Bielefeld, Theater Bielefeld, Premiere DON CARLO von GIUSEPPE VERDI, 30.09.2016

Bielefeld, Theater Bielefeld, Premiere DON CARLO von GIUSEPPE VERDI, 30.09.2016
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Theater Bielefeld

Theater Bielefeld / Fassade © Theater Bielefeld
Theater Bielefeld / Fassade © Theater Bielefeld

DON CARLO von Giuseppe Verdi

nach Schillers dramatischem Gedicht Don Carlos, Infant von Spanien // Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle // Italienischer Text von Antonio Ghislanzoni // In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

PREMIERE 30.09.2016, 20:00 Uhr,  weitere Vorstellungen : 05.10., 16.10., 25.10., 18.11., 26.11.2016

Dem Infanten Don Carlo wird aus politischen Gründen die Heirat mit der Prinzessin Elisabetta angetragen. Trotz des diplomatischen Hinter­grundes der angestrebten Liaison verlieben sich die beiden, doch alsbald scheitert das vermeintliche Glück: Carlos Vater Filippo selbst nimmt Elisabetta zur Gemahlin. Aus der Perspektive des religiös­patriarchalischen Systems verwandelt sich somit die Begierde der jungen Menschen in Inzest. Doch das Verlangen bleibt, wird noch größer und das Ausleben vor dem Hintergrund der scharfen Gesetze gleichzeitig gefährlicher. Der Sohn begehrt auf, die neue Königin sieht sich gefangen in eigener Disharmonie zwischen politischer Pflicht und menschlicher Erfüllung. Indes nutzt Rodrigo die Begierden seiner Mitmenschen, um seine vermeintlichen Freiheitsideale zu verwirklichen. Sukzessiv entgleiten den Sehnsüchtigen ihre Ränke, die Tragödien nehmen ihren Lauf … und dies nicht unbeobachtet: Die Macht­strebenden wie auch die Liebenden bewegen sich im Kreise einer ganz anderen, allmächtigen und gefährlichen Verführung – einer medialen, religiös besetzen Suggestion: der Inquisition.

Aus dieser Welt, geprägt von Untiefen des religiösen Fanatismus und falschen Idealen, scheint ein Entkommen schier unmöglich. Und der Zuschauer wird in den Diskurs über Seele und Seelenheil unerbittlich hineingezogen.

Verdis Opern unterlagen immer wieder großen Modifikationen – man denke nur an die fassungsreiche Macbeth-Historie oder die der Zensur unterworfenen Varianten von Un ballo in maschera – und auch Don Carlo reihte sich hier ein: von einer 5-aktigen französischen Fassung bis zu einer auf 4 Akte reduzierten italienischen generierten sich unterschiedliche Spielarten des Stoffes. Das Theater Bielefeld entschied sich für letztere, also 4-aktige Version, den ausufernden 1. Akt mit der in Frankreich gelagerten Vorgeschichte zwischen Elisabetta und Carlo ausklammernd, auch um direkt in das kammerspielartige Geschehen am spanischen Hofe einzusteigen.

Regisseur Jochen Biganzoli – aktuell nominiert für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST – setzt seinen Fokus ganz auf diesen kammerspielartigen Hintergrund der Geschichte – die Beziehungen, Intrigen und politischen Bedürfnisse, vor allem aber die Sehnsüchte, Utopien und final das Scheitern an diesen ausleuchtend. Erst das Darlegen und Differenzieren der inneren Zustände aller Figuren offenbart die eigentlichen Konflikte der Individuen, abseits ihrer politischen Motive und zum Teil revolutionären Ambitionen. Das Suchen nach und innerhalb der Variable der Emotion – man könnte auch sagen: des Menschseins – öffnet Tür und Tor zum Erkennen der echten Träume, Neigungen und Gemütsbewegungen.

Die inszenatorische Konsequenz offenbart sich im Loslösen vom historischen wie vom deutlich definierten religiösen Kontext. Die Aktualität der Vorgänge, das Entblättern der Zwänge und (beinahe pathologischen) Zwangshandlungen und das Fokussieren des Prinzips Menschsein stehen im Vordergrund. Dabei sollen nicht konkrete Verweise im Sinne eines Realismus die Zuschauer überzeugen, sondern die Interpretierbarkeit der Szene, der Vorgänge und emotionalen Verwirrungen. Nicht ein klar zu sprechendes Urteil über die Menschen, ihr Treiben und Wirken ist das Ziel dieser Don-Carlo-Inszenierung, vielmehr geht es um das Sich-selbst-Finden und Positionieren des Betrachters; eine Anregung zum Nachdenken über unsere heutige Zeit.

