Rostock, Volkstheater, Der Messias von Georg Friedrich Händel, IOCO Kritik, 21.11.2016

Rostock, Volkstheater, Der Messias von Georg Friedrich Händel, IOCO Kritik, 21.11.2016
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Volkstheater Rostock

„Das Volkstheater Rostock bringt Händels Werk in einer szenischen Aufführung der Tanzcompagnie mit Solisten des Musiktheaters, dem Opernchor und der Norddeutschen Philharmonie Rostock auf die Bühne“, so steht es auf der Seite des Volkstheaters. Das schürt große Erwartungen – und gleich vorweg: sie werden erfüllt!

Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen

Ein vorträgliches Weihnachtsgeschenk! Der Messias von Georg Friedrich Händel

Volkstheater Rostock: Premiere Der Messias 05.11.2016, weitere Vorstellungen 18.12.2016, 26.12.2016, 07.01.2017

Von Thomas Kunzmann

„Das Volkstheater Rostock bringt Händels Werk in einer szenischen Aufführung der Tanzcompagnie mit Solisten des Musiktheaters, dem Opernchor und der Norddeutschen Philharmonie Rostock auf die Bühne“, so steht es auf der Seite des Volkstheaters. Das schürt große Erwartungen – und gleich vorweg: sie werden erfüllt!

Volkstheater Rostock / Der Messias - Maciej-Idziorek und Ensemble © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock / Der Messias - Maciej-Idziorek und Ensemble © Dorit Gaetjen

Man möchte meinen, göttliche Hilfe, der Messias, wurde gerufen, um die Kulturpolitik im Lande und der Stadt „auf Vordermann zu bringen“: Händels Oratorium als großes Mehrspartenprojekt. Die Norddeutschen Philharmonie, Opernchor, Tanzcompagnie sowie alle sechs Solisten, die das Theater derzeit ihr eigen nennt, agieren, singen, tanzen auf der Bühne des Volkstheaters und begeistern das Publikum.

Dabei steht die Premiere des Messias unter keinem guten Vorzeichen. Der neue Intendant Joachim Kümmritz hat ein Konzept für Personaleinsparungen vorgelegt. Die aktuell 73 Musiker der Norddeutschen Philharmonie sollen über altersbedingtes Ausscheiden auf lediglich 59 feste Kräfte reduziert, aber nur teilweise durch die dafür sicher nicht ins Leben gerufene Orchesterakademie aufgefüllt werden. Doch ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Theater, welches Kunst und Kosten für die kommende Spielzeit wie in einem langfristigen Konzept bündelt, wurde bis heute nicht kommuniziert. Nicht durch die Politik und nicht durch den Intendanten. Stattdessen publiziert Kümmritz (der Intendant wohlgemerkt, nicht die Stadt!) ominöse Sparvorschläge, welche in kein künstlerisches Konzept passen. Diese Schweigsamkeit der Kulturverantwortlichen in Rostock ist auch deswegen erstaunlich, als konzeptionelle Vorschläge der Beratungsfirma ACTORI seit langen in den Schubladen liegen. „Sparmaßnahmen folgen den Visionen“ - so gilt das eherne Sanierungsgesetz der Wirtschaft. In Rostock scheint man auf Visionen, Konzepte noch zu verzichten: Man spart sich lieber tot!

Volkstheater Rostock / Der Messias - Ensemble © Dorit Gätjen
Volkstheater Rostock / Der Messias - Ensemble © Dorit Gätjen

Der Blick in den Spielplan 2016/17 des Volkstheaters verrät die Vorstellungen bis Ende Dezember. Danach wird es dünn. Lediglich die Premiere Zar und Zimmermann im Januar sowie eine (!) Folgevorstellung steht neben den Philharmonischen Konzerten bis zum Saisonende. Dem neu installierten Operndirektor Prof. Albert Lang, der bisher lediglich ein Schauspiel mit Musik inszenierte (Spur der Steine), wurde nun noch eine Dramaturgin zur Seite gestellt, prompt steht zumindest die Besetzung für die Lortzing-Oper – 58 Tage vor der Premiere. Der Chefausstatter stattete in dieser Saison noch nichts aus. Auch der Schauspieldirektor erscheint auf keiner der bisherigen und angekündigten Inszenierungen. Die werden von Schauspielern und dem Dramaturgen gemacht.

