Saint-Denis - Paris, Légion d´Honneur, Festival de Saint-Denis 2022, IOCO Kritik, 17.07.2022

Saint-Denis - Paris, Légion d´Honneur, Festival de Saint-Denis 2022, IOCO Kritik, 17.07.2022
Saint-Denis - Légion d´honneur © Peter Michael Peters
Saint-Denis - Légion d´honneur © Peter Michael Peters

Festival de Saint-Denis

FESTIVAL DE SAINT-DENIS 2022

- Magdalena Kozena, Simon Rattle & Friends - Lieder und Melodien -

von Peter Michael Peters

Magdalena Kozena, Simon Rattle & Friends - Lieder und Melodien - 3. Juli 2022

  • Magdalena Kozena, Mezzosopran
  • Sir Simon Rattle, Klavier
  • Giovanni Guzzo, Geige
  • Rahel Maria Rilling, Geige
  • Amihal Grosz, Bratsche
  • David Adorjan, Cello
  • Kaspar Zehnder, Flöte
  • Christopher Richards, Klarinette

Die Künstler interpretierten Lieder und Melodien von Ernest Chausson (1855-1899), Igor Strawinsky (1882-1971), Richard Strauss (1864-1949), Johannes Brahms (1833-1897), Maurice Ravel (1875-1937), Leos Janacek (1854-1928) und Antonin Dvorak (1841-1904).

EIN LAUNISCHER LIEDERABEND OHNE ÜBERRASCHUNG…

Normalerweise an der Spitze der größten Orchester, war dieses Konzert eine einzigartige Gelegenheit, den großen Dirigenten Sir Simon Rattle als Pianist zu hören. Für diesen Abend im intimen Rahmen des Saal der Légion d’honneur umgab er sich mit Musikerfreunden aus Berlin und London, die er in der Vergangenheit dirigierte, um mit ihnen und mit seiner Frau Magdalena Kozena in einem Programm mit Kammermusik, Liedern und Melodien zu interpretieren.

Festival de Saint-Denis / Magdalena Kozena, Simon Rattle & Friends © Christophe Fillieule
Festival de Saint-Denis / Magdalena Kozena, Simon Rattle & Friends © Christophe Fillieule

Liederabend im Saal der Légion d’honneur - 3. Juli 2022

Das Recital am Sonntagabend im Saal der Légion d’honneur beinhaltete nur ein traditionelles Werk für Gesang mit Klavierbegleitung: Drei Lieder der Ophelia, Op. 67 (1918) von Strauss, voll von zweideutigen Passagen, die die Zerbrechlichkeit der Figur zum Ausdruck bringen, vorgetragen von Kozena mit einer unheimlichen Note, die an Claude Debussys (1862-1918) Pelléas et Mélisande (1902) erinnert, gewissermaßen das Markenzeichen der Sängerin. Im letzten Lied: „Sie trugen ihn auf der Bahre bloß“, war ihr wiederholtes: „Und kommt er nimmermehr?“ – ergänzt durch düstere Klavierharmonien, die an mäandrierende Gewässer erinnerten – herzzerreißend.

Der Rest des Recitals umfasste Lieder und Melodien aus der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wobei die Mezzosopranistin Magdalena Kozena von einer wechselnden Gruppe hervorragender Musiker begleitet wurde, die aus einem Streichquartett (die Geiger Giovanni Guzzo und Rahel Maria Rilling, der Bratschist Amihal Grosz und der Cellist David Adorjan), sowie der Flötist Kaspar Zehnder und der Klarinettist Christopher Richards sorgten neben Sir Simon Rattle für eine stets aufmerksame und subtile Begleitung am Klavier. Bei der Auswahl der Lieder und Melodien, viele wenig bekannte, interpretiert in Französisch, Deutsch, Englisch und Tschechisch, war sehr verlockend, aber die Kriterien für die Auswahl dieser und nicht anderer waren oft sehr fraglich. Außerdem schien ihre Anordnung ein bisschen nach Laune zu sein! Von Ophelia inspirierte deutsche Lieder wurden durch nicht verwandte Musik von Ravel (und die Pause) getrennt. In den Three Songs (1953) von William Shakespeare (1564-1616), war Strawinskys Serialismus-Experiment nicht sehr überzeugend und dessen dürre belanglose Harmonien Kozena nach besten Kräften zu kompensieren versuchte, wurde zwischen den Werken von Chausson und Strauss eingereiht.

