Strasbourg, Opéra national du Rhin, LA VOIX HUMAINE - Francis Poulenc, IOCO Kritik, 22.02.2023

Strasbourg, Opéra national du Rhin, LA VOIX HUMAINE - Francis Poulenc, IOCO Kritik, 22.02.2023
L´Opéra national du Rhin - Strasbourg ©: Wikimedia Commons / Robert Cutts
L´Opéra national du Rhin - Strasbourg ©: Wikimedia Commons / Robert Cutts

L´Opéra national du Rhin

LA VOIX HUMAINE (1959)  -  Francis Poulenc

AERIALITY* (2011) - Anna Thorvaldsdottir

- Lyrische Tragödie in einem Akt nach dem gleichnamigen Monolog von Jean Cocteau und einem symphonischen Epilog* -

von Peter Michael Peters

  • DIE TRAUMMASCHINE ODER…
  • „Allô! C’est toi?... On avait coupé…
  • Non, non, j’attendais.
  • On sonnait, je décrochais et il n’y avait personne…
  • Sans doute… Bien sûr… Tu as sommeil ?...
  • Tu es bon d’avoir téléphoné »  (Elle / Auszug)

die Stimme des Dichters

Jean Cocteau (1889-1963) wurde in einem besonders wichtigen Jahr des so erfindungsreichen Jahrhunderts geboren und zwar in dem Jahr, in dem der beeindruckende Metallturm von Gustav Eiffel (1832-1923) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und auch desgleichen die Flügel des Moulin-Rouge zum ersten Mal gesehen wurden: Um sich zu drehen! Zwei Wunderwerke, die mit einer weiteren Erfindung dieses Jahres durch die Welt reisen werden: Die illustrierte Postkarte! Auch wenn seine Nutzung noch begrenzt war, tauchte des Telefon schon früh auf: 1854, angekündigt als surreales Projekt. Wie sprechen noch nicht von Kommunikation, sondern von elektrischer Sprachübertragung.

Nach einem völkermordenden Ersten Weltkrieg und dann die verrückten Jahre der Interventionen, der Fröhlichkeit, der Rücksichtslosigkeit, der radikalen Provokation, die von Pablo Picasso (1881-1973) und Sergei Djagilew (1872-1929) in die richtige skandalöse Bühnenform gebracht wurden. Dazu versammelt vom großen Genie Cocteau, sechs junge französische Komponisten (Le Groupe des Six (1916-1923): Georges Auric (1899-1983), Louis Durey (1888-1979), Arthur Honegger (1892-1955), Darius Milhaud (1892-1974), Germaine Tailleferre (1892-1983) und Poulenc) die 1921 ein durchschlagendes Ballett kreierten: Les Mariés de la tour Eiffel, denn die eiserne Dame ist mittlerweile eine der wichtigsten und berühmtesten Institutionen von Paris geworden. Francis Poulenc (1899-1963) ist gerade 22 Jahre, vertont die Rede eines wichtigen General im Rhythmus einer Polka. Im Théâtre des Champs-Élysées in Paris präsentiert, erntete das witzige Unternehmen einen großen Aufschrei der Empörung, der aber den gewaltigen exzentrisch-schicken Erfolg der Bohème-Avantgarde begründete.

LA VOIX HUMAINE - Einführung von Patricia Petibon, Ariane Matiakh, Katie Mitchell youtube Opéra national du Rhin

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Im Jahre 1928 trat Cocteau in eine Klinik in Saint-Cloud wegen Opium-Drogensucht ein, es war nicht die erste. Es ist Coco Chanel (1883-1971), die auch die Rechnung bezahlt! In siebzehn Tagen schrieb der Genesende einen Roman: Les Enfants terribles (1929), der sein erster großer Publikums-Erfolg wurde und auch gleichzeitig schrieb er einen  weiteren Text: La Voix humaine (1930), der in vielerlei Hinsicht ein bahnbrechender Text war.

