Berlin, Deutsche Oper Berlin, ARABELLA – Richard Strauss, IOCO Kritik, 27.03.2023

Berlin, Deutsche Oper Berlin, ARABELLA – Richard Strauss, IOCO Kritik, 27.03.2023
Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin
Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin
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Deutsche Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin © Leo Seidel (Kontakt: leoseidel@googlemail.com)
Deutsche Oper Berlin © Leo Seidel (Kontakt: leoseidel@googlemail.com)

Arabella – Richard Strauss (1864 – 1949)

Lyrische Komödie – Dichtung Hugo von Hoffmannsthal, Uraufführung 1. Juli 1933, Dresden

– ernster Hintergrund und Lustspiel in guter Balance –

Von Karin Hasenstein

Richard Strauss Büste in Walhalla © IOCO
Richard Strauss in Walhalla © IOCO

Die Premiere von Arabella am 18.03.2023 an der Deutschen Oper Berlin wurde live auf rbb Kultur übertragen und zudem aufgezeichnet. Eine DVD/ BluRay dieser Produktion entsteht als Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Oper Berlin, Naxos und dem rbb.

Die Handlung der zehnten der fünzehn Opern von Richard Strauss Arabella (opus 79) spielt in Wien um 1860. Der verarmte Graf Waldner lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in einem Wiener Hotel. Als Ausweg aus seiner prekären Lage bleibt nur, die älteste Tochter Arabella reich zu verheiraten. Die bescheidenen Mittel reichen jedoch nur aus, um eine Tochter standesgemäß mit entsprechender Garderobe und Mitgift auszustatten, weshalb die Jüngere, Zdenka, als Junge ausgegeben wird.

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Official Trailer – ARABELLA – Deutsche Oper Berlin

Die Ausgangssituation ist gar nicht so schlecht, denn einige junge Herren interessieren sich für Arabella, die jedoch entschlossen ist zu warten, bis “der Richtige” für sie auftaucht. Dieser Richtige scheint für sie der kroatische Provinzadelige Mandryka zu sein, der in Wien auftaucht, weil Graf Waldner seinem Onkel einen Brief mit dem Foto Arabellas geschickt hat. Beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Arabella bittet nur darum, beim Faschingsball ihren Abschied von der Junggesellinnenzeit feiern zu dürfen.

So verabschiedet sich Arabella auf dem Ball von all ihren Verehrern, auch von Matteo, in den ihre Schwester Zdenka heimlich verliebt ist. Diese muss aber ihre Maskerade aufrecht erhalten und freundet sich mit Matteo als “Zdenko” an. Sie fingiert einen Brief Arabellas und gibt vor, dass sie sich zu einer gemeinsamen Nacht verabredet. Statt Arabella erwartet im schummrigen Zimmer jedoch ihre Schwester den ahnungslosen Matteo.

Mandryka erfährt von der Liebesnacht und geht davon aus, dass es nur Arabella gewesen sein kann, die er aus dem Zimmer kommen sah. Diese ist von seinem Misstrauen gekränkt. Das Missverständnis klärt sich jedoch auf und sie verzeiht ihm. Der Weg für zwei glückliche Paare, Arabella und Mandryka sowie Zdenka und Matteo, ist frei.

Inszenierung: Traditionell bis modern

Der junge Regisseur Tobias Kratzer ist für eine detaillierte vielschichtige Bildsprache bekannt. Wer seinen Tannhäuser in Bayreuth gesehen hat, weiß, wie Kratzer arbeitet. Einige Elemente lassen sich auch im ersten Teil seiner Strauss-Trilogie an der Deutschen Oper Berlin wiederfinden.

Gleich im ersten Bild setzt er das Element Video ein. Die Bühne ist, wie schon beim Tannhäuser, in zwei Ebenen geteilt. War sie es horizontal in Bayreuth, ist sie in Berlin nun vertikal geteilt. Auf der linken Seite sehen wir einen herrschaftlichen Salon im Wiener Hotel um 1860, auf der rechten Seite zunächst die Kartenaufschlägerin in Nahaufnahme, später das Schlafzimmer der Mädchen.

