Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, DAS RHEINGOLD - konzertant - Richard Wagner, IOCO Kritik, 28.10.2022

Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, DAS RHEINGOLD - konzertant - Richard Wagner, IOCO Kritik, 28.10.2022

Staatstheater Braunschweig

Staatstheater Braunschweig © Stefan Koch
Staatstheater Braunschweig © Stefan Koch

DAS RHEINGOLD, Vorabend - Bühnenfestspiel  Der Ring des Nibelungen

- Wandel und Wechsel liebt, wer lebt!   Gedanken zu einem besonderen Opernabend -

von Karin Hasenstein

Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO
Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO

Manchmal entscheiden Zufälle im Leben, ob man Dinge tut oder nicht. Vielleicht ist es auch Fügung und Schicksal. Zufall war, dass die Rezensentin durch einen Facebook-Post darauf aufmerksam wurde, dass die dritte Vorstellung des Rheingold am Staatstheater Braunschweig am 22. Oktober 2022 eine konzertante Aufführung werden würde.

Braunschweig bringt in dieser Spielzeit ein besonderes Projekt heraus unter dem Titel "Ausweitung des Ringgebiets". Es handelt sich um eine spartenübergreifende Arbeit, wobei das Rheingold im wesentlichen als Musiktheaterabend mit Versatzstücken aus dem Schauspiel, also mit Sprechtheatereinschüben, auf die Bühne gebracht wird.

Aufgrund zahlreicher Krankheitsfälle im Orchester, verschiedenen Gewerken und kurzfristigen Ausfällen im Solisten-Ensemble, obendrein noch massiven Problemen mit der Bühnentechnik, stand das Staatstheater Braunschweig vor der Entscheidung, die Vorstellung ausfallen zu lassen oder mit Hilfe von Einspringern immerhin eine konzertante Aufführung über die Rampe zu bringen.

Völlig unabhängig von der Art oder Qualität einer szenischen Ausstattung tut eine konzertante Aufführung der Musik immer gut. Die Solisten können sich voll und ganz auf Text und Musik konzentrieren, auch das Publikum kann ganz bei den Sängern sein, ohne über Ausstattungselemente grübeln zu müssen oder von störenden Geräuschen schleifender Drehbühnen oder knirschender Bühnenmaschinerie abgelenkt zu werden, wie unlängst an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Jeder Bildwechsel wurde begleitet von deutlich hörbaren Geräuschen der Maschinerie, die das Bühnenbild von rechts nach links bewegte.

Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier Kwonsoo Jeon, Aris Argiris, Maximilian Krummen, Nina Wolf © Thomas M. Jauk
Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier Kwonsoo Jeon, Aris Argiris, Maximilian Krummen, Nina Wolf © Thomas M. Jauk

Nun war die Entscheidung für eine konzertante Aufführung eher aus der Not heraus geboren, denn kein Haus will so eine Vorstellung absagen müssen.

So galt der besondere Dank des Staatstheaters an diesem Abend den äußerst kurzfristig eingesprungenen Solisten Rowan Hellier als Floßhilde, Anthony Robin Schneider als Fafner und John Lundgren als Alberich.

Bei einer konzertanten Vorstellung ist es üblich, das Orchester aus dem Graben auf die Bühne zu holen. Das hat auch den Vorteil, dass die Harfen an ihrem üblichen Platz hinter den Violinen stehen konnten, anstatt in der Proszeniumsloge.

Die Solisten stehen direkt an der Rampe, der Dirigent hat die Solisten im Rücken, so dass diese im wesentlichen das Dirigat vom Monitor abnehmen müssen, was ja bei szenischen Aufführungen je nach Position auf der Bühne ohnehin der Fall ist.

Das Vorspiel zum Rheingold beginnt mit einem tiefen Es der Kontrabässe, das aus dem Nichts kommen muss und so klingen sollte, als ob es schon immer da war. Nachdem sich das Wogen der Wellen immer mehr aufbaut, indem sich die aufsteigenden punktierten Wellenmotive immer enger überlagern, betreten die drei Rheintöchter die Bühne.