Denn neben dem Liebesbruch, der das – gebrochene – Herz des Textes ist, stellt Cocteau auch einen Bruch mit einer gewissen Leichtigkeit, mit einer gewissen Welt von gestern her. Isoliert, abgesondert, in seinem Klinikzimmer: Folgt ihm die vergangene Zeit der Jazz-Bands, der frivolen Freundes-Gruppen und anderer verrückter Kreise in seine einsame Intimität. Paradoxerweise versucht sein neues Werk  die größtmögliche Zahl dieser Erinnerungen zu erreichen! „La Voix humaine, ein unansehnlicher Akt, ein Akt der Präsenz gegen Ästheten, ein Akt gegen Snobs, ein Akt gegen junge Leute (die schlimmsten Snobs), ein Akt, der nur diejenigen bewegen kann, die nichts erwarten und nichts verurteilen,“ schreibt er. „Nicht das Publikum muss schockiert werden, sondern die Elite! Erreichen sie einen Skandal der Banalität, bringen sie es ins Repertoire ein, halten sie es möglichst lange auf dem Plakat fest!“. Ziel erreicht! Bei der Uraufführung des Stücks unterbricht ein Mann die Vorstellung mit lautem Schreien: „Es ist obszön! Genug, genug!“ Sie schmeißen ihn aus dem Theater. Sein Name: Paul Éluard (1895-1952)!

„Bin ich verliebt? Ja, solange ich warte“, resümiert Roland Barthes (1915-1980). Bevor er hinzufügt (was Cocteau sicherlich gefallen hätte): „Warten ist eine Freude. Ich habe den Befehl erhalten, mich nicht zu bewegen. Das Warten auf ein Telefon ist so in winzige Verbote verwoben, ad Infinitum.“ Um das Telefon herum, bevorzugte Waffe der modernen Welt, deren tödliche Reichweite Cocteau ergriff, artikuliert sich nur das Unaussprechliche. In einem geschlossenen Raum finden wir eine dieser verlassenen Liebhaberinnen, die Cocteau so gut zu beschreiben weiß: Die erschütternd Kämpfende mit ihrem eigenen Zusammenbruch, gegenüber schönen gleichgültigen Menschen, die immer woanders zu sein scheinen, gefangen in einer Welt, gefangen in ihrer Welt: Großartig und Kalt! „Die einzige Rolle von La Voix humaine muss von einer jungen und eleganten Frau interpretiert werden. Es gehe nicht um eine ältere Frau, die ihr Geliebter im Stich gelassen hat“, präzisiert der Text. Damit keine Verwirrung entsteht: Die Grausamkeit des Bruchs kommt von seiner Willkür, ein weiterer Skandal der Banalität… Wir lieben, dann lieben wir nicht mehr oder noch schlimmer, wir lieben anderswo. Das ist alles!

Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck
Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck

Vergeblich versucht die Heldin, ihren Geliebten zu halten, sowohl durch Worte als auch durch Schweigen, indem sie die Gegenstände, die Orte, die Präsenzen und so viele andere Zeugen, die aber nicht mehr existieren: Ein kleines Hotel, ein Hund oder Briefe, die längst durch das Telefon zu Asche zerfallen sind… „Es gibt keine Liebe, es gibt nur Liebesbeweise“, schrieb Cocteau an anderer Stelle. In La Voix humaine, erklärt er, dass der Verrat nur ein Beweis ist für die überwältigenden und greifbaren Offenbarungen und sogar auch  angesichts  einer besiegten Einbildung.

Dreißig Jahre nach der Uraufführung des Stücks wird aus La Voix humaine eine Oper. Cocteau findet für diesen Anlass seinen Komplizen aus der Jugendzeit wieder: Poulenc. Ein weiterer Krieg ist vergangen, anderer Kummer ist verschwunden, andere Erfolge sind vergessen, andere Trauerfälle überwunden. Poulenc mag keine Albernheiten und Possen mehr. Seit 1935 von seiner Rückkehr zum Glauben geprägt, widmete er sich vor allem Werken religiöser Inspiration. Er schreibt die Partitur seiner Oper Dialogues des carmélites (1957) und die Rolle der Blanche für seine Lieblings-Interpretin die Sopranistin Denise Duval (1921-2016). „Wir waren beide mitten in einem sentimentalen Drama, wir weinten zusammen und La Voix humaine war wie ein Tagebuch unserer Tränen“, schreibt sie. „Wenn wir nicht auf einen Anruf gewartet haben, wenn wir nicht unter dem vergeblichen Warten gelitten haben, könnten wir dieses Werk von  gelebter Not wahrscheinlich nicht interpretieren“. „Manchmal habe ich Angst vor diesem unerträglichen Kind“, vertraut Poulenc seinerseits seinen Freunden an. „Es ist wirklich eine Musik, die in einer Art Benommenheit komponiert wurde“.