Kratzer schafft es, den ernsten Hintergrund und das Lustspiel in eine gute Balance zu bringen. Die Märchensituation des 19. Jahrhunderts wird in kleinen Zitaten abgebildet. So zum Beispiel die “letzte Gelegenheit” des Balls als Abschied von der Mädchenzeit, das Kleid Arabellas mit Schwanenbesatz, klare Zitate an Lohengrin, ebenso die Erzählung, sie war mit der Mama in der Oper und ein kleines Lohengrinzitat wird eingeflochten. Am Ende schafft es Arabella, die Situation zu retten, indem sie Mandryka sagt, “du musst mich auch nehmen, wie ich bin”. Sie signalisiert damit: Beziehung ist Arbeit und zwar für beide!

Das gilt auch für das zweite Paar, Zdenka und Matteo. Zdenka, die sich in ihrer Rolle als Zdenko wohl gar nicht so unwohl fühlt, ist noch auf einer Identitätssuche. Arabellas Aussage gilt für sie und ihre Schwester. Ihre Männer müssen sie so nehmen, wie sie sind.

Kratzer bedient sich eines Zeitstrahls von der Zeit der Handlung im Wien um 1860 über die Entstehungszeit in den 1920er Jahren über das Jahr der Uraufführung 1933 mit Zitaten an die Nazizeit über die 50er und 60er Jahre bis in unsere Gegenwart. Es vollzieht sich in drei Stunden eine wahre Kostümschlacht. Ausladende Kostüme, ebenso wie die aufwändige Ausstattung der Hotelzimmer, auf deren Details die Kameras in den Großaufnahmen gezielt unseren Fokus lenken. Auf dem Faschingsball tanzen sich die Gäste (Opernballett der Deutschen Oper Berlin) geradezu im fliegenden Wechsel durch die Jahrzehnte.

Er setzt auf einen Wechsel der Ausstattung und der Kostüme, am stärksten und längsten verortet in dem Wiener Hotel, am Ende reduziert auf eine schlichte Bank auf der Bühne vor dem Hotelflur und schließlich vor einer Video-Projektion.

Die Neuproduktion hatte mit mehrfachen Umbesetzungen zu kämpfen. So kam es, dass mit drei Arabellas geprobt wurde. Zunächst war Rachel Willis-Sörensen für die Hauptrolle vorgesehen, dann sprang Gabriela Scherer ein, die in der Endprobenwoche krankheitsbedingt absagen musste und dankenswerterweise konnte Sara Jakubiak für die Premiere gewonnen werden. Auch vor dem Hintergrund, dass die Premiere von rbb Kultur und Naxos aufgezeichnet wurde, eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten. Der Sänger des Mandryka, Russel Braun, musste sich am Premierenabend erkältungsbedingt ansagen lassen.

Die drei Kameraleute, die mitten auf der Szene standen und sich bewegten, sind natürlich unvermeidlich, wenn man eine BluRay herausbringen will, und so dezent sie sich auch bewegten, ein bisschen Ablenkung entsteht immer dadurch. Es ergaben sich aber auch interessante Einblicke etwa dadurch, dass man direkt der Kamera folgen und das Ergebnis direkt mitverfolgen konnte.

Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin
Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin

Inszenierung: Von sehr üppig-opulent bis extrem – auf das Wesentliche reduziert

Im ersten Akt zeigt sich eine zweigeteilte Bühne. Auf der linken Seite der Salon der Familie im Wiener Hotel, auf der rechten Seite zunächst die Rezeption, später das Schlafzimmer der Mädchen.

Die Handlung findet zunächst im Salon statt. Die Eltern beklagen die desaströse finanzielle Situation und suchen nach einem Ausweg. Dieser findet sich rechts im Schlafzimmer in Gestalt der Töchter oder vielmehr in der Person Arabellas. Aufgrund der knappen Mittel kann nämlich nur eine Tochter mit den entsprechenden Roben für die Gesellschaft ausgestattet werden. Ist sie erst reich verheiratet, scheinen die Geldsorgen passé. Es werden Rosen gebracht und sofort erklingt ein kleines musikalisches Zitat an den Rosenkavalier. Strauss hat gerne und oft bei sich selbst und anderen “abgekupfert”.

Die Rosen und der Brief sind von Matteo, aber Arabella erkennt “Er ist der Richtige nicht für mich…” Der Dialog der Schwestern wird von der Kamera in schwarz-weiß auf die linke Seite projiziert.

