Bielefeld, Theater Bielefeld, Premiere 1984 von George Orwell, 16.09.2017

Bielefeld, Theater Bielefeld, Premiere 1984 von George Orwell, 16.09.2017
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Theater Bielefeld

Theater Bielefeld / Fassade © Theater Bielefeld
Theater Bielefeld / Fassade © Theater Bielefeld

1984 von George Orwell

Bühnenfassung Robert Icke und Duncan Macmillan

1984: PREMIERE 16.09.2017, 19:30 Uhr, weitere Vorstellungen  21.09., 24.09., 30.09., 03.10., 05.10., 15.10., 29.10., 31.10. 2017 weitere Termine folgen

George Orwells Roman von 1984 ist wie kaum ein anderer Stoff der Literaturgeschichte im kollektiven Bewusstsein als Synonym für totale Überwachung durch ein Unrechtsregime verankert. Das Theater Bielefeld bringt diese große Erzählung nun im Stadttheater in einer Bearbeitung des englischen Dramatikers Duncan Macmillan heraus.

Die Vergangenheit wurde ausradiert. Das Ausradierte vergessen. Die Lüge wird Wahrheit und wieder Lüge. Winston Smith arbeitet im Ministerium für Wahrheit in Ozeanien, einer der drei Supermächte der Welt, die sich im andauernden Krieg gegeneinander befinden. Im Ministerium wird die Geschichte ausgelöscht und die Geschichtsschreibung im Sinne der Parteilinie neu geschrieben. Das Leben der Menschen innerhalb dieses totalitären Systems ist gekennzeichnet von Einsamkeit, Misstrauen, Angst und ständiger Kontrolle. Die Partei arbeitet an der perfekten Sprache: »Neusprech« verringert den Wortschatz und zielt auf die Auslöschung des freien Geistes. Die Gedankenpolizei überwacht permanent die gesamte Bevölkerung, schon der bloße Gedanke ist ein Verbrechen und könnte die Todesstrafe zur Folge haben. Unter diesen Umständen begibt sich Winston in Lebensgefahr als er anfängt, seine systemkritischen Gedanken einem Tagebuch anzuvertrauen. Als Winston dann auch noch Julia kennenlernt, wird ihre heimliche Liebe zum Akt des Widerstandes. Duncan Macmillan und Robert Icke verlegen Orwells Dystopie über die Zerstörung des Menschen durch eine Staatsmaschinerie nochmals in die Zukunft und lassen den Betrachter immer tiefer in den Kopf des Protagonisten eindringen. In einer Zeit, in der Worte wie Wahrheit, Realität und Freiheit keine Verbindlichkeit mehr besitzen, ist 1984 politischer denn je.

Dem bekannten Plot gewinnt Macmillan mit seinem Zugriff einen völlig neuen Spannungsbogen ab, indem er sich am stets ignorierten Anhang »Die Grundlagen des Neusprech« orientiert. Dieser Anhang, der wie eine dokumentarische Quelle aufgebaut ist, beschreibt das in 1984 von der Partei benutzte »Neusprech«. Eine Spracheverstümmelung, die ein unorthodoxes und widerständiges Kommunizieren, ja sogar Denken, unmöglich macht. Die gesamte Literatur, alle Texte und damit die ganze Vergangenheit werden im Ministerium für Wahrheit ins »Neusprech« umgeschrieben. Damit kontrolliert Big Brother, in dem die Partei und die ganze revolutionäre Regierungsform Gestalt geworden ist, nicht nur durch Überwachung die physische Gegenwart der Menschen. Auch das Denken und selbst die Zeit sind damit der Kontrolle der Partei unterworfen. Doch 1984 hat sich »Neusprech« im Alltag noch nicht durchgesetzt. Das voraussichtliche Ende dieser Entwicklung wird auf 2050 datiert.

Genau an dieser Stelle setzt Macmillan mit seiner Fassung an und erzählt die Geschichte um Winston Smith und die Ereignisse um 1984 aus dieser Zukunft, aus dem Jahr 2050. Das Gewicht der Inszenierung liegt dadurch viel stärker auf der Kontrolle der Zeit und des Denkens. Die unmittelbaren Bezüge Orwells auf den Stalinismus treten zu Gunsten aktuellerer Themen zurück und der bekannte Plot des Romans wird um mindestens eine Ebene bereichert.