Wolf Gutjahr entwickelt für diese Inszenierung einen Raum, der geschlossen zu sein scheint, aber doch durchlässig ist: Niemand agiert ganz unbeobachtet. Zudem wird Thomas Lippick eigene Videos anfertigen, die zwischen Erinnerung, Sehnsucht und Utopie das Innere der Protagonisten auf eine andere Ebene des Betrachtens hebt. Heike Neugebauer rundet als Kostümbildnerin das Team ab.

Musikalisch präsentiert Verdis Don Carlo große Arien, teils ungewöhnliche wie populäre Duette – man denke an die große Szene zwischen dem König Filippo und dem Großinquisitor, in der in dieser Intensität sich erstmals zwei Bässe gegenübertreten – und natürlich große Chornummern, von denen das Autodafé zu den imposantesten im Verdi'schen Oeuvre zählt.

Das Bielefelder Theater besetzt diese große Oper, die zentrale Partien im Kanon des Repertoires für beinahe alle Stimmfächer bereithält, bis auf eine Ausnahme aus dem Ensemble des Hauses: In der Titelpartie wird Daniel Pataky zu hören sein – Operntaler-Preisträger des letzten Jahres und im italienischen Fach dem Publikum u. a. durch seinen Pinkerton in Puccinis Madama Butterfly bekannt. Die Rolle der einstigen Geliebten Elisabetta übernimmt Sarah Kuffner, der politisch ambitionierte Rodrigo wird alternierend von Evgueniy Alexiev und Frank Dolphin Wong dargestellt. Katja Starke übernimmt die Rolle der vergebens Liebenden Eboli und Moon Soo Park leiht dem Großinquisitor seine Stimme. Als Gast für die Partie des Filippo konnte Sebastian Pilgrim gewonnen werden, der mit dieser Partie bereits Erfolge feiern konnte. Dorine Mortelmans – der Neuzugang im Ensemble – wird sich dem Publikum in gleich zwei Rollen präsentieren: Tebaldo und die Voce dal cielo. Den Conte di Lerma und den Araldo übernimmt Lianghua Gong. Opernchor, Extra-Chor sowie Statisterie und vier Gäste für die Deputierten runden das Bühnengeschehen ab. Es spielen die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von GMD Alexander Kalajdzic.

Musikalische Leitung  : Alexander Kalajdzic, Inszenierung  : Jochen Biganzoli Bühne  : Wolf Gutjahr, Kostüme  : Heike Neugebauer, Dramaturgie  : Daniel Westen

Mit Evgueniy Alexiev // Lianghua Gong // Yoshiaki Kimura // Sarah Kuffner // Dorine Mortelmans // Moon Soo Park // Daniel Pataky // Sebastian Pilgrim // Katja Starke // Frank Dolphin Wong //  u. a. // Bielefelder Opernchor // Extrachor des Theaters Bielefeld // Bielefelder Philharmoniker

BESETZUNG
Filippo II.  : Sebastian Pilgrim, Don Carlo  : Daniel Pataky, Rodrigo  : Evgueniy Alexiev // Frank Dolphin Wong, Il Grande Inquisitore/Frate  : Moon Soo Park, Elisabetta  : Sarah Kuffner, Eboli  : Katja Starke, Tebaldo / Voce dal cielo  : Dorine Mortelmans
Il Conte di Lerma / Araldo  : Lianghua Gong, La Contessa di Aremberg  : Gea Bernard // Eiko Rulla, Flandrische Deputierte  : Jan Wuttig // Christoph Maria Wolf //
Christian Peuser // Timothy Whelan : König Mohammed, Leif Löhrig:  Kameramann/Kamerafrau, Maximilian Hülshoff // Derya Rinder
Bielefelder Philharmoniker