Die Stimmen von Veronika Schäfer (Woglinde), Milda Tubelyte (Wellgunde) und Einspringerin Rowan Hellier (Floßhilde) harmonieren und ergänzen einander ganz wunderbar. Schäfers Stimme ist klar und glockig, Tubelyte etwas größer und metallischer und Hellier warm und dramatisch.

Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier | Narine Yeghiyan, Michael Mrosek, Milda Tubelyt?, Isabel Stüber Malagamba © Thomas M. Jauk
Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier | Narine Yeghiyan, Michael Mrosek, Milda Tubelyt?, Isabel Stüber Malagamba © Thomas M. Jauk

Die drei sind perfekt im Zusammenklang, und das ohne zusätzliche Proben! Das kecke Locken und Spielen, mit dem die Rheintöchter Alberich necken, haben die drei Damen sehr ausdrucksstark und überzeugend vermittelt. Da überrascht es nicht, dass Alberich zu Höchstform aufläuft, wie an diesem Abend der extrem kurzfristig eingesprungene und extra aus Stockholm angereiste John Lundgren. Der schwedische Bariton, der in diesem Jahr wieder als Holländer bei den Bayreuther Festspielen zu erleben war, ging, wie seine Kolleginnen und Kollegen, ohne eine Ensemble- oder Anspielprobe auf die Bühne. Das erfordert von allen Beteiligten ein äußerstes Maß an Konzentration und Professionalität und, was absolut nicht zu unterschätzen ist, Nerven wie Drahtseile.

Lundgren gestaltete mit seinem dramatischen Bariton den verschlagenen und lüsternen Schwarzalben sehr eindrucksvoll und mit großer Wandlungsfähigkeit der Stimme und scheute sich auch nicht, ihm "schmutzige" Töne zu verleihen. Trotz der konzertanten Aufführung sang er nicht einfach nur, sondern spielte den Alberich sehr überzeugend, so dass es eine Freude war.

Nachdem Alberich den Rheintöchtern das Rheingold geraubt hat und diese in den Fluten des Rheins verschwunden sind, treten der Göttervater Wotan und seine Gemahlin Fricka auf.

Wotan ist in Braunschweig luxuriös mit dem griechischen Bariton Aris Argiris besetzt. Argiris hat den Wotan / Wanderer bereits u.a. in Chemnitz, München, Hamburg und Nürnberg gesungen und war Cover für Tomasz Konieczny bei den diesjährigen Richard-Wagner-Festpielen in Bayreuth.

Schon vom Habitus betritt da ein Göttervater die Bühne, groß, stattlich und selbstbewusst. Wotan träumt in diesem Moment noch von der Burg, Walhall, deren Bau er bei den Riesen Fasolt und Fafner in Auftrag gegeben hat. Entsprechend selbstverständlich kommt der erste Satz Wotans "Der Wonne seligen Saal bewachen mir Tür und Tor: Mannes Ehre, ewige Macht, ragen zu endlosem Ruhm!"   Dieser Gott glaubt (noch) an sich, die Zweifel kommen erst später.

Aris Argiris interpretiert den Wotan mit wohltimbrierten Bariton, der sowohl die leisen Töne beherrscht wie auch die temperamentvollen Forte-Ausbrüche. Seine fokussierte Stimme verfügt über eine große Wärme und je nach Erfordernis auch nötige schwarze Färbung, die dem Göttervater den gebührenden Respekt verleiht. Man merkte es Argiris an diesem Abend an, dass er gerne spielen wollte, denn die Szene hilft den Solisten ja auch extrem, eine Rolle zu verkörpern. Nach kurzer Zeit war er aber auch ohne Szene intensiv in der Rolle; auch in einer konzertanten Aufführung stehen erfahrene Solisten ja nicht statisch auf der Bühne, sondern agieren mit Blicken und Gesten miteinander.

Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier | Rainer Mesecke, Aris Argiris, Jisang Ryu © Thomas M. Jauk
Staatstheater Braunschweig / Das Rheingold hier | Rainer Mesecke, Aris Argiris, Jisang Ryu © Thomas M. Jauk

Argiris überzeugt mit seinem dunklem Timbre und guter Textverständlichkeit, insbesondere bei den Endkonsonanten. Nirgends ist der Text wichtiger als bei Wagner und seinen langen erzählenden Passagen. Wenn da der Text untergeht, schaltet der Zuhörer ab. Nicht so an diesem Abend in Braunschweig, die Textverständlichkeit war bei allen Solisten gut bis ausgezeichnet gegeben. Argiris überzeugt aber nicht nur in der tiefen Lage, sondern auch in der höheren. Der Rheingold-Wotan liegt etwas höher und kann bisweilen für eine tiefere schwerere Stimme zur Herausforderung werden.

