien, Wiener Staatsoper, Opernball – Laufsteg der Eitelkeiten – Wer wird Mörtels Gast? IOCO Aktuell, 10.02.2011
Februar 12, 2011 by
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Der Laufsteg ungebremster Eitelkeiten
Opernball in der Wiener Staatsoper
Trotzdem: Ioan Holender, bis 2010 langjähriger Intendant der Wiener Staatsoper und weltweit respektierte Opern-Institution, hasst den Opernball der Staatsoper. Richard „Mörtel“ Lugner, 78, ehemaliger Bauunternehmer, erwirbt durch den Opernball jedes Jahr neu schräge Berühmtheit. Weniger durch Musik als durch abgehalfterte Filmsternchen wie Pamela Andersen, Paris Hilton, Lindsay Lohen oder Stripperin Dita von Teese („der Ball ist nackt“), welche „Mörtel“ seit 1991 mit hohen Gagen und öffentlichkeitswirksam zum Staatsopernball in seine Loge, Miete € 17.000, lockt.
Und so konzentriert sich auch 2011 das mediale Interesse am Wiener Opernball weniger auf musikalische Themen sondern, lebensfroh, auf die wahrhaft zerreissende Frage: Wer wird in diesem Jahr Logengast von „Mörtel“ ? Und: Kommt auch Tochter Jaqueline zum Ball oder bleibt sie zu Hause? bei dem Opernball-feindlichen Freund Helmut? Elina Garanca allerdings, durch Lugners Getöse nur noch am Rand erwähnt, wird den Opernball am 3. März 2011 besuchen und singen. Im letzten Jahr verweigerte sie sich noch, nachdem Ioan Holender in seinem Buch „Ich bin noch nicht fertig“ feststellte, daß Garanca´s Karriere ihren Charakter negativ verändert habe.
Am 3.3.2011 ab 20.15 Uhr, immer zu Altweiberfastnacht, wird man alles wissen. Der Opernball, das überragende Ereignis der Wiener Ballsaison, nimmt dann seinen Lauf. 15 Kameras des ORF und vier mobile Filmteams werden live berichten. Opernsänger der Staatsoper schmettern Spektakel-konforme Arien. Die Eintrittskarte zum Opernball kostet € 230, nur, damit allein sieht man noch nicht viel. Für €17.000 mit Gästen in einer Rangloge logierend, kann man den Einzug der Jungdamen- und Herrenkomitees oder der Mitternachtsquadrille auf dem Parkett ungestört verfolgen. Man muß aber nicht in Ranglogen Sekt schlürfen oder sich im umgebauten Parkett des Opernhauses im 3/4 Takt wiegen. Man kann den Opernball auch preiswerter haben: Auf der Galerie den preiswerten Kleinen Opernball feiern, in einem Heurigen der Oper gemütlich Wein trinken, in einer Disco moderne Musik hören oder im Spielcasino Fortuna versuchen. Oder im 6. Rang für € 160 einen Tischanteil für 2 Personen erstehen. Dem Frackzwang des Abends begegnet der Preisbewußte mit gemieteten Utensilien.
Der ehemals gepflegte, fast familiäre Opernball der Wiener Künstler, inmitten einer weitgehend geschlossenen Wiener Gesellschaft, entwickelte sich in den letzten 20 Jahren zu einem medialen Großereignis, zu einem Laufsteg ungebremster Eitelkeiten. 12.000 Besucher kämpfen jährlich um Karten. Der Ball von Künstlern für Künstler wandelte sich zum Ball des Volks wie Geldadels. Die Logen der Oper dienen zunehmend der Geschäftsanbahnung, wienerisch als `Landschaftpflege´ gewürdigt. Im gegenüberliegenden Hotel Sacher wird reichlich vorgefeiert (vorgeglüht).