Arabella sinniert darüber, wie es ist, wenn der Richtige kommt, falls es den für sie gibt. “Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt…“. Zdenka stellt im Duett fest “Ich weiß nicht, wie du bist” und irgendwie erinnert auch dieses Duett sehr stark an den Rosenkavalier, das Duett Marschallin – Oktavian im ersten Akt. Graf Elemer will Arabella zu einer Schlittenfahrt abholen. Während links in der zweigeteilten Szene sich die Eltern immer noch um die Finanzen sorgen, machen sich die Mädchen auf der rechten Seite fertig für den Ausflug.

Inzwischen ist weiterer Besuch eingetroffen. Ein Herr macht seine Aufwartung im langen schwarzen Mantel und Zylinder. Wie sich herausstellt, ist es Mandryka, an dessen Onkel Graf Waldner geschrieben und ein Bild von Arabella geschickt hatte. “Mein Onkel ist tot, ich bin der einzige Mandryka!”

Er hat sich offenbar beim ersten Anblick des Bildnis in Arabella verliebt und ist wild entschlossen, sie zu heiraten “So gib das Mädel mir zur Frau und Herrin!” Er macht auch gleich deutlich, dass er der Richtige für Arabella und die Lösung aller finanziellen Probleme der Familie ist: “Mein sind die Wälder, mein sind die Dörfer!” und verdeutlicht dieses, indem er dem Grafen Geld gibt, zum Motiv von “Teschek, bedien dich!”

Im Orchester wird die Aussage unterstrichen von temporeichen Läufen in den tiefen Streichern.

Der Graf bleibt allein zurück, während rechts der Blick in die Hotelhalle fällt, die wie alles andere mit sehr viel Liebe zum Detail ausgestattet ist, angefangen bei der Rezeption bis hin zum Portal und den beiden Pagen.

Das Orchester greift das Teschek-Motiv auf. Durch den Blick durch die Videokamera erhält das Publikum einen anderen Blickwinkel. Arabella reflektiert ihre Gefühle für ihre verschiedenen Verehrer, während das Orchester bei Elemer und Matteo üppig aufspielt, von tiefen Streichern getragen. Immer wieder klingt das “Aber der Richtige-Motiv” im Orchester an.

Zdenka zieht sich auf Drängen Arabellas auch endlich an; Arabella erinnert daran, dass heut Faschings-Dienstag ist, der letzte Tag der Ballsaison. Es muss etwas passieren…

Der zweite Akt beginnt mit Blick in einen langen Hotelflur im Längsschnitt. Wir blicken auf mehrere verschlossene Zimmertüren. Drei Männer in schwarzen Anzügen und Mänteln halten sich im Flur auf.  Hinter den Türen findet der Ball statt.

Mandryka erscheint, immer noch voller Begeisterung für Arabella (“Das ist ein Engel!”), als diese in einem ausladenden prächtigen lilafarbenem Ballkleid auftaucht. Begleitet wird ihr Auftritt wieder vom “Aber der Richtige-Motiv” und die Hinweise auf Mandryka, dass er dieser Richtige sein könnte, verdichten sich. Endlich stellt Graf Waldner seine Tochter Mandryka vor und alle gehen hinein in den Ballsaal. Arabella und Mandryka bleiben zunächst auf dem Flur zurück.

Matteo und Elemer bitten Arabella um einen Walzer, blitzen jedoch beide ab. Sie bleibt bei Mandryka. Dieser erzählt von seiner Vergangenheit und dass er eine Frau hatte. Arabella will wissen, wie er zu ihrem Bild kam. Es kommt zu einem ersten Kuss. Unterdessen öffnen sich immer wieder die Türen des Ballsaales und tanzende Paare kommen heraus, tanzen ein wenig um das Paar herum und verschwinden wieder im Saal.

Arabella fragt nach, ob er sie wirklich heiraten will, wie ihr Vater gesagt hat. Er will und unterstreicht das mit der Aussage “Kommen Sie mit mir!”, unterstrichen von schwelgender Musik, Fortissimo im Blech. Wieder klingt das “Aber der Richtige-Motiv” an. Die tanzenden Paare wirbeln um Arabella und Mandryka herum, das Licht im Flur ist gedimmt.