Getragen von der Sinnlichkeit der Partitur berühren die von Cocteau geschriebenen „Worte der armen Leute“ das Publikum ins Herz und offenbaren eine Welt des Schmerzes, eine Welt in der sich schon alle ohne ihr Wissen zweifelsfrei über den Weg gelaufen waren.

Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck

Cocteau und Poulenc starben beide fünf Jahre später im Jahre 1963. Poulenc am 31. Januar! Am nächsten Tag schickt die NASA den ersten Schimpansen in den Weltraum. Die Beatles-Mania tobt wild in diesen Jahren! Im August lieferte Martin Luther King (1929-1968) seine berühmte Ansprache in Washington „I have a dream.“ Cocteau starb im Oktober, zwei Stunden nachdem er von Edith Piafs (1915-1963) Tod erfahren hatte. Im November wird Präsident John Fitzgerald Kennedy (1917-1963) in Dallas ermordet. Und überall auf der Welt lieben wir, leiden wir und verlassen wir: Der ewige Lauf der Dinge! (?)

Natur und Erinnerung vom Himmel gesehen…

Wir finden bei dieser Gelegenheit das realistische Universum und die poetische Präzision der englischen Regisseurin und Theater-Direktorin Katie Mitchell (*1964), die diesem Drama von Poulenc und Cocteau mit einem neuen zusätzlichen filmischen Epilog ergänzte und der von einer kraftvollen symphonischen Komposition der äußerst talentierten isländischen Komponistin Anna Thorvaldsdottir (*1977) musikalisch begleitet wird: Aeriality. Hier wird gelebte Erinnerungen und alternative Realität zu einer unmöglichen Reminiszenz vermischt!

Aeriality bezieht sich auf den Zustand des Gleitens durch die Luft mit nichts oder wenig Halt – als ob wir fliegen würden – und die Musik schildert sowohl das Gefühl absoluter Freiheit. Die aber aus der Abwesenheit von Anhaftung gewonnen wird und somit auch das Gefühl des Unbehagens, das durch dieselben Umstände entsteht. Der Titel schöpft seine Essenz aus verschiedenen Aspekten der Bedeutung des Wortes Luft und bezieht sich auf die visuelle Inspiration, die eine solche Ansicht bietet. Aeriality ist auch ein Wortspiel, das die Wörter Luft und Realität kombiniert, um zwei verschiedene Wörter vorzuschlagen: Realität ist der Boden und Luft ist der Himmel oder vielleicht sogar das Unberührbare?

Aeriality steht an der Grenze zwischen symphonischer Musik und bildender Klangkunst oder „Kunstklang“. Die Teile des Werks bestehen aus dicken Klangclustern, die eine große Einheit bilden.  Wenn dann die Instrumente zusammenströmen, um eine einzige Kraft zu bilden: Ist es eine Klangmasse! Der Sinn der einzelnen Instrumente ist etwas verschwommen und das Orchester wird zu einem einzigen sich bewegenden Körper, obwohl es manchmal Schichten aus fließendem Material bildet, das zwischen verschiedenen Instrumental-Gruppen fließt. Diese chromatischen Materialschichten werden durch die Verwendung von Vierteltönen erweitert, um riesige Klangtexturen zu erzeugen. Auf dem, was vielleicht als Höhepunkt der Musik bezeichnet werden kann, sammelt sich langsam ein massiver, anhaltender Ozean von Vierteltönen an und wird dann in ein kurzes lyrisches Feld entlassen, das fast sofort auf dem Höhepunkt seiner eigenen Dringlichkeit verblasst: Um nur ein Schatten zu bleiben…!

Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck
Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck

LA VOIX HUMAINE - Premiere 18. Februar 2023 - Opéra National du Rhin / Strasbourg

Toxisch-sinnliche Beziehungen und versteckte Frauenfeindschaft…

Trotz zwei völkermordenden und blutigen Weltkriegen steht der Eiffelturm noch immer, das Moulin-Rouge empfängt noch immer Riesenscharen von Touristen aus aller Welt. Die Welt dreht sich noch immer: Im Bösen wie im Guten! Die Menschheit hat sich nicht geändert: Man liebt, betrügt, verlässt die/den Geliebte(n)… jedoch das schlimmste von allem, man tötet und führt Kriege wie immer. Die Menschheit hat und will nicht lernen… die Menschheit ist nicht menschlicher geworden! Wir haben das Jahr 2023 und stehen schon wieder ganz kurz vor einem Dritten Weltkrieg.