MUSIKALISCHE LEITUNG: Alexander Kalajdzic, geboren in Zagreb, Kroatien, begann seine musikalische Ausbildung mit sechs Jahren und gab ab dem achten Lebensjahr regelmäßig Konzerte als Pianist. Er gewann mehrere Preise bei Bundeswettbewerben und setzte anschließend sein Studium an der Musikhochschule in Wien fort, wo er die Dirigierklasse von Karl Österreicher mit Auszeichnung absolvierte. Darüber hinaus studierte er Klavier, Viola und Korrepetition. Schon während des Studiums dirigierte er Symphoniekonzerte mit den Zagreber Philharmonikern sowie dem Orchester des Kroatischen Rundfunks. Sein beruflicher Weg führte ihn nach Krefeld-Mönchengladbach, wo er als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung erste Theatererfahrungen sammelte. Danach war er als Kapellmeister in München, als erster Dirigent des Nationaltheaters Weimar und von 2008 – 2010 als erster Kapellmeister am Nationaltheater Mannheim tätig, wo er sich ein großes Repertoire erarbeiten konnte. Er gastierte u.a. in den USA, Mexiko, Südafrika, Italien, Frankreich, in der Schweiz und in Tschechien. Alexander Kalajdzic ist sowohl in der Oper als auch im Konzertbereich gefragt. Sein Repertoire reicht vom frühen Barock bis zur Moderne, wobei sein besonderes Interesse der französischen Musik gilt. So führte er fast das gesamte Orchesterwerk von Ravel und Debussy mehrmals auf. Auch war er lange Zeit als Liedbegleiter und Kammermusiker aktiv und hatte einen Lehrstuhl für Orchestererziehung in Zagreb inne. Alexander Kalajdzic leitet als GMD seit Spielzeitbeginn 2010/11 die musikalischen Geschicke des Theaters Bielefeld und der Bielefelder Philharmoniker.

INSZENIERUNG: Jochen Biganzoli studierte Theater-und Musikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und verbrachte seine Lehrzeit als Regieassistent am Badischen Staatstheater in Karlsruhe und am Bremer Theater. Neben seiner Theater-Tätigkeit in Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Uwe Wand, Christoph Loy und Jürgen Gosch übernahm Jochen Biganzoli auch einen Lehrauftrag an der Hochschule für Künste in Bremen.  Erste Erfolge wie seine Inszenierung von Jakob Lenz in Bremen führten ihn zum Kleist Theater in Frankfurt (Oder), wo er als Oberspielleiter und Spartenleiter des Musiktheaters fungierte und u. a. Don Giovanni, Werther und Rigoletto inszenierte. Seit 1999 arbeitet er nun als freiberuflicher Regisseur mit verschiedenen Theatern zusammen und inszenierte u. a. Così fan tutte und Die Zauberflöte am Stadttheater Pforzheim, Der Freischütz, Fidelio und Rusalka am Landestheater Detmold und Hoffmanns Erzählungen am Theater Altenburg-Gera. Es folgte eine Vielzahl weiterer Inszenierungen am Landestheater Eisenach, darunter La Bohème und Der Rosenkavalier sowie die Inszenierung Jesus Christ Superstar am Landestheater Schleswig-Holstein. Zum 200. Geburtstag von Robert Schumann inszenierte Jochen Biganzoli 2010 in Zwickau dessen Oper Genoveva.  In der Spielzeit 2015/16 inszenierte er Simone Boccanegra in Osnabrück und Lady Macbeth von Mzensk in Lübeck. Außerdem stand er mit Hindemiths Mathis der Maler auf dem Programm der Dresdner Semperoper