Arabella und Mandryka knien voreinander auf dem Boden im Flur vor dem Ballsaal und nun erklingt das berühmte Duett “Und du wirst mein Gebieter sein, und ich dir untertan“. Ihre völlige Hingabe drückt sie aus, indem sie sagt “In deinem Grab will ich mit dir begraben sein. So gebe ich mich dir auf Zeit und Ewigkeit”, also absolute Selbstaufgabe und Treue bis in den Tod. Ein Frauenbild, das heute so kaum mehr nachvollziehbar ist.

Die Paare tanzen nun in Charlestonkleidern auf dem Flur, die Zeitreise durch die Jahrzehnte drückt sich in der Mode der unterschiedlichen Epochen aus, durch die die Ballgäste tanzen.

Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin
Deutsche Oper Berlin / ARABELLA hier Szenefoto © Thomas Aurin

Eine kurze Chorszene schließt sich an, auch der Opernchor ist in typische Zwanzigerjahre-Kleider gewandet. Auch Herren in Ballkleidern sind darunter. Immer wieder offenbart sich Kratzers Liebe zum Detail und zum Perfektionismus. Da stimmt alles bis zur letzten Halskette oder Handtasche. Der Chor singt “Du sollst des Festes Königin sein!” und das ist Arabella eindeutig.

Die nächste Epoche und Bezug zur Zeit der Uraufführung 1933 stellt Kratzer durch fünf Männer in Nazi-Uniform dar, die einen am Boden liegenden Mann, vermutlich ein Jude, prügeln und treten und daraufhin sofort abgehen.

Mandryka ist glücklich, dass Arabella sich zu ihm bekennt, Matteo hingegen verzweifelt. Der offenbar angetrunkene Graf lässt den Champagner in Strömen fließen. Arabella trägt nun ein kurzes Glitzerleid und Pferdeschwanz im Stil der Sechziger Jahre. Elemer und Dominik sagen Adieu. Aber Arabella wehrt ab, “Nicht mir verderben diesen letzten Augenblick!Arabella küsst einen jungen Mann und verabschiedet sich von ihrer Mädchenzeit. Das tiefe Blech begleitet diesen Abschiedsmoment. Alle Ballgäste begeben sich zum letzten Walzer in den Ballsaal, nur die drei Herren bleiben in lässiger Pose auf dem Flur zurück.

Zdenka kommt mit einem Schlüssel und übergibt ihn Matteo. Dies sei der Schlüssel zu Arabellas Zimmer, sie würde ihn dort erwarten. Arabella weiß jedoch nichts davon, sondern Zdenka wartet ihrerseits in dem Zimmer auf Matteo, der denkt, er könne endlich seine Angebetete treffen.  Mandryka ahnt den Betrug.

Wieder öffnet sich eine Tür zum Ballsaal und gibt den Blick auf eine glitzernde Discokugel im wabernden Trockeneisnebel frei. Wir sind auf unserer Zeitreise in den Siebziger/ Achtziger Jahren angekommen. Zwei junge Männer knutschen am Boden. Arabella trägt eine lila Jacke, schwarze Jeans, ein weißes Shirt und langes offenes Haar. Die Ballbesucher geben sich Alkohol und Drogen hin, die Fiakermilli filmt alles und jeden und macht ständig Selfies. Wir sind endgültig in der Gegenwart der Influencerinnen angekommen.

Die Mutter sucht Arabella. Der Vater kommt hinzu und Fiakermilli hört nicht auf zu filmen. Wieder erklingt das Motiv “Teschek, bedien dich!”  Mandryka lässt einen Tische zum Souper bringen, überlässt der Gräfin die Wahl des Champagners, “30 Flaschen von diesem” und lässt seine goldene Kreditkarte springen.

Dritter Akt:  Beginn mit famosem Vorspiel mit sattem tiefem Blech

Das Video zeigt die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Bettes. Zdenka, als Zdenko verkleidet, bereitet das Bett. Matteo ist ahnungslos, wen er vor sich hat. Zdenka vereint in diesem Moment weibliche und männliche Attribute, indem ihre nackte Brust gezeigt wird und ihr kleiner Schnäuzer, den sie mit der Hand zu verbergen sucht. Vor der Projektionsfläche sitzt Zdenka “live” auf einer schlichten Bank und beobachtet sozusagen von außen ihre eigene Liebesnacht mit Matteo.  Arabella kommt hinzu. Wieder wird das “Aber der Richtige-Motiv” angedeutet.