Wien besitzt eine sehr reiche Ball-Tradition und feiert – zumeist im Winter – nahezu 450 Bälle in allen Preis- und Ausstattungskategorien. Vom Gschnas ( fröhliches Kostümfest) über den Bürgerball zum medialen Höhepunt dem Opernball. Ein Reigen der Tanzkultur fächert sich auf: Die Debütantinnen auf Opernball, andere auf dem BonbonBall (4.3.) dem Moskauer Wohltätigkeitsball, dem anregenden Kaffeesiederball, dem Integrationsball, dem Regenbodenball, dem Life Ball oder dem 90 Jahre alten Jägerball in der Wiener Hofburg, …….Für ausländische Nachrichtenblätter dagegen reduziert sich die Wiener Ball-Tradition auf einen einzigen Ball, den Wiener Opernball . 2011 wird dieser Wiener Opernball 75 Jahre alt. Erstmals 1935 als Wiener Opernball für karitative Zwecke aus der Taufe gehoben, findet dieser Ball regelmäßig am letzten Donnerstag vor dem Höhepunkt des Karnevals, am Altweiberfastnacht in der Wiener Staatsoper statt. Seine Tradition reicht bis zu den Zeiten des Wiener Kongresses, 1814/15. Künstler der Hofoper veranstalteten damals aus Anlaß des Welt-Ereignisses regelmäßig Tänze für die illustren Gäste des Kongresses. Diese Tradition lebte weiter. Seit 1877 gab es Opernbälle als Soirée in der Wiener Staatsoper. So entwickelten sich über Jahrzehnte die alten Bräuche weiter; bis diese 1935 in die heute gelebten Rituale mündeten. Im Februar 1956 fand der Wiener Opernball nach dem 2. Weltkrieg seine Fortsetzung. Erst kurz zuvor, am 9.11.1955, war die im Krieg zerstörte Wiener Staatsoper mit Fidelio und Karl Böhm wieder eröffnet worden.
Traditionsorientierte Wiener meiden das aus ihrer Sicht, leicht verrufene Klatschspektakel des Opernballes. Sie flüchten zu Bällen, welche ihre Ursprünglichkeit mehr bewahrt haben. Trotzdem: Die Vox Populi hat durch Medialisierung des Wiener Opernballes dortige Balltraditionen eingeholt und verändert. IOCO / VJ / 10.02.2011
Wien, Wiener Staatsoper, Pressekonferenz am 16.6.2010 oder: Der lange Abschied des Ioan Holender
Juni 24, 2010 by
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besucht
Pressekonferenz am 16.6.2010 oder: Der lange Abschied des Ioan Holender
Ioan Holender, 75, lebende Ikone der Musikwelt, österreichisch sperrig immer als „Staatsoperndirektor“ tituliert, seit seiner Jahrespressekonferenz vom 2.4.2009 auf Abschiedstour, verläßt seine Bühne an der Wiener Staatsoper endgültig am 30. Juni 2010. Er wird dann, mit 19 Amtsjahren längstdienender Direktor der Staatsoper sein (bisheriger Titelhalter: Wilhelm Jahn, 16 Jahre, von 1881 – 1897). Und formte in dieser Zeit die Wiener Staatsoper zum führenden Musiktheater weltweit. Die Staatsoper wurde Richtungsgeber für Musiktheater, Künstler und Kulturmanager in allen Ländern.
Und auf dieser Abschiedspressekonferenz als Staatsoperndirektor, auf der Probebühne des Eberhard-Waechter-Saales (IOCO war dabei), durchlief Holender, so selbstbewußt wie von Zweifeln unbelastet, eine Hommage an sein Wirken der vergangenen 19 Jahre:
1959 aus Rumänien mit seiner Mutter in Wien angekommen, begann Holender als Statist am Wiener Burgtheater, sang im Volkstheater an der Seite von Fritz Muliar, begann als „passabler“ Bariton am Klagenfurter Stadttheater und trat 1967 in eine Künstleragentur ein, welche er später übernehmen sollte. Dort tröstete er Placido Domingo, welcher nach Vorsingen beim damaligen Staatsoperndirektor Egon Seefehlner durchfiel. Und entwickelte die sängerfokussierte Vita, welche Holender so sehr für die Wiener Staatsoper qualifizierte und ihn von seinen meist regiedominierten und/oder gesangsunerfahrenen Intendanten-Kollegen unterscheiden sollte. Holender hat die Leiden eines Sängers auf der Bühne durchlebt, kennt deren Nöte, Hoffnungen und Freuden. Und entwickelte mit diesem Wissen über 19 Jahre den einzigartigen Klangkörper der Wiener Staatsoper. Wurde zum Entdecker, Mentor, Ratgeber ganzer Sängergenerationen der Welt.
Ulrich Weinzierl, Redakteur der Welt, beschreibt Ioan Holender als jovialen Despot. Alles hört auf sein Kommando, kein Widerspruch wird geduldet. Für seinen Thron an der Spitze der Wiener Staatsoper sei die Beschreibung „Schleudersitz“ blanke Untertreibung. Holender selbst äußert sich allerdings auch gerne kontrovers zu Personen und Ereignissen außerhalb der Wiener Staatsoper:
– Seefestspiele Mörbisch: Es ist das gesellschaftliche Treiben, das die Leute anzieht; der Impressario ist inzwischen bekannter als das Festival.
– Bregenzer Festspiele: Mit Kunst im Sinne des Werkes und dessen Schöpfer hat es wenig zu tun. Man generiert ein Unterhaltungsereignis und der Vorwand ist die Oper.
– Salzburger Festspiele: Ich fühlte mich dort stets fremd, der gesellschaftliche Anteil überwog der künstlerischen. …die von Möchtegernern und Wichtigmachern dominierte…..