Auch der Fortschritt auf sozialer, medizinischer und technischer Ebene hat sich in einem rasanten Tempo seit der Erfindung des Telefons entwickelt. Auch Elle (Sie) benutzt in La Voix humaine (Die menschliche Stimme; nicht; Die geliebte Stimme!) nicht mehr ein gekabeltes Telefon. Nein! Elle benutzt das letzte Handy-Modell! Natürlich wie immer menschliche Fortschritte und Erfindungen sind immer mit negativen Zeichen verbunden: Naturschändung und Umweltverschmutzung! Warum sollte es anders sein! Das ist Menschlichkeit! Das ist extremer Egoismus! Warum auch nicht, wir sind ja nur Menschen?

Die sentimentale Geschichte von Elle wurde von Cocteau in La Voix humaine äußerst ironisch als etwas völlig Banales hingestellt: Ein Mann verlässt seine Geliebte für eine andere Frau! Man kann es natürlich von der banalen Seite sehen, denn diese verliebten und ungeliebten Spiele kommen natürlich zu jeder Tages- und Nacht-Zeit  auf der großen weiten noch drehenden Welt vor.

Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck
Opéra national du Rhin / La Voix Humaine hier Patricia Petibon als Elle © Klara Beck

Die geniale Produktion von La Voix humaine der englischen Regisseurin Katie Mitchell ist eine raffinierte Verbindung von Musik, Theater, Oper und Kino. Das von Cocteau und Poulenc niemals erwähnte Ende einer liebenden Frau ließ alles offen für den Betrachter und Hörer. Offen für die Sensibilität eines jeden Einzelnen! In dieser Produktion zeigt uns Mitchell mit dem großen englischen Video-Künstler Grant Gee eine Fortsetzung dieser dramatischen Liebesgeschichte: Mit einem filmischen Vorspiel- und Nachspiel… mit einem eventuellen „so könnte es gewesen sein“ Ende.

In einer kurzen filmischen Sequenz folgen wir auf einer vom Mond erhellten Straße die hastig eilende Elle auf ihrem Weg nach Hause. Nervös und Abwesend mit zitternden Händen sucht sie das Schlüsselloch ihres Hauseingangs. Elle lässt das Handy auf das Pflaster fallen und es zersplittert in tausend kleine zusammenhaltende Teile wie ein Spinnennetz. Vorahnung eines Mythischen Ende? Kaum angelangt in ihrer Wohnung: Indem die Leinwand verschwindet, sind wir schon auf der reellen Bühne mit der Musik von Poulenc und der verlassenen kranken Elle interpretiert von der äußerst talentierten französischen Sopranistin und Schauspielerin Patrica Petibon. Ja! Sie ist mit Haut und Haaren Elle, wie sie steht und geht: Elle wie sie leidet! Irgendwo klingelt das Telefon… das Handy, der Computer, das Kabeltelefon? Wer die Wahl hat! Hat  auch die Qual! Der Fortschritt erhöht die Leiden und die Qualen!

Elle hastet durch ihre elende vernachlässigte Wohnung: Die Tapeten fallen von den Wänden, die Vorhänge sind zerrissen, der Teppich ist übersät mit vollen Aschbechern und leeren Flaschen. Ja! Elle ist krank an Leib und Seele: Zwischen irgendwelchen fiktiven Anrufen verhüllt Elle ihren leidenden Leib mit einer Wärmflasche, schluckt Medikamente mit viel Alkohol um zu vergessen. Ja! Das Vermächtnis von Cocteau und Poulenc ist nicht leicht zu entziffern: Die Anrufe von Elle,  sind sie reell oder fiktiv? Vielleicht sind es nur noch die blassen Erinnerungen einer kranken und irren Seele: Der egoistische frauenfeindliche Macho-Liebhaber, das kleine Hotel in Marseille, das Restaurant der Verliebten,  der Hund des Verliebten, usw. Vielleicht ist alles schon in Asche verfallen?