Arabella und Mandryka sitzen auf der Bank und betrachten das leere Bett. Mandryka wundert sich, dass Arabella so spät noch einmal ausgeht. Er will wissen, woher sie kommt, glaubt ihr offenbar nicht, dass sie vom Ball kommt, denkt, sie spielt eine Komödie.

Matteo kommt hinzu und glaubt, er hat mit Arabella die Nacht verbracht. Mandryka setzt seine Leute auf Matteo an, “Der mit dem Schlüssel” zu Arabellas Zimmer. Für ihn ist die Situation klar, Arabella hat ihn mit Matteo betrogen. Das deckt sich mit Matteos Überzeugung. Schließlich ist es Graf Waldner, der das Missverständnis aufklärt.

Im Video sehen wir Zdenka im Schlafzimmer vor dem Spiegel ihre Männerkleider und ihren Bart anlegen. Sie wird wieder von der begehrten jungen Frau zum kleinen “Bruder”. Die Mutter beschimpft ihn als unseligen Intriganten und der Vater verlangt Satisfaktion von Mandryka. Arabella gibt sich in ihr Schicksal und befindet “Mag alles so gehen, wie es will!”.

Das Duell zeigt Kratzer uns in einem erneuten Schwarz-Weiß-Video. Die Pistolen werden geladen, der Chor kommentiert von links die Szene und Matteo bekennt “Ich bin allein der Schuldige.” Damit ist das fatale Missverständnis schließlich aufgeklärt.

Die Leinwand fährt hoch und Zdenka erscheint auf der Bühne. Sie blutet am Arm. Wurde sie beim Duell verletzt? Der Chor tritt in moderner schwarzer Kleidung auf. Zdenka sinniert, was ihre Maskerade für Folgen für Matteo hat. “Er weiß ja noch nicht, dass ich es war. Ich bin ein Mädel, ich war ja nie was anderes!” Damit hat sie sich endgültig geoutet und im Spiel mit den geschlechtlichen Identitäten festgelegt. Auch Mandryka erkennt nun seinen Irrtum: “Das Mädel war der Groom… ich möcht’ im Boden sinken.” Im Rahmen der allgemeinen Erkenntnis stellt auch Matteo fest: “Wie steh’ ich vor Ihnen, Arabella?”

Der Chor lagert sich auf dem Boden um Arabella und Zdenka. Die Mutter wünscht sich “O wäre dieser Abend nie gewesen!” und der Vater fragt sich “Was jetzt noch kommt…” Mandryka bezeichnet Arabella als einen Engel vom Himmel und diese wiederum findet, sie sei nicht wert solcher Verzeihung. Nun kommt die Brautwerbung für Matteo und Zdenka und der Chor kommentiert die glückliche Wendung mit “Wir gehen schlafen, jetzt passiert nichts mehr.” Auch Arabella zieht einen Schlussstrich: “Wir sprechen jetzt nicht mehr.”

Arabella erinnert Mandrykaan den Brauch aus seiner Heimat, wo der Diener zum Brunnen geht und ein Glas frisches Wasser holt und geht ab. Er ist verblüfft “Sie lässt mich stehen und geht…”.  Im folgenden Monolog grübelt Mandryka über Arabellas Verhalten. Das Orchester wird dominiert von ruhigen hohen Streicherlinien.

Mandryka legt sich auf die Bank. Arabella kommt zurück und singt “Das war sehr gut, Mandryka!” Sie bringt ein Glas und eine Flasche Wasser und während er von der Bank rutscht, bekennen sie “So bist du mein und ich bin dein und so sind wir Verlobte und Verbundene auf Freud und Leid, auf Wehtun und Verzeihn!” Auf seine Frage “Und du wirst bleiben, wie du bist?” antwortet sie “Ich kann nicht anders werden, nimm mich wie ich bin.” In diesem feierlichen Moment kommen Zdenka und Matteo mit der Transgenderflagge hinzu. Mandryka und Arabella necken sich mit dem Wasser und gehen ab. Zdenka und Matteo bleiben mit der Flagge auf der Bank zurück.