– Egon Seefehlner: Hat immer geraten, mehr Geld auszugeben, als man bekäme. Damit nachbudgetiert werde.
– Claus Helmut Drese, Operndirektor: Von Sängern wußte er wenig und die Beurteilung von Stimmen zählte nicht zu seinen Tugenden.
– Claus Peymann: …wurde zu einem Darsteller, der sich durch Provokationen und politische Attacken im Gespräch zu halten versuchte….
– Lorin Maazel: Von rührender Naivität..Beispielsweise verlangte er Bilder, die ihm gefielen, aber der Republik gehörten, für seine Privatwohnung. Dafür versorgte er die genehmigenden Beamten mit Freikarten.
– Neil Shicoff: besitzt ausgeprägte monomanische Züge….
– Regisseure: Ich halte deren übermäßige Bedeutung, Honorierung und „durch diese“ erzeugte Belastungen an Musiktheatern für weit überzogen.
– Sven-Eric Bechtolf, Regisseur: Ist ein Grünschnabel und versteht nichts von Oper (über Bechtolfs Kritik an einer sängerischen Besetzung) und sollte sich zurückhalten.
– Der Opernball: Die Gäste seien mehr Schein als sein
Die besten Sprüche von Ioan Holender finden man übrigens unter www.kurier.at/kultur. Rauer Kritik an seiner Berufung an die Staatsoper begegnet Holender dagegen immer noch ungewöhnlich dünnhäutig: „Ich kann sie nur so interpretieren, daß man einen rumänischen Juden….“.
So begann Ioan Holender die Abschieds-PK mit tiefer Referenz an Eberhard Waechter, damaliger Direktor der Wiener Staats- und Volksoper, der ihn 1991 überraschend fragte, ob er nicht seine Agtentur verkaufen und Generalsekretär an der Wiener Staats- und Volksoper werden wolle. Holender wollte und der überraschende Tod Waechters im März 1992 führte dazu, daß der österreichische Kanzler, Franz Vranitzky, ihn zu dessen Nachfolger vorschlug. So Holender auf der PK, unglaublich bescheiden: Ich habe die Position nicht angestrebt, nur durch den Tod von Herrn W………..
Ganz professioneller und gesamtverantlicher Intendant eines großen Musiktheaters, nicht Kunstsektierer, gliederte Holender sodann sein Wirken, seine Erfolge der vergangenen 19 Jahre in folgende Kriterien:
– Auslastung der Staatsoper der letzten 19 Jahre: 96,11% bei 5.473 Vorstellungen; die letzten vier Spielzeiten bereits deutlich über 97%. (NB Die Red: Die deutlich höher subventionierte, kleine Berliner Staatsoper erreicht eine Auslastung von nur 87%).
– Finanzen: Ich hinterlasse ein Haus mit gesunder finanzieller Basis. Seit 1997 unveränderte Subventionen. (NB: Nachfolger Dominique Meyer forderte, kaum im Amt, bereits höhere Subventionen). Der Anteil eigener Staatsopern Einnahmen liegt bei – hohen – 45%. Er habe sich immer als Steuerzahler gesehen und war sich nicht zu schade, die Preise für Suppenteller im Kindertheater zu erfragen. Ob bei Verhandlungen mit Betriebsräte, Sponsoren: Der Steuerzahler war immer sein Hauptgeldgeber. Und so zitierte er: Sängerstars erhalten gutes Geld und wollen dann noch die Taxispesen ersetzt haben. Damit hat er aufgeräumt. Inszenierungen laufen an der Staatsoper häufig Jahrzehnte, wie die 40 Jahre alte John Cranko Inszenierung von Romeo und Julia: Der Besucherzuspruch, auch die Kosten entscheiden an der Staatsoper über eine Neu-Inszenierung, nicht die meist karrieresüchtige Regieprotagonisten.
– Künstlerisches: Der Aufbau des wohl weltweit lesitungsfähigsten Sänger-Ensembles. 725 Künstler(-innen) gaben in dieser Zeit ihr Debut an der Staatsoper, darunter das gesammelte Who-is-who der heutigen Sängerelite: Falk Struckmann, Jochen Kowalski, Diana Damrau, Anne Sofie von Otter, Natalie Dessay, Johan Botha, Renée Fleming, Deborah Voigt, Deborah Polaski, Erwin Schrott, Adrian Eröd, Ingo Metzmacher, Elina Garanca, Milagros Poblador, Maria Guleghina, Bo Shovkus, John Tomlinson…….und starteten von Wien aus ihre Weltkarriere. Kein anderes Musiktheater der Welt reizte, prüfte und engagierte sich derart intensiv Gesangs- und Stimmenkompetenz wie das Haus am Ring, so Holender. Welcher sich in diesem Zusammenhang auch nicht scheut darauf hinzuweisen, daß viele Opernleiter dieser Welt nicht den Violinschlüssel von einem Bass-Schlüssel unterscheiden können und trotz dieses fehlenden Basiswissens Gesangspartien großer Opern selbstherrlich besetzen. Starallüren bei Regisseuren und Sänger-(innen) waren ihm immer ein Graus (siehe Bechtolf-Kritik oben).