Es entspinnt sich eine spannende Kriminalgeschichte. Was ist real, was ist Wahrheit und was Lüge, was hat wirklich stattgefunden, oder befinden wir uns die ganze Zeit in Winstons Kopf? Das analoge Grundgefühl des Romans von 1984 gewinnt in der Inszenierung Christian Schlüters eine Gegenwärtigkeit, die Fragen unseres digitalen Zeitalters evident werden lässt. Die Ausstattung von Anke Grot tut ihr übriges, die Inszenierung in Form eines Retro-Futurismus an uns heranzurücken. Eine ausgefeilte Video- und Toninstallation grundiert ein Gefühl allgegenwärtiger Kontrolle, Verfügbarkeit wie auch Veränderbarkeit der Realität und des Denkens, wie sie die totalitären Systeme im letzten Jahrhundert nur haben träumen können. Doch nicht zuletzt ist dieser große politische Stoff auch eine Liebesgeschichte, die die Frage aufwirft, ob die Betonung des Gefühls und des Individuums in der westlichen Zivilisation nicht nur ein Trugbild ist, dem wir aufsitzen, ob die Gemeinschaft nicht über allem stehen sollte und wer das Recht hat, diese Normen zu definieren.

INSZENIERUNGChristian Schlüter ist seit der Spielzeit 2006/07 Oberspielleiter des Schauspiels am Theater Bielefeld, mit dem er zuvor viele Jahre als regelmäßiger Gastregisseur eng verbunden war. Christian Schlüter, geboren in Nesselwang im Allgäu, studierte nach seinem Abitur zunächst zwei Jahre Theaterwissenschaften an der Universität in Bochum und von 1990-1994 Regie bei Jürgen Flimm und Manfred Brauneck in Hamburg. Nach seinem Studium war er bis 1998 als Regieassistent am Thalia Theater Hamburg tätig. Danach arbeitete er als freischaffender Regisseur und Lehrbeauftragter am Studiengang Schauspieltheater-Regie in Hamburg. In Bielefeld inszenierte er zuletzt u. a. die Uraufführungen von Paul Austers Winterjournal und David Gieselmanns Die Oppelts haben ihr Haus verkauft sowie die Komödie Katze im Sack von Georges Feydeau, die deutschsprachige Erstaufführung von Steven Fechters Schlangenbrut, Hiob von Joseph Roth, Shakespeares Ein Sommernachtstraum, die deutschsprachige Erstaufführung von Alan Ayckbourns Rondo sowie Friedrich Schillers Wilhelm Tell.

BÜHNE UND KOSTÜMEDie Bühnen- und Kostümbildnerin Anke Grot arbeitet bereits seit vielen Jahren mit Christian Schlüter zusammen, in Bielefeld u. a. bei der Uraufführung von Marlene Streeruwitz' Dentro, bei Amphitryon, Oedipus, Elling, Die Weber, Homo faber, Maria Stuart, The Woodsman, Die spanische Fliege und Rondo. Ihre Arbeiten führten Anke Grot darüber hinaus an das Schauspielhaus Hamburg, das Nationaltheater Mannheim, die Theater in Lübeck und Gießen, die Schaubühne am Lehniner Platz und das Theater Basel, wo sie unter anderem mit den Regisseurinnen Corinna Bethge und Barbara Frey zusammenarbeitete. Mit der Regisseurin Barbara Bürk arbeitete sie in Hamburg bei der Uraufführung von Headless Body in Topless Bar und am Schauspiel Hannover bei Neil LaButes Tag der Gnade, Lutz Hübners Hotel Paraiso, Roger Vitracs Victor oder die Kinder an der Macht, Totentanz von August Strindberg und Lutz Hübners Für alle das Beste. Anke Grot, geboren in Lübeck, studierte Bühnenbild an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bei Prof. Wilfried Minks und war im Anschluss als Bühnenbildassistentin am Schauspielhaus Hamburg fest engagiert. Zu einer ihrer letzten Arbeiten gehört das Bühnen- und Kostümbild von Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie, das in einer Inszenierung von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk zum Theatertreffen 2016 nach Berlin eingeladen wurde.

Inszenierung:  Christian Schlüter, Bühne und Kostüme : Anke Grot, Video : Sascha Vredenburg, Sounddesign : Joe Bauer, Dramaturgie: Dariusch Yazdkhasti

BESETZUNG:  Winston Thomas Wehling, O'Brien Thomas Wolff, Charrington Guido Wachter, Martin / Kind Alrun Hofert, Syme Vincent zur Linden, Parsons Georg Böhm, Mrs. Parsons / Mutter Brit Dehler, Julia Laura Maria Hänsel.

1984 am Stadttheater Bielefeld: PREMIERE 16.09.2017, 19:30 Uhr,  weitere Vorstellungen  21.09., 24.09., 30.09., 03.10., 05.10., 15.10., 29.10., 31.10. 2017 weitere Termine folgen

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