ARABELLA – Deutsche Oper Berlin – Reaktionen des Publikums
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Musik:  Richard Strauss schuf in Anlehnung an die Wagnersche Tonsprache einen neuen dramaturgischen Ausdruck, ohne dabei jedoch den tonalen Bezug zu verlassen. Er veränderte später seine Musiksprache hin zu einem glatteren Stil, in seinen Spätwerken sogar eher zu einem klassizistischen Stil.  Strauss hat immer vom Orchester aus gedacht. Bei Arabella setzt er neben Frau ohne Schatten mit den größten Orchesterapparat ein.

Ein normaler Operntext genügte ihm nicht. Er suchte eine vielschichtige Sprache, bei der es viel auf engem Raum zu komponieren gab. Bei den Libretti von Hugo von Hoffmannsthal wird diese Verbindung von Sprache und Musik sehr plastisch. Die Kombination hat handwerklich hervorragend funktioniert, man wird nur bisweilen erschlagen von der Wucht, zum Beispiel auch bei Elektra.

Hoffmannsthal wollte etwas leichtere Kost, damit wieder etwas Geld in die Kassen gespült wird, das wollte Strauss jedoch nicht. Er sei doch kein Operettenkomponist. Dennoch ist Arabella nicht so dicht gestrickt wie Salome oder Elektra, vieles klingt nach dem Rosenkavalier, so zum Beispiel das Duett im ersten Akt. Aufblühende Strauss-Kantilenen hüllen den Zuhörer in üppige Klangteppiche. Strauss gelingt es, ernste Gedanken und Themen in einer leichten Tonsprache zu präsentieren. Er verbirgt die eigentliche Tragödie an der Oberfläche. Dahinter verbirgt sich jedoch eine lebensbejahende Botschaft. Aus dem Zusammenbruch des Kaiserreiches mit dem Zerfall Österreichs bleiben Werte, auf denen man eine Zukunft aufbauen kann. Die Eltern überlegen, wie sie dem Geld nachjagen und das Glück erhalten können, aber Arabella hält unbeirrbar an dem zentralen Gedanken fest “Aber der Richtige, wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt…”

Im Vergleich zum Rosenkavalier fällt dieser opulenter aus, er spiegelt die K&K-Zeit in Wien wieder. In Arabella ist es eher der Rückblick auf ein untergegangenes Reich, die Musik ist daher vielfach gebrochen. Im Jahr der Uraufführung 1933 in Dresden sind es die Ideale gegen den Zeitgeist der Zwanziger-Jahre, die 1933 nicht mehr Thema waren. Arabella wurde von den Nazis sehr genutzt, Deutschland war schließlich eine Kulturnation.

Diese Brüche zeigen sich in verschiedenen Stilelementen. Strauss verwendet eine Polka, Walzer sind zu hören, immer jedoch gebrochen bis zum Ende des Stücks. Dazu bietet sich die Ballszene natürlich geradezu an. Er verwendet auch Anlehnungen an slawische bzw. kroatische Musik, wenn es um Mandryka geht, um an dessen Herkunft zu erinnern. Ein Motiv taucht immer wieder auf, zieht sich geradezu leitmotivisch durch die gesamte Oper. Immer wenn es um Geld geht oder Geld ausgetauscht wird, taucht dieses Motiv auf zum Text “Teschek, bedien dich!”

Strauss soll gesagt haben: “Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.” Richard Strauss und Hugo von Hoffmannsthal verlangen ihrem Publikum aber auch den Solisten mit der gut zweieinhalbstündigen Oper einiges ab. Zunächst handelt es sich um ein Konversationsstück mit extrem viel und kompliziertem Text. Dann ist sie, ähnlich wie Wagners Musikdramen, quasi durchkomponiert ohne getrennte einzelne Nummern.

Die Musik ist nicht so dramatisch wie bei Salome oder Elektra, hat leichtere Züge wie zum Beispiel im Rosenkavalier, ist von wenigen Nummern abgesehen aber auch nicht besonders eingängig. Zu den bekanntesten und einprägsamsten Stellen gehören “Aber der Richtige” und “Und du wirst mein Gebieter sein”.