– Was wurde neben der Kerntätigkeit der Staatsoper im Haus am Ring verändert: Holender: schaffte – live-Übertragungen per Video-Leinwand auf den Karajan-Platz, – installierte die Kinderoper, zur Zeit noch, auf dem Dach; – errichtete, gegen starken Widerstand, den Probenraum; – gründete die Opernschule für Kinder; – baute das Opernmuseum auf; – förderte das Leistungsprinzip beim Staatsopernpersonal ( Prinzip: Die Oper sei kein Sanatorium; nicht dem Personal soll es gut gehen, sondern dem Publikum); – förderte Sponsorenverträge mit der Maßgabe, daß diese keinen Einfluß auf den künstlerischen Bereich haben dürfen; – änderte die Praxis, daß im Orchester keine Frauen spielen dürfen (NB die Red.: Allerdings haben hier die amerikanischen Frauenverbände dem Musikverein auch etwas „nachgeholfen“); – öffnete den riesigen Staatsopern Fundus an Büchern und Aufnahmen der Öffentlichkeit.
Rundherum wohltuend war, daß Holender die Wiener Staatsoper als Unternehmer mit kulturellem Mandat ganzheitlich betrachtete, leitete: Als gesellschaftlich relevantes Gebilde, welches finanziell verantwortlich, operativ effizient und künstlerisch anspruchsvoll geführt werden muß. Dem Steuerzahler verpflichtet und der Kunst; eine Lieblingskommentierung. Eine mutige Einstellung, mit der er unter seinen künstlerischen Kollegen sehr einsam steht.
Das künstlerischen Finale Holenders an der Staatsoper erfolgt am 26. Juni 2010 mit Auszügen aus Premieren und vielen Weltstars. Am 30. Juni endet die Ära mit Wagners Parsifal. Stephen Gould singt die Titelpartie, im dritten Aufzug wird Placido Domingo den – einfacheren – geläuterten Parsifal singen.
Ein Buch hat Holender natürlich auch bereits herausgegeben, Titel: Ich bin noch nicht fertig, erschienen im Paul Zsolnay Verlag. Und wie sieht er seine Zukunft: Die Zeitschrift Österreich rief bereits, etwas vorschnell, den Musikkrieg Wien-Ungarn aus; auf das Gerücht hin, Holender werde an der Budapester Oper tätig werden. So äußerte Holender sich denn direkt: Nach München geht er nicht, in Budapest wird er künstlerischer Berater, in Tokio macht er das Frühlingsfestival, lehren wird er an der Donau-Universität in Krems, in New York und auch sonst wird er als Berater tätig werden. Tennis spielen möchte Holender zukünftig auch mehr: Dabei wünschen wir ihm starke Volleys.
Ihr
IOCO Team / VJ / 222.6.2010
NB: Die Pressekonferenz der Wiener Staatsoper zur Spielzeit 2010/11 war bereits im April 2010 von Holenders Nachfolger Welser-Möst und Meyer gegeben worden, IOCO berichtete. Lesen Sie bei IOCO nach, was die Nachfolger vorhaben.
Wien, Wiener Staatsoper, Ioan Holender – Letztes Publikumsgespräch der Amtszeit, IOCO Aktuell, 10.04.2010
April 13, 2010 by
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Ioan Holender: Letztes Publikumsgespräch der Amtszeit
Ioan Holender, langjährig unumschränkter Herrscher der Wiener Staatsoper durchlebt seine letzte Saison. Die lebende Legende großartiger Opernkultur tritt 2010 endgültig von seiner Bühne ab. Von der Bühne der Wiener Staatsoper, auf der Holender, polternd wie charmant, deutlich wie kompetent seit Jahren durch evolutionäres Gestalten Weltmaßstäbe für stimmliches und szenisches Musiktheater setzt. Ohne auffällige szenische Skandale, allein der Stimme, der Musik, den Komponisten und dem faszinierten Publikum aus aller Welt verbunden. Und der Auslastung seines Hauses. Und so umschwebt in diesem Jahr jeden Auftritt von Ioan Holender eine Aura von Wehmut, von Elegie, von Schmelz. Erst recht bei diesem Publikumsgespräch, dem letzten seiner Amtszeit. IOCO war dabei:
Großer Ansturm: Mit viel Mühe und nach mehrmaligem Anstellen bei den Wiener Bundestheater-Kassen konnte IOCO kostenlose Zählkarten für das letzte „Publikumsgespräch“ ergattern. Mit dieser – unnummerierten – Karte in Händen erfolgte am Samstagmorgen – Schlußverkaufsmäßig – der Sturm auf die Parkettreihen der Wiener Staatsoper. Der Rücksichtsloseste, die Schnellste ergatterte sich die besten Plätze. Für Momente ähnelte die Staatsoper einem Jahrmarktsgetümmel.
