Münster, Theater Münster, GEIZIGE (m, w, divers) - nach Molière, IOCO Kritik, 28.11.2022

Münster, Theater Münster, GEIZIGE (m, w, divers) - nach Molière, IOCO Kritik, 28.11.2022
Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster

Der geizige Patriarch - nach Molière

- Zeitlose Parabel - von Plautus über Molière in die Jetztzeit -

von Hanns Butterhof

Man durfte gespannt sein, welche aktuellen Funken das rein weibliche Regieteam um Cilli Drexel und das rein weibliche Ensemble aus dem Molière-Klassiker Der Geizige von 1668 schlagen würden. Die Verkürzung des Titels auf Geizige (m,w, divers) war ein erstes Zeichen, das aber zum Ende im Klamauk unterging.

Die von Christina Mrosek äußerst spärlich eingerichtete Bühne wies auf zeit- und ortlose Gültigkeit der Geschichte hin, die schon Molière von dem römischen Satiriker Plautus übernommen hatte. Ein Lehnstuhl mit Fußbänkchen, eine Stehlampe und eine nur anfangs verließ-mäßig quietschende Falltür in den Keller genügen.

 Theater Münster / GEIZIGE hier Katharina Brenner als Harpagnon beim Baden in Geld © Sandra Then
Theater Münster / GEIZIGE hier Katharina Brenner als Harpagnon beim Baden in Geld © Sandra Then

Die Zentrale Gestalt der Komödie ist der geizige Harpagon, der getrieben ist von der ständigen Furcht, bestohlen und betrogen zu werden. Katharina Brenner gibt ihn als agiles Männchen mit großem Schnurrbart und Mittelscheitel, immer in wehendem Morgenmantel, der den Blick auf seine weiße, leicht feminine Unterwäsche (Kostüme: Janine Werthmann) erlaubt. Er badet nicht nur gern wie Dagobert Duck in einer Badewanne voller Geld, er hält vor allem seine beiden Kinder Elise (Clara Kroneck) und Cléante (Agnes Lampkin) mit väterlicher Gewalt und seinem Geld in völliger Abhängigkeit. So hat seine Tochter Élise Angst, ihm von der Liebe zu ihrem mittellosen Geliebten Valère (Nadine Quittner) zu erzählen, und sein Sohn Cléante wagt nicht, sich zu seiner Liebe zu der armen Mariane (Rose Lohmann) zu bekennen. Harpagon erfährt davon nur versehentlich, als er für sich selber die Kupplerin Frosine (Regine Andratschke) um Mariane werben lässt, sein gehortetes Geld gestohlen wird und alles turbulent drunter und drüber geht.

Regisseurin Cilli Dexel hat sich für Slapstick und durchgängigen Klamauk entschieden, und das Ensemble zieht aufgedreht mit, vor allem Katharina Brenner als Harpagnon. Wie sie ins Publikum stürmt und mittels Taschenlampe nach dem Dieb (m, w, div.) ihres Vermögens sucht, ist schon sehr spaßig. Auch Clara Kroneck als Élise in ihrem zu kurzen, hellblauen Tüllkleid ist gestisch wie mimisch extrem komisch. Ihre Fähigkeit, einzelne Gliedmaßen bei Bedarf isoliert abknicken zu lassen sowie ihre nahezu hellseherische Fähigkeit, gerade ohnmächtig Zusammenbrechende rechtzeitig aufzufangen, erheitern außerordentlich. Regine Adratschke ist als Kupplerin Frosine umwerfend, als deus ex machina erscheinender Anselme aber verschenkt, wie nicht inszeniert. Ähnlich geht es dem aus mehreren Charakteren Molières zusammengesetzten Diener La Flèche Carola von Seckendorffs. Weil ihm der Raub von  Harpagnons Geld gestrichen ist, verliert er seine Funktion und endet sinnleer auf einem Stuhl am Bühnenrand. Nadine Quittner als Valère mit schmuckem Bijou-Bärtchen windet sich kunstvoll schmeichelnd durch das Stück, und Agnes Lampkin als Cléante bildet mit Rose Lohmann ein erfreulich forsches Liebespaar.

Theater Münster / GEIZIGE hier Valère umschmeichelt Harpagnon. (Nadine Quittner und  Katharina Brenner) © Sandra Then
Theater Münster / GEIZIGE hier Valère umschmeichelt Harpagnon. (Nadine Quittner und Katharina Brenner) © Sandra Then

Das alles genügt für einen lustig entspannten Theaterabend in schwerer Zeit für ein Premierenpublikum in Münster, wenn man sich von vorsichtig ironischer Kritik auf eingespieltem Video, etwa über geilen Geiz, nicht die gute Laune verderben lässt. Aber unter jeder guten Komödie lauert die Tragödie und harrt ihrer Entdeckung. Das slapstickhafte Verhalten ist ja nur für den mitleid- und lieblosen Blick eines Harpagon lachhaft. Es weist vielmehr auf die Deformationen hin, die Harpagnons Macht, gestützt auf sein Vermögen hervorruft und letztlich im Patriarchat ihre Wurzeln hat. Er kann bestimmen, wen seine Kinder heiraten oder nicht heiraten dürfen, von außerehelicher Liebe ganz zu schweigen. Das führt zu Élises Zucken, Cléantes Lügen und der anbiedernden Schmeichelei Valères. Die Komödie müsste eigentlich „Der geizige Patriarch“ heißen; die Veränderung des Titels in Geizige weist, da Harpagnon der einzige Geizige im Stück ist, bestenfalls ins Ungefähre.

Es ist bedauerlich, dass die Regie sich nirgends um eine genauere Charakterisierung der Figuren bemüht und sich mit dem Vorzeigen ihrer Deformationen begnügt hat. Das schädigt auch die Aktualität des Stoffs und der Funken, die mit dem Patriarchat heute daraus zu schlagen wären.

Die Inszenierung schafft die Atmosphäre einer Liebhaber*innen-Aufführung in einem Mädchenpensionat, in der auch Lehrerinnen mitspielen und es auf inhaltliche Stringenz nicht so sehr ankommt. Dem Potential des Stücks wird das nicht gerecht.

Nach zweieinhalb unterhaltsamen Stunden gab es viel Applaus für Ensemble und Regieteam.

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