Gesungen – durchweg auf gutem bis sehr gutem Niveau

Mit Sara Jakubiak (Arabella) verfügt die Deutsche Oper Berlin über eine wandlungsfähige dramatische Sopranistin. Sie beeindruckte bereits in Das Wunder der Heliane und Francesca da Rimini an der Deutschen Oper Berlin. Dankenswerterweise sprang sie äußerst kurzfristig in dieser Produktion ein und “rettete” damit die Premiere. Sara Jakubiak beeindruckt mit intensiver Rollengestaltung und großer Wandlungsfähigkeit in der Stimme. Auffallend ihre gute Textverständlichkeit bei einem angenehmen Vibrato und sauberer Intonation. Lediglich einzelne Spitzentöne gerieten ein wenig scharf, was jedoch der Gesamtleistung keinen Abbruch tut.

Elena Tsallagova (Zdenka) verfügt über einen schönen warmen Koloratursopran, perfekt besetzt in der Hosenrolle. Die Stimme ist gut fokussiert und geführt. Sie verkörpert perfekt die androgyne Figur der Zdenka / Zdenko und spielt geschickt mit den männlichen und weiblichen Attributen der Rolle. Im Spiel zwischen den Geschlechtern zeigt sie neben ihrer schönen lyrischen Stimme auch große Bühnenpräsenz.

Russel Braun singt die Rolle des Mandryka. Als erkältet angesagt meisterte er die Partie professionell bis zum letzten Akt, hier jedoch mit leichten Einbußen. Sein Bariton ist angenehm timbriert und kraftvoll und verkörpert ideal den reichen Landadligen. Sprühend, männlich und leidenschaftlich mit slawischem Temperament. Manchmal kommen Anklänge an Baron Ochs durch, den man sich auch gut mit Braun vorstellen kann.

Perfekt ergänzen sich die beiden erfahrenden Sängerdarsteller Doris Soffel (Adelaide) und Albert Pesendorfer (Graf Waldner) als sorgenvolles Elternpaar. Beide gestalten ihre Rollen souverän mit großer Erfahrung und doch individuell und persönlich. Sie ernten dafür entsprechend großen Applaus und die Anerkennung des Publikums. Robert Watson (Matteo) stellt den Matteo mit viel innerer Zerrissenheit und sehr überzeugend dar. Er verfügt über einen angenehmen lyrischen Tenor und großes darstellerisches Talent.

Thomas Blondelle (Elemer) verkörpert den einstigen Freund Arabellas, der aber wie alle anderen Bewerber abblitzen wird. Blondelle gestaltet seine etwas undankbare Rolle dennoch mit großer Hingabe und angenehm lyrischen Tenor und schauspielerischem Einsatz. Er begeisterte auch im Rheingold als Loge oder als Hexe in Hänsel und Gretel. Die kleine aber besondere Rolle der Fiakermilli sang die junge WCN-Stipendiatin Hye-Young Moon. Die kurzen Szenen mit ihr werden zum  echten Highlight. Sie spielt äußerst lebendig und quirlig und setzt ihren spritzig leichter Koloratursopran überzeugend ein, als aufgedrehte Selfie-Fetischistin ist sie auch darstellerisch ein Hingucker.

Als Arabellas Verehrer  erleben wir neben Thomas Blondelle noch Kyle Miller/ Stipendiat der New York Opera Foundation (Graf Dominik) und Tyler Zimmermann (Graf Lamoral). Mit Alexandra Hutton ist auch die Kartenaufschlägerin luxuriös besetzt.

Mit den drei Herren Welko, Djura, Jankel und dem Zimmerkellner vervollständigen Jörg Schörner, Michael Jamak, Robert Hebenstreit und Thaisen Rusch die große Besetzung.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Donald Runnicles stellt eine zuverlässige klangliche Basis für die Solisten.

Die Oper, die etwas daherkommt wie der Rosenkavalier, aber nicht seine Tiefe besitzt, unterhält das Publikum, ohne es zu tief zu berühren, was ein bisschen schade ist angesichts des enormen personellen Aufwandes und des prominenten Regieteams. Immer wieder gelingen Runnicles schöne schwelgende Momente, aber leider bleibt das großartige Orchester an diesem Abend etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück. Dass es mehr drauf hat, das konnte es am Vortag bei Salome unter Axel Kober und am nächsten Abend bei Elektra unter Alexander Soddy zeigen. Gerade bei Wagner und Strauss in der großen Orchesterbesetzung ist das Orchester der Deutschen Oper Berlin sehr zu Hause und im allgemeinen eine sehr sichere Bank. An diesem Abend fehlten jedoch ein paar Nuancen in der Partitur, um wirkliche Begeisterung hervorzurufen. Dennoch zeigte sich das Publikum erfreut und mit wohlwollendem Applaus, der ein einzelnes Buh zurückdrängte, das ob seines direkten Auftauchens wohl eher der Regie zuzuordnen ist als der musikalischen Ausführung.