„Seit der Ankündigung, daß Ioan Holender geht, herrscht hier das reine Chaos“. So die O-Stimme einer erschöpften Wienerin, die sich auf einen Sitz der vordersten Reihen durchgekämpft hatte. „So ein Durcheinander hat es in den Jahren der Holender-Ära nie gegeben. Zuerst stimmen die Beginnzeiten nicht, am Telefon bekommt man keine korrekte Auskunft, die neue Ära fängt ja nicht sehr vielversprechend an“ beklagt meine Sitznachbarin das baldige Scheiden ihres hoch verehrten Staatsoperndirektors.
Elegant und jovial wie man es von ihm gewohnt ist, betritt „Er“ pünktlich um 10:30h die Bühne der Wiener Staatsoper, begleitet vom kaufmännischen Leiter der Staatsoper, Thomas Platzer. Die etwas entfernt von der Rampe plazierten rotsamtenen Fauteuils werden an den Bühnenrand geschoben, eine Geste, die die Nähe Holenders zu seinem Publikum verdeutlichen sollte und auch tat. Holender beginnt das Gespräch mit der Vorausschau auf die 2 ½ Monate, die ihm an der Spitze der Staatsoper bleiben, und in denen er weiterhin offen für „Wünsche, Beschwerden und Kritiken“ sei.
Grundsätzliche Statements, wie zu kommenden Spielplänen, waren von Holender nicht mehr zu erwarten. Seine Nachfolger Dominique Meyer und Franz Welser-Möst hatten in der offiziellen Jahrespressekonferenz 2010/2011 der Wiener Staatsoper (siehe IOCO-Bericht) dazu bereits alles mitgeteilt.
So gab es eher menschliches, milde gestimmtes: Den erkrankten S. Ozawa hätte er in Tokio besucht, mit einem Kommen Ozawas sei aber nicht zu rechnen, vielmehr hätte dieser sämtliche Herbst – Verpflichtungen abgesagt. Auch von Levine sei eine Absage gekommen, sowie von Botha als Sänger für „Parsifal“ am 30. Juni. Für den 26. Juni ist ein Gala-Abend mit Placido Domingo geplant, eine Matinée für den 20. Juni, in deren Rahmen Holenders autobiographisches Buch „Ich bin noch nicht fertig“ vorgestellt wird.
Auf den Opernball Direktor Holender anzusprechen hieße den direkten Affront suchen; Holender – auf Wiener Art – ignoriert dies Event net amol. Er stellt die Sänger, die Tänzer des Abends: Schon immer polterte er gegen die platte „Popularisierung“ des Balles durch Lugner, Gottschalk, Bohlen, Lohan und Co. Doch der Welt bleibt der Staatsoper – Opernball trotz Holenders lauter Abneigung leuchtendes Wahrzeichen Wiens.
Die Zusammenarbeit mit Franz Welser-Möst, so Holender wohlwollend, gestalte sich ausgezeichnet, auch Jonas Kaufmann wird in der nächsten Spielzeit an der Wiener Staatsoper sein.
Eine dauerhafte Auslastung von 97%, einmalig in der Welt (Abonnements werden nicht gekündigt, in Wien werden Staatsoper Abonnements vererbt), ist sichtbarstes Verdienst des scheidenden Direktors, der es verstanden hat, ein junges, ein internationales und ein Wiener Stammpublikum permanent zu gewinnen. Ein Besucher warnt sodann eindringlich davor, moderne Regisseure mit Regiearbeiten zu betrauen. Er, so Holender, werde ohnehin niemanden mehr betrauen. Wie steht Holender und der oft getragenen Überzeugung, mit modernem, kontroversem Regietheater junges Publikum zu gewinnen? Fehlanzeige in Wien. Man gewinnt, so Holender, auch mit Klassikern junges Publikum. So formte Ioan Holender durch kluges Wirtschaften, reflektierendem, evolutionärem Kunstverständnis und hoher Professionalität für Stimmen die Wiener Staatsoper zum Musikktheater allerersten Ranges. Preiswerte Engagements von Sängern, die er beispielsweise direkt vom Mozarteum in Wien weg engagierte, trugen zu den wirtschaftlichen wie künstlerischen Erfolgen der Staatsoper bei. Nicht ohne Stolz meinte Holender, daß während seiner 19- jährigen Tätigkeit immerhin zwei Generationen von Weltstars aus dem „Haus am Ring“ hervorgegangen seien.