BÜHNE: Wolf Gutjahr studierte nach Abschluss einer Schreinerlehre Szenographie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bei Johannes Schütz, Theresia Birkenhauer, Günther Förg und Hans Belting. Seit 1995 arbeitet er als freier Szenograph, Bühnen-und Kostümbildner u. a. am Theater Basel, dem Schauspiel Köln, Schauspiel Hannover, Teatr Russkoj Drami Kiew (auf Einladung des Goethe Institut InterNationes), Thalia Theater Hamburg, Staatstheater Stuttgart, Theater Freiburg und am Centraltheater Leipzig. Mit verschiedenen Arbeiten wurde er zu Festivals wie der Bonner Biennale, den Internationalen Schillertagen Mannheim, dem Heidelberger Stückemarkt, den Stücken Mülheim, dem Bejing International Art Festival und den Salzburger Festspielen eingeladen. 2012 und 2015 wurde Wolf Gutjahr als Bühnenbildner des Jahres in der Kritikerumfrage der »Theater heute« nominiert. 2013 war er Exhibition finalist bei der World Stage Design in Cardiff. Seit 2007 ist Wolf Gutjahr auch als Dozent tätig, u.a. an der Universität Karlsruhe KIT, der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und als Professor für Szenografie/Szenischer Raum an der Hochschule Mainz. Mit Don Carlo kehrt der Bühnenbildner nach Tannhäuser an das Bielefelder Theater zurück.

KOSTÜME:  Heike Neugebauer wurde in Leipzig geboren. An der Hochschule für Bildende Künste Dresden studierte sie Bühnen-und Kostümbild, u. a. bei Wilfried Werz. Nach ihrem Studium folgte ein Engagement als Bühnen-und Kostümbildnerin an den Bühnen der Stadt Magdeburg. Dort zeichnete sie u. a. für die Ausstattung der Produktionen Nabucco, Don Giovanni und Carmen verantwortlich. Anschließend arbeitete sie als Chefbühnenbildnerin bei den Magdeburger Kammerspielen. Seit der Spielzeit 1991/92 ist Heike Neugebauer als Ausstattungsleiterin bei der bremer shakespeare company tätig. Gastverträge führten sie zudem an die Theater in Bremen, Dresden, Halle, Cottbus und Magdeburg. Am Theater Eisenach entwarf sie die Kostüme für Der Rosenkavalier und an der Oper Leipzig für Wagners Die Meistersinger von Nürnberg. Darüber hinaus stattete sie viele Opern an deutschen Theatern aus. Mit der Arbeit zu York Höllers Der Meister und Margarita war sie 2013 erstmals an der Hamburgischen Staatsoper tätig. Heike Neugebauer arbeitete ebenfalls als Kostümbildnerin für diverse Filmproduktionen, u. a. Nordlichter und Gibsy. Seit 2001 ist sie Gastdozentin im Bereich Modedesign und Freie Kunst an der Hochschule für Künste Bremen. Heike Neugebauer war Teilnehmerin der X. Kunstausstellung der DDR in Dresden und Berlin und der Quadrinale in Prag. Außerdem wurde ihr der Einzelpreis im Hans-Otto-Wettbewerb des Theaterverbandes der DDR für die Ausstattung der Inszenierung von Heiner Müllers Der Auftrag verliehen. Für ihr Kostümbild von Shakespeares König Cymbeline erhielt sie einen Nominierung in der Rubrik»"Bestes Kostüm« im Fachmagazin »Theater heute«. In der Saison 2015/16 entwarf Heike Neugebauer an der Semperoper Dresden die Kostüme der Neuinszenierung Mathis der Maler.

VIDEO Thomas Lippick wurde in Hannover geboren und studierte Kunst und Kunsttherapie an der Hochschule für Künste im Sozialen in Ottersberg in Niedersachsen. Seit 1989 lebt und arbeitet er in Bremen als freischaffender Künstler im Bereich Malerei und Videoinstallationen mit Ausstellungen im In-und Ausland. Seit 1992 ist er auch als freier Cutter, Kameramann, Regie-Kameramann und Realisator für verschiedene Produktionsfirmen und Fernsehanstalten tätig. Thomas Lippick arbeitet außerdem als Videokünstler am Theater und entwarf u. a. die Videokonzeptionen für La Bohème am Landestheater Eisenach, Orpheus in der Unterwelt in Augsburg, Genoveva am Theater Plauen-Zwickau, Tannhäuser am Theater Bielefeld und zuletzt Lady Macbeth von Mzensk am Theater Lübeck in der Regie von Jochen Biganzoli. Mit ihm arbeitete er auch an der Semperoper Dresden für die Videoinstallationen zu Mathis der Maler zusammen.

DON CARLO im Theater Bielefeld: PREMIERE 30.09.2016, 20:00 Uhr,  weitere Vorstellungen : 05.10., 16.10., 25.10., 18.11., 26.11.2016

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