Wie bereits beim Tannhäuser in Bayreuth arbeitet Tobias Kratzer wieder mit den Bühnen- und Kostümbildnern Rainer Sellmaier und Clara Luise Hertel zusammen. Sellmaier schafft mit seiner üppig bebilderten und reich detaillierten Bühne und Kostümen ein farbiges Bild des Wien um 1860 bis hin zu unserer heutigen Zeit, zu der er in einem Parforceritt den Bogen durch etwa 160 Jahre schlägt. Wie bereits erwähnt zieht sich eine Zweiteilung der Bühne durch den ganzen Abend, wobei ein Teil meist als Videofilm dargeboten wird. Oft arbeitet er zusätzlich mit dem Kontrast zwischen Farbe und Schwarz-Weiß bei realer Darstellung und Darstellung im Video, wenn es um Hintergründe oder Parallelhandlungen geht.

Den Tanz auf dem Zeitstrahl vollzieht Kratzer eigentlich hauptsächlich durch die detailreichen Kostüme der Tänzerinnen und Ballgäste. Deutlich akzentuiert wird hierbei der Verweis auf das Naziregime mit Hinweis auf das Jahr der Uraufführung 1933.

Sowohl das Bühnenbild als auch die Kostüme wirken sehr detailliert und aufwändig. Auffällig ist, dass die Bildsprache ganz zum Schluss, als es zur Conclusio kommt, sehr einfach wird. Die Personen haben nur noch schwarze und weiße Kleidungsstücke und die Bühne ist leer bis auf die schlichte Bank. Einziger Farbtupfer am Schluss ist die Transgenderflagge. Ob sie wirklich für die Befreiung Arabellas und Zdenkas von überkommenen Frauenbildern und Rollenverständnissen steht? Vielleicht steht sie einfach für die Aussage Arabellas

“Ich kann nicht anders werden, nimm mich, wie ich bin!”

Man darf gespannt sein, wie Kratzer sich den beiden weiteren Opern der Trilogie problematischer Frauenbilder bei Strauss und Hoffmannsthal (Intermezzo und Frau ohne Schatten) widmen wird, deren Auftakt diese Arabella darstellt.

  • Musikalische Leitung       Donald Runnicles
  • Inszenierung                    Tobias Kratzer
  • Bühne                              Rainer Sellmaier
  • Kostüme                          Rainer Sellmaier, Clara Luise Hertel
  • Choreografie                   Jeroen Verbruggen
  • Video                               Manuel Braun, Jonas Dahl
  • Licht                                Stefan Woinke
  • Chor                                Jeremy Bines
  • Dramaturgie                    Bettina Bartz, Jörg Königsdorf
  • Besetzung:
  • Graf Waldner                   Albert Pesendorfer
  • Adelaide, seine Frau         Doris Soffel
  • Arabella                           Sara Jakubiak
  • Zdenka                            Elena Tsallagova
  • Mandryka                         Russell Braun
  • Matteo                             Robert Watson
  • Graf Elemer                     Thomas Blondelle
  • Graf Dominik                   Kyle Miller
  • Graf Lamoral                             Tyler Zimmermann
  • Fiakermilli                        Hye-Young Moon**
  • Eine Kartenaufschlägerin  Alexandra Hutton
  • Welko                              Jörg Schörner
  • Djura                               Michael Jamak
  • Jankel                              Robert Hebenstreit
  • Ein Zimmerkellner            Thaisen Rusch
  • Kamera-Team                  Silke Briel, Lea Hopp, Janic Bebi***
  • Orchester der Deutschen Oper Berlin
  • Chor der Deutschen Oper Berlin
  • Opernballett der Deutschen Oper Berlin
  • Statisterie der Deutschen Oper Berlin
  • *     Stipendiat der New York Opera Foundation
  • **    WCN Stipendiatin Südkorea