Die Übertragungen „Live auf dem Platz“ per Video-Leinwand an der Wiener Staatsoper werden Anfang Mai wieder aufgenommen. Begonnen wird mit der 2.Vorstellung von „Carmen“. Sämtliche bürokratische Hürden (und derer gab es viele!) hat Holender mit Bravour genommen.
Die leidige Frage nach der Erreichbarkeit von Karten kommt von mehreren Teilnehmern aus dem Publikum. Haben schriftliche Bestellungen mehr Aussichten auf Erfolg? Auch die nicht. Beim Anstellen an den Kassen schaffen es manche „Profis,“ sich gleich zwei Mal anzustellen, wenn die Kontingente auf zwei Karten pro Person beschränkt sind. Eine „Gesichtskontrolle“ wie es sie unter der Ära Jungbluth gegeben hatte, führte seinerzeit sogar zu diplomatischen Verwicklungen, als der Sohn des kanadischen Botschafters zu Unrecht perlustriert wurde. Auf solche Methoden könne und wolle man nicht zurück greifen.
Natürlich gab es auch Kritik. So wurde die Regiearbeit einiger Aufführungen des „Ring“ negativ bewertet. „Opernaufführungen gleichen Inzesthandlungen“ meinte Holender zu diesem Thema. „Es werden auf der ganzen Welt die gleichen Opern aufgeführt. Was liegt da näher, als ab und zu etwas Neues zu versuchen? Daß solche Experimente auch mißglücken können, erfuhr auch Wien mit einigen neuen Regiekonzepten“. Allerdings: Massive Publikumsaufstände hat es nie gegeben: Die evolutionären Regiekonzepte waren gelegentlich umstritten, doch nie gedankenlos, nie polemisch oder sinnlos verfremdend. Nie Publikumsfeindlich.
Die positive Resonanz, Mitgefühl, Rührung des Publikums ist in Ioan Holenders „letzten Heimspiel“ spürbar. Man weiß zu schätzen, was Holender für sein Publikum, für Wien, für Österreich, für die Kunst geschaffen hat. Einer Dame, die sich für eine Vielzahl schöner Abende in der Oper als persönliche „Geschenke“ bedankt, entgegnet er liebenswürdig: „Sie haben dafür bezahlt, gnädige Frau, und gar nicht so wenig; es handelte sich also absolut um keine Geschenke.“
Bis zu seinen endgültigem Abgang in der Abschiedsmatinée am 20. Juni bietet Holender noch einiges: So singt er singt höchstpersönlich am 8. Mai in der Kinderoper-Uraufführung „Pünktchen und Anton“.
Oper stellt für den am längsten dienenden Direktor in der Geschichte des Hauses am Ring „kein Museum, sondern die Verschmelzung eines klassischen oder modernen Kunstwerkes mit heutigem Wissen und Denken“ dar. Mögen dem Publikum auch in Zukunft Kunstwerke auf hohem Niveau, frei von Skandalen, erhalten bleiben. Die Nachfolger Dominique Meyer und Franz Welser-Möst werden lange mit dem Schatten ihres Vorgängers Ioan Holender zu tun haben. IOCO / Viktor Jarosch / 11.04.2010
Wien, Wiener Staatsoper, Professionell: Spielplanpräsentation 2009/2010, IOCO Aktuell, 08.04.2009
April 8, 2009 by
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Wiener Staatsoper: Musiktheater mit Charme und Profis
Am 2.4.2009 lud die Wiener Staatsoper in ihrem Schwindfoyer zur Pressekonferenz zum Spielplan 2009/2010. Das Ambiente des Raumes ebenso bezaubernd wie Ioan Holender´s Präsentation professional und entspannt. Thomas Platzer, kaufmännischer Geschäftsführer, Betriebsdirektorin, Sabine Hödl-Weinberger. Das weitere Management wurde vorgestellt: Michaela Stark, Produktionsleitung, Peter Kozak, Technischer Direktor, die für die Dramaturgie verantwortlichen Brüder Andreas und Oliver Láng wurden vorgestellt. Katharina Sedivy als Prokuristin, Margarete Arnold, André Comploi für die Pressearbeit.