Die schottische Mezzosopranistin Catriona Morison sang Wotans Gattin und Hüterin der Ehe, Fricka. Morison verfügt über einen schlanken wandlungsfähigen Mezzo und verkörperte die Fricka überzeugend und sympathisch.

In den Streit zwischen Wotan und Fricka über den Bau der Burg platzt Freia, die Wotan als Pfand eingesetzt hat, jedoch versichert er Fricka, dass er sie nie ernstlich den Riesen überlassen wollte.

Freia wird gesungen von Ekaterina Kudryavtseva. Die aus St. Petersburg stammende Sopranistin interpretierte die ein bisschen undankbare Rolle der an die Riesen verschacherten Freia mit glockigem jugendlich-dramatischen Sopran. Sie stellte das ängstliche verzweifelte Opfer des Handels um den Bau der Burg überzeugend und glaubhaft dar.

Wotan versucht Freia zu beruhigen, indem er auf Loge verweist, den Listigen, der Wotan zum Vertrag mit den Riesen gedrängt, aber auch versichert hat, Freia zu lösen.

Richard Wagner hat für den Loge einen Charakter-Tenor vorgesehen. Thomas Mohr singt den Loge mit leicht heldischem Einschlag, gut geführt und stets fokussiert und mit großer Wandlungsfähigkeit in der Stimme. Dabei verleiht er der Rolle auch die nötige Verschlagenheit, bleibt dabei aber immer sympathisch. Die Rolle des Loge ist eigentlich immer sehr dankbar, das raffinierte Ränkespiel und der Umstand, dass er immer einen Rat parat hat, macht Loge und an diesem Abend seinen Darsteller Thomas Mohr zum Publikumsliebling. Trotz der szenischen Aufführung war auch die starke Bühnenpräsenz und große Spielfreude im Zusammenspiel mit Wotan deutlich spürbar.

Ein weiterer Höhepunkt jeder Rheingold-Aufführung ist der Auftritt der Erda, der Urmutter und Mahnerin. Der Auftritt fällt schon deshalb aus dem Rahmen, weil es im Vorabend der einzige ist und sich vom Charakter her von den anderen Figuren unterscheidet. Wagners Anweisung in der Partitur dazu lautet "Sehr langsam und feierlich". Sie interagiert nicht, sie verkündet, gleich einem Deus ex machina. Sie taucht auf und verschwindet wieder und lässt Wotan mit der Aussage "Du weißt genug" sinnend zurück. Marlene Lichtenberg verfügt über eine sehr klangvolle und warme substanzreiche Tiefe und verleiht der Erda mit ihrem vollen Mezzosopran die nötige Würde und Abgeklärtheit. Der kurze Auftritt gerät eindrucksvoll und bleibt im Gedächtnis.

Ein weiterer Glanzpunkt an diesem Abend sind die Auftritte der Riesen Fasolt und Fafner, gesungen von Ensemblemitglied Rainer Mesecke und Einspringer Anthony Robin Schneider. Auch die Riesen haben es eigentlich leicht, das Publikum für sich einzunehmen, gehört doch das Riesen-Motiv mit seiner großen Eingängigkeit zu den prägnantesten Leitmotiven. Beide Sänger singen und agieren absolut souverän und überzeugend und auch ihnen merkt man nicht an, dass sie an diesem Abend erstmalig zusammenkamen.

Auch die "kleinen" Götter, Froh und Donner lassen keine Wünsche offen. Kwonsoo Leon singt einen agilen Froh mit hellem lyrischen Spieltenor. Ensemblemitglied Maximilian Krummen ruft das schwüle Gedünst mit seinem markanten wohlklingenden Bariton markig und eindrucksvoll herbei.