Aber was wichtig ist: Dass die Realität einen auf das tiefste Innere verzweifelten Menschen zeigt, egal  weiblich oder männlich, der keinen Ausweg mehr aus seinem Dilemma-Labyrinth findet. Der unweigerliche Kurzschluss erreicht das Drama! Man sollte die Interpretin Petibon in den Himmel heben, aber das ist wohl nicht sehr elegant in Zusammenhang mit dieser Interpretation? Aber es fehlen doch wohl die Worte, um diese großartige Rollen-Interpretation, nein besser: Rollen-Erfüllung zu beschreiben. Dieses wahnsinnige in „die Rolle gehen“ hat sie schon viele Male auf den Brettern, die die Welt bedeuten, bewiesen. Wir erinnern uns an eine irrsinnige verinnerlichte Melisande in Paris und eine steife störrische Lulu in Genf. Man hat es oder man es nicht! Eine schöne musikalische oder schauspielerische Interpretation kann jeder halbwegs gute Solist erreichen. Aber eine derartige elektrisierende Präsenz auf der Bühne ist nicht jedem gegeben, dazu muss man wohl geboren sein! Und Patricia ist eine von diesen Naturtalenten! Brava für Elle! Brava für Patricia!

Bei aller Begeisterung wollen wir nicht die zwielichtige Beleuchtung der englischen Lichtbildnerin Bethany Gupwell vergessen, die schon in der Wohnung von Elle eine mondsüchtige Atmosphäre kreierte. Die modernen Kostüme wurden von der englischen Kostümbildnerin Sussie Juhlin-Wallén entworfen oder besser gesagt „ausgesucht“ und die verwahrloste Wohnung von Elle wurde von dem englischen Bühnenbildner Alex Eales fabriziert.

Das Ende eines unlösbaren Schicksals: Elle springt in einer überhellen Mondnacht von ihrem Balkon. Im Grunde ist das schon mehr als das Ende von La Voix humaine von Cocteau und Poulenc, denn beide Schöpfer ließen das Ende offen für unsere eigene Verinnerlichung… für unsere eigene Fantasie. Ohne Übergang wird das vierzigminütige Werk von Poulenc mit einem utopischen und mythologischen sinfonischen Werk mit dem luftigen Titel Aeriality von der isländischen Komponistin Anna Thorvaldsdottir verlängert. Eine Verlängerung im Sinne von Cocteau… von Poulenc… eine Verlängerung für uns… für den Zuschauer.

Von der Bühne wieder zum Film: Auf dem Straßenpflaster liegt in einer großen Blutlacke der schöne Kadaver von Elle! In einer mondüberflutenden Nacht erwartet man nichts anderes: Elle erhebt sich durch übermächtige Kräfte und wandelt irrend und suchend durch die Straßen ihrer Stadt. Elle wandelt mondsüchtig in den mystischen Zwischenwelten: Zwischen Leben und Tod! Das mysteriöse Niemandsland wo die Sonne niemals scheint! Aber da plötzlich erscheint ein Ungeheuer mit fletschenden Zähnen … Ein Zerberus! Ein Anubis! Es ist wohl die Inkarnation des Hundes ihres Geliebten! Überschneidungen von realistischen und  mystischen Welten! Die griechische Tragödie ist vollendet! Der ägyptische Gott Anubis führt Elle über unendliche Treppen und Gänge zu einem  unumgänglichen „nicht weiter gehen“. Das Symbol eines gelebten Leben ist vollendet! Als Überschrittene der Zwischenwelten besucht Elle noch einmal ihre Wohnung, das Telefon klingelt: Hallo.. ist da jemand? Keine Antwort!

Vierzig Minuten La Voix humaine von Poulenc / Cocteau und noch zwanzig Minuten mehr für Aeriality von Thorvaldsdottir interpretiert vom Orchestre Philharmonique de Strasbourg unter der sehr inspirierten Leitung der französischen Dirigentin Ariane Matiakh: Machen Musik, Oper, Theater und Film zu einer freudigen und geistreichen Überraschung von nur einer ganzen Stunde. Leider nur von einer ganzen kleinen Stunde, denn wir hatten unaussprechlichen Hunger nach mehr! Obwohl in dieser einen Stunde alles über die Menschheit gesagt wurde: Warum waren wir noch ungesättigt?     (PMP/20.02.2023)

LA VIOX HUMAINE - Opéra national du Rhin - link HIER!

Vorstellungen in Strasbourg: 22. / 24. / 26. Februar, in Mulhouse: 12. / 14. März sind vorgesehen. www.operanationaldurhin Telefon Strasbourg: +33(0) 825 84 14 84, Telefon Mulhouse:  +33(0) 89 36 28 28