Obwohl noch über 15 Monate dabei, wirft der Abschied von Ioan Holender bereits heute seinen langen Schatten. Ein Intendant verabschiedet sich, welcher über viele Jahre Vorbildcharakter für eine ideale Intendatenbesetzung bewiesen hat. Dem es gelang, die Wiener Staatsoper dauerhaft zu einem der führenden Kulturbetriebe in der Welt zu entwickeln. Stabil, verläßlich. Ohne das er als Regisseur, Dirigent oder Musiker allabendlich zusätzliche Referenzen abräumen mußte. So spürte man auch in dieser Pressekonferenz immer wieder das überregional prägende Wirken Ioan Holenders. Wie in dem zarten Hinweis, man habe Klaus Florian Voigt auf drängendes Bitten (Betteln ?) der Berliner Staatsoper kurzfristig für die dort gefährdete Lohengrin-Premiere am 4.4.2009 überlassen. Wien und Berlin: Zwei Staatsopern, welche in ihrer internationalen Präsenz Welten trennen.
“ Zum letzten Mal“ so Holender, singen die Gralsritter in Wagners Parsifal „möge der Gral enthüllt werden“. Diesen Chor hörte Holender am 1. September 1991 gemeinsam mit Eberhard Wächter. Und dieser Chor wird auch am 30. Juni 2010 ertönen, wenn er nach 19 Jahren seine Tätigkeit beendet. Was sonst noch alles an diesem 30.6.2010 geschehen wird; es wird unzweifelhaft ein von Weltstars gespicktes Opernereignis der Extraklasse werden; neben vielen Weltstars wie Placido Domingo wird auch der mit dem Staat Österreich etwas über Kreuz liegende Thomas Hampson auftreten; ohne Entgelt, so Ioan Holender.
Vier Premieren wird es in der Saison 2009/2010 geben: Am 23. Oktober 2009; Lady Macbeth von Mzensk von Dimitri Schostakowitsch; Reprisen am 27., 30. Oktober, 2., 5., 9., 12., 15. November. Und in Kooperation mit der Oper Graz. Am 7. Dezember 2009; Macbeth von Verdi; Reprisen am 10., 13., 16., 21., 26. Dezember sowie 13., 16., 20., 23., 26. Mai 2010. Am 28. Februar 2010; Medea von Aribert Reiman; die Uraufführung eines Auftragswerkes der Wiener Staatsoper; Reprisen am 3., 6., 9., 12. März 2010. In Kooperation mit der Oper Frankfurt; Am 16. Juni 2010; Tannhäuser von Wagner; Reprisen am 20., 24., 27. Juni 2010. Zu allen Premieren wird es vorab auch von Andreas und Oliver Láng geleitete Matineen geben wie auch von Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann geführte Diskussionsrunden (im Gustav Mahler-Saal der Wiener Staatsoper).
Eine Abschiedsmatinee für Ioan Holender wird es am 20.6.2010 geben.
Vier Musikalische Neueinstudierungen oder Wiederaufnahmen wird es in 2009 / 2010 geben: Am 14. Dezember 2009; Tristan und Isolde mit Simon Rattle als Dirigent; Reprisen am 18., 22. Dezember 2009. Am 8. Januar 2010 Manon von Jules Massenet; u.a. mit Diana Damrau / Anna Netrebko; Ramón Varagas / Roberto Alagna; Reprisen am 11., 14., 17. Januar und am 21. Mai 2010. Am 10. März 2010; eine Koproduktion mit dem Teatro Real, Madrid von Moses und Aaron von Schönberg; Reprisen am 13., 16. März 2010. Am 3. Mai 2010 musikalische Neueinstudierung Carmen von Georges Bizet in der Inszenierung von Franco Zeffirelli. Mit Elina Garanca, Anna Netrebko; Rolando Villazón, Ildebrando D´Arcangelo; Reprisen am 6., 9., 12., 15. Mai 2010.
Am 26. Juni 2010 wird des eine musikalische Rückschau auf das Werk Ioan Holenders in den Jahren 1991 bis 2010 geben. 157 Premieren – 83 Opern-, 63 Ballettabende, 11 Kinderopern präsentierte Ioan Holender in seiner Amtszeit, der längsten in der 140 – jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper. Im Konzert dieses Abends werden Ausschnitte aus 40 Premierenproduktionen präsentiert.
Im Kinderopernzelt auf der Dachterasse werden am 27. September 2009 Das Traumfresserchen, am 8.12.2009 Wagners Nibelungenring für Kinder, und am 8. Mai 2010 die Uraufführung des Auftragswerkes Pünktchen und Anton von Iván Eröd aufgeführt.
Ring-Zyklen gibt es reichlich demnächst an der Staatsoper: Zyklus 1 beginnend am 5.5.2009, Zyklus 2 beginnt am 16.5.2009, Zyklus 3 beginnt am 6.6.2009. Zyklus 1 der Saison 2009 / 2010 beginnt am 7.11.2009; Zyklus 2 beginnt am 21.11. 2009; Abschluß der Ring-Zyklen ist mit Zyklus 3, welcher am 20.3.2010 beginnt.