Vieles erinnerte bereits in der Vergangenheit an das ebenso finanzklamme Theater Wuppertal. Dort wurde allerdings vor sechs Monaten das Vierspartenhaus radikal kernsaniert: Schauspiel der Auslastung entsprechend in kleinere Bühnen verlegt, Stagione-Oper wieder auf Repertoire-Oper umgestellt, Intendanten und Direktoren nach diesem Konzept ausgetauscht: Die Mission folgte der Vision. Erfolgreich und transparent.

Doch inmitten irdischer Nöte war in Rostock mit Händels Messias göttliche Hilfe spürbar: Die Solostimmen sind durchweg gut mit einer hohen Bühnenpräsenz, Maciej Idziorek gesanglich am Überzeugendsten.

Volkstheater Rostock / Der Messias - Ensemble und Opernchor © Dorit Gätjen
Volkstheater Rostock / Der Messias - Ensemble und Opernchor © Dorit Gätjen

Dazu zelebriert Katja Taranus Tanzcompagnie regelrecht die Musik. Mal andächtig, dann kraftbetont, mal verwirrend, dann wieder witzig. Mit wunderbaren, immer wieder neuen Figuren und Bewegungen. Mit Schattenspielen hinter halbdurchlässigen Wänden, die die davor Agierenden wie Marionetten bewegen. Chor und Solisten werden einbezogen, sodass die Grenzen der Genres aufgehoben wirken. Jede Szene, jeder Takt ist durchchoreografiert, ohne überfrachtet zu wirken. Versinnbildlichungen, keine Bilderfluten. Der anfängliche Drang, den Tanz als Übersetzung des Textes verstehen zu wollen, löst sich alsbald in einem Loslassen und verwandelt sich in reinsten Genuss. Als würde man eine fremdartige Speise kosten, ohne die Zutaten zu kennen, sitzt man beseelt lächelnd. Auch Agnostiker wie ich lassen sich in den Bann der Musik und die Ahnmut der Bewegung entführen, die dem eigenen Glauben zwar fremd ist, in deren wohliger Wärme man sich aber sofort zuhause fühlt.

Volkstheater Rostock / Der Messias - Jasmin Etezadzadeh - Maciej Idziorek und Ensemble © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock / Der Messias - Jasmin Etezadzadeh - Maciej Idziorek und Ensemble © Dorit Gaetjen

Kaum wage ich zu schreiben, wie homogen ein so kleiner Chor klingen kann – irgendein Sparfuchs könnte herauslesen, dass es gar mit noch weniger SängerInnen ginge. Aber es zu unterschlagen wäre mehr als unfair. Man spürt in jedem Ton, wie glücklich und erfolgreich die Zusammenarbeit mit dem neuen Chordirektor Joseph Feigl (jahrelang Theater Lübeck) gedeiht. Lediglich nach der Pause, wenn der Chor allzu weit hinten im Bühnenraum steht, fehlt manchmal der akustische Entfernungsausgleich, leichte Verwerfungen sind die Folge, von denen ich jedoch hörte, dass sie in der zweiten Aufführung deutlich reduziert werden konnten.

Insgesamt eine großartige Idee! Mit allen Mitteln des Hauses wurde dieser Messias in Rostock wunderbar umgesetzt. Passend zur Weihnachtszeit und zum Luther-Jubiläum, mehr als nur ein Ersatz für Bachs Weihnachtsoratorium. Hier glänzt ein Edelstein, vom gesamten Volkstheater und besonders durch Taranus Regie und Choreografie zum Strahlen gebracht.

Volkstheater Rostock: Der Messias von Georg Friedrich Händel, Nächste Vorstellungen:  18.12.2016, 26.12.2016, 07.01.2017

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