Ebenfalls ein bisschen undankbar ist die Rolle des Zwerges Mime im Rheingold. Im Siegfried hat der Ziehvater Siegfrieds dann deutlich mehr zu tun. An diesem Abend jedoch muss er gegen Alberich und Wotan bestehen und wird von ihnen vorgeführt und gequält. Matthew Pena singt den gedemütigten Tarnhelm-Schmied sehr überzeugend und wandlungsfähig, so dass das Publikum sofort Mitleid mit ihm hat. Die Klagelaute am Anfang sind ausgesprochen jammervoll und mitleiderregend.

Das Staatsorchester Braunschweig unter der Leitung von Generalmusikdirektor Srba Dinic spielte in größerer Besetzung als sonst, aber naturgemäß - wie an kleineren und mittleren Häusern üblich - in einer etwas reduzierten Besetzung und leider nicht in der von Richard Wagner vorgesehenen 16er Streicherbesetzung. Der Platz im Orchestergraben ist einfach begrenzt. So waren statt der vorgesehenen sieben Harfen nur zwei auf der Bühne, immerhin fünf Kontrabässe, dreifach besetztes Holz und die erforderlichen Wagnertuben und Hörner.

Dinic gelang der Balanceakt, mit dem Orchester auf der Bühne und den Solisten im Rücken, das Ensemble souverän durch den zweieinhalbstündigen Abend zu führen. Anfangs gab es noch leichte Abstimmungsprobleme, was sich jedoch schnell glättete. Dinic lotete die Partitur dynamisch aus und legte mit dem Orchester einen farbenreichen Klangteppich unter die Solisten. An der einen oder anderen Stelle hätte man sich gewünscht, dass einzelne Orchesterstimmen stärker hätten herausgearbeitet werden können. Sehr schön plastisch gestaltete er die Auftritte der Riesen, die Donner-Stelle im vierten Bild und die Schwert-Motive. In der letzten Viertelstunde zog er das Orchester an vielen Stellen groß auf und schuf eindringliche Momente, die wirklich atemberaubend waren.

Mit Wotan, Loge und Alberichsteht und fällt der ganze Abend beim Rheingold. Mit den drei erfahrenen Wagner-Stars Aris Argiris, Thomas Mohr und John Lundgren hat das Staatstheater einen Glücksgriff getan, denn alle drei sangen und agierten an diesem Abend auf sehr hohem Niveau, engagiert und mit starker Bühnenpräsenz. Die extreme Professionalität aller Mitwirkenden ermöglichte es, dass die unter so unglücklichen Vorzeichen stattfinde Vorstellung zu einem kleinen Juwel wurde. Ohne Anspielprobe in so einen langen Abend zu gehen, erfordert von allen Beteiligten höchste Konzentration und Fokussierung. Diese Leistung ist nicht hoch genug einzuschätzen!

Nach einem kurzen Moment der Stille und schlicht Sprachlosigkeit nach dem gerade Gehörten brach das Publikum in begeisterten und lang anhaltenden wie herzlichen Applaus aus, der von Bravorufen begleitet wurde und in Standing ovations mündete.

Die Inszenierung hat an diesem Abend vermutlich niemand vermisst, so intensiv und dicht war die Leistung des Ensembles. Klare Empfehlung für einen Besuch des Rheingolds am Staatstheater Braunschweig! Dem Haus ist zu wünschen, dass sich die Qualität der Produktion herumspricht, damit der Zuschauerraum sich zu den kommenden Vorstellungen noch stärker füllen möge.

Besetzung:

  • Wotan           Aris Argiris
  • Donner         Maximilian Krummen
  • Froh             Kwonsoo Jeon
  • Loge             Thomas Mohr
  • Alberich        John Lundgren (kurzfristig als Gast)
  • Mime            Matthew Pena
  • Fasolt           Rainer Mesecke
  • Fafner          Anthony Robin Schneider (kurzfristig als Gast)
  • Fricka           Catriona Morison
  • Freia            Ekaterina Kudryavtseva
  • Erda             Marlene Lichtenberg
  • Woglinde      Veronika Schäfer
  • Wellgunde    Milda Tubelyte
  • Floßhilde      Rowan Hellier (kurzfristig als Gast)
  • Staatsorchester Braunschweig
  • Musikalische Leitung         Srba Dinic