Hamburg, Elbphilharmonie, Berliner Philharmoniker - Anton Bruckner, IOCO Kritik, 13.05.2017

Hamburg, Elbphilharmonie, Berliner Philharmoniker - Anton Bruckner, IOCO Kritik, 13.05.2017

Elbphilharmonie Hamburg

Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann
Elbphilharmonie Hamburg / Lasershow zur Eröffnung © Ralph Lehmann

Berliner Philharmoniker in Elbphilharmonie

Welklasse-Orchester überwältigt mit Bruckners 8

Von Sebastian Koik

Am 7. Mai 2017 waren die Berliner Philharmoniker, das wohl berühmteste deutsche Orchester erstmals Gast in der inzwischen ebenso berühmten Elbphilharmonie. Das Konzert beginnt mit Surcos einem kurzen Stück von Simon Holt, welches die Berliner Philharmoniker zwei Tage zuvor in der Hauptstadt Berlin uraufführten. Surcos ist eines der kurzen Auftragswerke, die deren scheidender Chefdirigent Simon Rattle selbst liebevoll als »Tapas«, musikalische »Appetithäppchen« bezeichnet. Das Stück dauert nur sechs Minuten, schreitet in dieser Zeit gleichmäßig und zügig voran und gibt der Harfe eine prominentere Rolle. Die Berliner musizieren alles auf den Punkt, mit großer Spannung. Das Stück selbst hinterlässt beim Publikum aber keinen größeren Eindruck, der im Saal anwesende britische Komponist erlebt einen etwas zurückhaltenden Applaus.

Elbphilharmonie Hamburg / Berliner Philharmoniker - Sir Simon Rattle © Monika Rittershaus
Elbphilharmonie Hamburg / Berliner Philharmoniker - Sir Simon Rattle © Monika Rittershaus

Nach dieser kleinen Vorspeise dann das Hauptgericht: Bruckners Sinfonie Nr. 8 c-Moll, eine der mächtigsten Sinfonien der Musikgeschichte: Monumental in Besetzung, Lautstärke und Dauer. Ein Hören dieser gewaltigen Musik würde einen vor Selbstbewusstsein strotzenden Schöpfer erwarten lassen. Doch Anton Bruckner war ein sehr unsicherer, zaudernder Komponist, von seiner Arbeit oft nicht überzeugt und durch Meinungen anderer leicht aus der Bahn zu werfen.

1887 hatte Bruckner nach dreijähriger Arbeit seine 8. Sinfonie abgeschlossen und zeigte sie dem Münchner Hofkapellmeister Hermann Levi. Dieser, eigentlich ein Freund seiner Musik, kritisierte das neue Werk stark. Zweieinhalb Jahre rang Bruckner mit einer Neufassung und ließ kaum einen Takt der ersten drei Sätze unverändert. Vor einer Aufführung stellt sich bei den starken Unterschieden der beiden Fassungen die Frage, welcher man den Vorzug gibt. Was hat mehr Gültigkeit, die ursprüngliche Intention des Komponisten oder die letzte Version?

Am häufigsten aufgeführt wird die zweite Fassung Bruckners von 1890. Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker entschieden sich für eine dritte Version, die der österreichische Musikwissenschaftler und Dirigent Robert Haas im Jahre 1939 anfertigte. Haas hatte mit sich hierbei vorgenommen aus der zweiten Fassung Bruckners jene Änderungen herauszufiltern, die dieser nicht aus eigenem Antrieb, sondern unter dem Einfluss seines Umfelds vorgenommen hatte. Er versuchte, den Ausdruckswillen Bruckners freizulegen ohne ihm das Recht auf Meinungsäußerung zu nehmen.

Und dann beginnt das Spektakel! Bruckners Komposition geizt nicht mit Reizen, ist voller Schönheit und Kraft. Das ist Musik, die sehr viel Spaß macht! Die Berliner Philharmoniker machen ihrem herausragenden Ruf alle Ehre: Besser kann man das nicht spielen! Es ist ein perfekter Vortrag. Die vielen Instrumentalisten spielen mit größter Präzision und Musikalität alles auf den Punkt. Mit großer Spannung in der Musik und Sensibilität für Dramatik werfen sie sich furchtlos in laute Passagen und spielen mit feinster Zärtlichkeit in den leiseren Stellen.

Elbphilharmonie Hamburg / Berliner Philharmoniker - Sir Simon Rattle © Monika Rittershaus
Elbphilharmonie Hamburg / Berliner Philharmoniker - Sir Simon Rattle © Monika Rittershaus

Berliner Philharmoniker / Sir Simon Rattle © Monika Rittershaus

Im zweiten Satz gibt Rattle ein minimal suboptimales Tempo vor, man wünscht sich einen Hauch mehr Spritzigkeit. Der Rest der knapp eineinhalb Stunden sind Musizieren in absoluter Perfektion! Von allen Instrumentengruppen, jedem einzelnen Musiker. Bin ins kleinste Detail wie einem superpräzisen Paukisten, der sich anders als manche seiner Kollegen in anderen Orchestern keine Spur scheut so richtig draufzuhauen. Die Berliner Philharmoniker strahlen in jedem Moment extrem viel Souveränität aus und ihre enorme Konzentration ist fast greifbar.

Der Applaus zu Schluss ist schon groß, doch wer häufig Konzerte besucht, erkennt, dass er in seiner Intensität deutlich geringer ist, als es die sensationelle Leistung des Orchesters verdient hätte. Vielleicht erscheinen die Berliner Philharmoniker manchen Zuhörern zu übermenschlich, zu perfekt, um sie so richtig sympathisch zu finden. – Vielleicht sind viele der Zuschauer aber auch noch zu überwältigt und ein wenig sprachlos von der vollkommenen Intensitäts-Orgie, die sie gerade erlebten.

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