Besondere Ereignisse zur aktuellen Saison 2008 / 2009:
– Symposium zum „Ring des Nibelungen“ vom 5. – 6. Juni 2009, veranstaltet von der Wiener Staatsoper gemeinsam mit der EMA (Europäische Musiktheater-Akademie im Gustav Mahler-Saal der Wiener Staatsoper.
– Die schweigsame Frau von Richard Strauss am 18. Juni 2009, die Wiederaufnahme einer Koproduktion mit der Sächsischen Staatsoper Dresden
– Anna Karenina, Ballett von Tschaikowsky am 8. Juni 2009, eine Übernahme aus der Volksoper; Premiere an der Wiener Staatsoper
– Capriccio von Richard Strauss wird am 24. Juni 2009 konzertant auf dem Richard Strauss Festival in Garmisch Partenkirchen gegeben.
Auffällig für die Pressekonferenz war die Betonung wirtschaftlicher, praktischer Themen der Wiener Staatsoper. Die Sitzplatzauslastung der letzten sechs Jahre war immer über 96 %. In der gesamten Ära Holenders 1991 bis 2008 war die Auslastung immer über 93,5 %. Holender war Profi genug, darauf hinzuweisen, daß Sitzplatzauslastung kostenlos vergebene Karten beinhaltet, wichtiger seien verkaufte Karten. Dabei liegt er etwas unter Budget, welches jedoch durch Donatoren ausgeglichen wird. 3 % der Einnahmen der Staatsoper von ca € 28,8 Mio werden über Donatoren aquiriert, ein Thema, welches er höchstpersönlich auf seine Fahnen geschrieben hat. Lexus als Hauptsponsor hat seinen Vertrag gerade verlängert. Sponsoren haben laut Holender auch nur sehr geringe Ansprüche auf Freikarten. Er zielt mit dieser Feststellung deutlich auf die Salzbrger Festspiele, bei denen Sponsoren eine dominante und teils unangenehme Rolle spielen. Und möchte vermeiden, daß an der Wiener Staatsoper in grossem Stil Karten von Sponsoren erworben werden, der Individualbesucher zu kurz kommt, oder die teilweise exorbitanten Salzburger Preise von bis zu € 500 pro Karte bezahlen muß.
Holender erklärte, daß Kartenpreise der Wiener Staatsoper unverändert bleiben. 20.000 Abos sind für die kommende Saison bereits verkauft. Hier wird ein Nachlass von ca 25 % gegeben. Kritik kam auf an der Tatsache, daß für Abonnements nur Parkett- und Logenplätze zur Verfügung stehen. Auch wurde der von einem Besucher aufgebrachte Vorgang diskutiert, daß Kartenagenturen in eigenem Namen rechtmäßig erworbene Eintrittskarten zu einem deutlich erhöhten Preis weiter verkaufen können; also z.B. eine für € 160 erworbene Karte für € 360. Laut Thomas Platzer ist ein solcher Vorgang nicht gewünscht aber im Augenblick nicht zu verhindern. Holender äußerte großes Unverständnis für solche `Manipulationen´ der Eintrittskarten. Auf jeden Fall werden die Eintrittskarten der Staatsoper ab kommender Saison geändert: Auf jeder Eintrittskarte wird ein Bild aus der Aufführung abgebildet. Und damit zu einem plastischeren Erinnerungsstück werden.
Wie sehr sich Holender seinem Haus als ganzem verantwortlich fühlt zeigen seine wiederholten Ausflüge in die wirtschaftlichen Realitäten: Das die Staatsoper durch Ausgliederungen, Koproduktionen und ähnlichem inzwischen € 4,4 Millionen verdient hat. Die Tote Stadt ist die erfolgreichste Ausgliederung: bei Produktionskosten von €250.000 hat diese Oper bereits €500.000 eingespielt. Auch der CD Verkauf unter dem Titel „Wiener Staatsoper Live“ boomt. So präsentierte Ioan Holender die Saison 2009 / 2010 realistisch und künstlerisch kompetent.
Ab 24. Mai 2009 werden Aufführungen live auf einer Videoleinwand vor der Staatsoper übertragen. Begonnen wird mit Don Giovanni.
Was macht Holender nach 2010 ? Er lächelte verschmitzt, verwies auf sein Alter, versponn entspannt lockere Gedankenschleifen, verwies auf einige Beraterverträge (ohne Partner zu nennen) und vermittelte mit dieser Pressekonferenz in angenehmer Weise hohe künstlerische Ansprüche und wirtschaftlichen Realitätssinn. Und verzichted dabei auf das notorisch lautes Inszenierungsgeheule vieler seiner Kollegen. Tu felix Wiener Staatsoper. IOCO / Viktor Jarosch / 08.04.2009