Wien, Wiener Kammerspiele, Musical Souvenir oder die Mörderin des hohen C, IOCO Aktuell 14.02.2010
Februar 3, 2010
Veröffentlicht unter IOCO Aktuell, Musical, Wiener Kammerspiele
Aktuell
Florence Foster Jenkins
In den Wiener Kammerspielen wird vom 4. – 14.2.2010 das Musical Souvenir – Die Mörderin des hohen C von Stephen Temperley aufgeführt. Souvenir beschreibt das merkwürdige Leben der Florence Foster Jenkins (FFJ), einer ungewöhnlichen Amerikanerin, welche trotz fehlender stimmlicher Attribute in öffentlichen Auftritten schwierigste Opernarien „zum Besten“ gab. Und dabei berühmt wurde. Souvenir wurde inzwischen weltweit erfolgreich aufgeführt, zuvor u.a. im Berliner Renaissance-Theater. Star der Wiener Aufführung ist Désirée Nick, Deutschlands Trash-Queen mit klassischer Gesangsausbildung, welche klagt, wie schwer es sei, in jeder Aufführung dieses so reizvollen Stückes den richtigen falschen Ton zu finden.
Wer war FFJ, auch Madame Flo genannt, welche von 1868 bis 1944 lebte: Selbst für ein ungeübtes Ohr klingt FFJ´s Gesang schräg. Eine Sängerin, die ausnahmslos zum Erbarmen falsche Töne sang, aber von ihrem Talent felsenfest überzeugt war. Ein Kritiker der vierziger Jahren sagte, FFJ zuzuhören würden bei ihm rauschähnliche Zustände auslösen. Andere rückten ihre Töne in die Nähe des Jaulens von gefangenen Vielfraßen oder alternden Raubvögeln. Ihr typisches, hohes F, schwach wie das Winseln eines Hundes. Stolz gestand Florence einmal, daß dieser Ton gezeugt wurde, als sie während eines Verkehrsunfalles auf der Lexington Avenue umhergeschleudert wurde. War FFJ eine ernsthafte Sängerin oder zelebrierte sie Clownerien? Genau weiß man dies bis heute nicht. Doch Clownerien waren es sicherlich nicht. Zu groß war FFJ´s Klassikbegeisterung. Nur, sie besaß keine Stimme, wohl kein musikalisches Gehör und hatte keine ernsthaften Kritiker in ihrer Nähe. Einem Bekannten gestand sie einmal: „Ich habe Dich sehr gern. Deshalb werde ich auch bei Dir privat singen“. FFJ war, vielleicht auch durch den großen öffentlichen Zuspruch, von ihrer Gesangskunst überzeugt. Ein liebenswertes, gutartiges, kritikunfähiges Produkt ihrer übersteigerten Musikbegeisterung. FFJ besaß Don Quichotische Züge. Vielleicht wurde sie gerade deshalb von ihrer Fan-Gemeinde so geliebt.
FFJ war äußerst populär als sie 1944 starb. Ihre große, treue Fan-Gemeinde zelebrierte ihre Auftritte eher als Happening, denn als todernste Gesangsfestivität. Man war gut gelaunt: lachte, feixte und machte gelegentliche fröhliche Zwischenrufe. Regelmäßig sang sie im ausverkauften New Yorker Riz-Carlton Hotel vor über 800 Besuchern. Zu Höchstpreisen. GI´s zogen erts nach einem Madame Flo Konzert in den Krieg, geht eine Sage. So glauben auch viele, daß harte Kritiken nach ihrem völlig ausverkauften Konzert 1944 in der New York Carnegie Hall zu dem Herzanfall führten, an dessen Folgen sie kurz danach verstarb. Earl Wilson, ein Kritiker, hatte nach diesem Konzert kritikertypisch verblendet geschrieben „ihr Gesang löse bei ihm Schwindelgefühle, Kopfschmerzen und Rauschen in den Ohren aus“ . Earl Wilson, der Kritiker, hatte das Besondere von Florence Foster Jenkins nie verstanden, er hatte schlecht bezahlte Zeilen miserabel gefüllt. Arturo Toscanini verstand FFJ sehr wohl: Zu ihrem Begräbnis sandte er einen großen Blumenstrauß.
FFJ, geboren 1868 als wohlbehütete Tochter des schwerreichen amerikanischen Industriellen Dorrance Foster und seiner Frau Jane Hoagland, erhielt sehr früh Klavierunterricht. Ihr Vater, Banker und Mitglied des Parlaments von Pennsylvania, im Glauben ein Wunderkind zu haben förderte Florence derart, daß sie bereits mit acht Jahren Klavierkonzerte in Philadelphia gab. Ihren mit siebzehn Jahren geäußerten Wunsch, in Übersee Gesang und Musik zu studieren, lehnte er allerdings zu ihrer großen Enttäuschung ab. Vielleicht als Trotzreaktion heiratete sie sehr früh den Arzt Frank Thornton Jenkins, den sie gleichermaßen schnell, 1902, wieder verließ. Ihr Vater unterstützte Florence nach der Trennung nicht, sodaß sie darauf angewiesen war, durch Musikunterricht und Klavierstunden Geld zu verdienen. Bis 1909: Als ihr Vater starb und ihr ein großes Vermögen hinterließ. Sie war seit diesem Zeitpunkt schwerreich.
Madame Flo durchlebte zunächst als Leiterin des Euterpe-Clubs in New York eine kuriose Künstlerentwicklung. Hier traf sie auch den sechzehn Jahre jüngeren, gut aussehenden Engländer St. Clair Bayfield, welcher bis zu ihrem Tod ihr enger Begleiter blieb. Nicht ganz klar ist, wann FFJ mit Gesangsabenden erstmals öffentlich auftrat. Seit ihrer frühen Jugend war Gesang ihre Passion. Sie studierte das Gesangsfach bei dem Opernsänger Carlo Edwards und gab in den zwanziger Jahren bereits gut besuchte Gesangsabende. 1928 engagierte sie den erfolgreichen Pianisten Edwin McArthur, welcher später auch Opernstar Kirsten Flagstad begleitete. Zunächst in kleineren Sälen, dann in denen des Riz-Carlton Hotels, hatte sie schon bald ihre treue Anhängergemeinde. Keine Arie war zu schwer, keine Koloratur zu hoch. Die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte wurde zu ihrem Markenzeichen. Ein Kritiker schrieb dazu: „Frau Jenkins gab ihrer interpretatorischen Größe jeden möglichen Raum„. Die Besucher kamen nicht allein der Stimme wegen: Riesige Wagenräderhüte, Pfauenfedern, extravagante barocke Kleider waren choreographisch gleichbedeutend zu ihrem „Gesang“. Sie blieb ihrer Linie treu bis zu ihrem Höhepunkt und Ende Anfang 1944: Kurz nach ihrem Auftritt in der ausverkauften New Yorker Carnegie Hall starb sie an einem Herzinfarkt. Man sagt, sie sei glücklich gestorben, wie nach einem erfüllten Leben.
Das außergewöhnliche Leben der Florence Foster Jenkins von Stephen Temperley in dem Musical „Souvenir“ beschrieben: Zu sehen vom 4. – 14. Februar 2010 in den Wiener Kammerspielen.
IOCO / Viktor Jarosch / 14.02.2010