Festival de Saint-Denis / Magdalena Kozena, Simon Rattle © Christophe Fillieule
Festival de Saint-Denis / Magdalena Kozena, Simon Rattle © Christophe Fillieule

Das Programm begann mit dem zu selten gespielten Chanson perpétuelle, Op. 37 (1898) von Chausson, zu hören in der Version mit Klavier und Streichquartett. Man spürt in diesem Spätwerk noch den Einfluss von César Franck (1822-1890), dennoch ist es ein Opus von großer Ausdruckskraft. Kozena gab sich große Mühe, das Wechselspiel zwischen der geschwungenen Musik und den quasi-symbolischen Strophen von Charles Cros (1842-1888) zu unterstreichen, wobei sie auf ihre bemerkenswerte Fähigkeit zurückgriff, das Wesentliche zu isolieren und zu vermitteln. Wenn die Zeilen von Chausson die Gemütszustände einer verlassenen Frau beschreiben, sang sie vielleicht gelegentlich mit zu viel Pathos. Jedoch wirkte sie in der anderen französischen Musik des Abends ein wenig zu distanziert: Ravels exotisches und herrlich uncharakteristisches Chansons madécasses (1925/26) mit ihren abwechslungsreichen Klangkombinationen zwischen Stimme, Flöte, Cello und Klavier.

Während die eher düsteren Fünf Ophelia-Lieder WoO 22 (1873) von Brahms nur wenige charakteristische Merkmale aufweisen, sind dagegen die Zwei Gesänge, Op. 91 (1884) viel repräsentativer für den reifen Stil des Komponisten. Im Abstand von zwei Jahrzehnten für die großartige Altistin Amalie Joachim Schneeweiss (1839-1899) geschrieben, zeichnen sich beide durch eine exquisite Balance zwischen Stimme und Bratsche (dem eloquenten Amihal Grosz) und Klavier aus. Die Art und Weise, wie Kozena ihr Instrument um das wiederholte „leise gesänftigt“ herum moduliert, war wirklich beeindruckend.

Festival de Saint-Denis / Simon Rattle © Christophe Fillieule
Festival de Saint-Denis / Simon Rattle © Christophe Fillieule

Der Höhepunkt des Konzerts war erwartungsgemäß die Reihe von Liedern in Kozenas Muttersprache Tschechisch. Janaceks Rikadla (Kinderreime), Musik voller witziger Schelmereien und groben Humor, präsentiert in der Originalversion für Gesang, Klarinette und Klavier (mit gelegentlich kurzen Einlagen der anderen Instrumentalisten des Abends, die als humorvoller Chor fungierten), ließ Reminiszenzen aufkommen von subtilen, volkstümlichen Arien und der hyperrealistischen Welt der Oper Das Schlaue Füchslein (1924). Mit einem kindlichen Funkeln in ihren Augen und kleinen Tanzbewegungen schien Kozena einfach die Freiheit zu genießen, in ihrer eigenen Sprache zu singen, voller unverwechselbarer Akzente und Intonationsmuster, die von einer nicht-tschechischen Sängerin so schwer wiederzugeben sind. So sehr Janaceks Partituren in der mährischen Volksmusik mit ihren polymetrischen Merkmalen verankert sind, Dvoraks Lieder basieren auf einer böhmischen Tradition, die viel enger an der deutschen Volksmusik orientiert ist. Die vorgestellte Werkauswahl, adaptiert von dem jungen talentierten englischen Dirigenten Duncan Ward (*1989) aus mehreren Zyklen – Zigeunermelodien, Op. 55 (1880) Zypressen, Op. 83 / B. 11 (1865), Vier volkstümliche Gesänge, Op. 20 (1861) – beschäftigte das gesamte Instrumental-Ensemble. Beißend in Janacek, war die Stimme der Mezzosopranistin hier voller sehnsüchtiger Melancholie.

Der Liederabend endete mit zwei Zugaben: Ein siebtes Lied von Dvorak Dobru noc, Op. 73 (Gute Nacht) – auch arrangiert von Ward und eine Version des Meisterwerks Morgen (Vier Lieder Op. 27 (1894) von Strauss mit seinem intimen Dialog zwischen Kozena und dem Geiger Guzzo.   (PMP/07.07.2022)

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