Bonn, Theater Bonn, Norma: Schwelgender Belcanto, IOCO Kritik, 28.10.2012

Bonn, Theater Bonn, Norma: Schwelgender Belcanto, IOCO Kritik, 28.10.2012
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Theater Bonn

Theater Bonn © Theater Bonn
Theater Bonn © Theater Bonn
  Comic und Lebendigkeit mischen Rituale auf
Theater Bonn / Norma / Miriam Clark (Norma) , Nadja Stefanoff (Adalgisa) auf Premierenfeieer © IOCO
Theater Bonn / Norma / Miriam Clark (Norma) , Nadja Stefanoff (Adalgisa) auf Premierenfeieer © IOCO

Die Erwartungshaltung des erfahrenen Besuchers einer Bellini-Oper umfasst: "Reiche Empfindungen mit Bellini eigener Melancholie, Wahrheit und Macht der Deklamation".  Vincenco Bellini (1801 - 1835) lebte nur kurz. Doch mit großen Opernerfolgen leitete der noch sehr junge Bellini um 1820 jene Entwicklung ein, die Gesang hin zum Ausdruck von Seele, Gemüt und Stimmungen wandelte, statt die bis dahin dominante Kehlfertigkeit und Technik zu betonen. Im Zarten wie im Romantischen gilt Vincenco Bellini, “der Petrarca der Musik”, als unübertroffen. Sein Seelendrama  Norma besitzt unter Kennern Kult-Status. Da Profanes den Belcanto-Zauber nicht stören soll, werden Norma-Vorstellungen oft nur konzertant aufgeführt. Bellinis Werke führen viele Opernfreunde in geradezu rauschhafte Zustände. Norma wiederum wird in der heutigen Theaterwelt oft auf eine hymnische "Casta Diva-Seligkeit" reduziert. Doch, soll Norma tatsächlich nur noch schwelgende Totenmesse für Maria Callas und Franco Corelli sein ?

Theater Bonn / Norma / Pollione (G. Oniani), Norma (M. Clark) © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma / Pollione (G. Oniani), Norma (M. Clark) © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma (M. Clark) und Intendant (R. Silbernagl) © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma (M. Clark) und Intendant (R. Silbernagl) © Thilo Beu

Die Oper Bonn und der jugendliche Regisseur Florian Lutz versuchen einen bizarren wie mutigen Ausbruch aus dieser schwärmerisch verklärten wie versteinerten Norma-Welt in modernes, blutvolles Theater-Leben. Ihre Norma-Handlung geht neue Wege, spielt, ergänzend zu bekannten Produktionen, auf zusätzlichen Ebenen: Ein egomanischer Intendant (Roland Silbernagl), dem ehemaligen Bonner Intendanten Giancarlo del Monaco ähnelnd, treibt diese Bonner Norma-Inszenierung in einer eigenen Sprechrolle mit sarkastischen Einlassungen zu Sängern, opulenter Oper und dreister Sparpolitik. So preist dieser Intendant auf der Bühne bereits vor Beginn der Ouvertüre den "feurigen" Dirigenten Robin Engelen, seine Norma Miriam Clark und sein Ensemble: Norma muß bei noch geschlossenem Vorhang auf Wunsch des Intendanten einige Takte der Casta Diva - Arie singen. Sehr ungewohnt. Auch stellt er während der Vorstellung auf der Bühne Windmaschinen um und unterbricht die Sänger inmitten ihrer Arien. Diese flapsige wie unbekannte Sprechrolle vermischt sich irritierend mit dem gewohnten Belcanto-Fluss der Oper. Arrivierte Norma-Besucher protestieren daraufhin in Bonn lautstark, einige verlassen den Saal. Bedachte Besucher erbitten sich inmitten des Tumults ebenso lautstark Respekt. Roland Silbernagl wiederum verdient höchste Bewunderung, in dieser Aufruhr seine kontroverse Partie des Intendanten gut verständlich und glaubhaft durchgehalten zu haben.

  Irdisch lebendig - wenig hymnische Seligkeit

Theater Bonn / Norma, Norma (M. Clark) und Adalgisa (N. Stefanoff) schminken sich © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma, Norma (M. Clark) und Adalgisa (N. Stefanoff) schminken sich © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma, Gallier bekämpfen die Römer © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma, Gallier bekämpfen die Römer © Thilo Beu

Die Norma Handlung im römisch besetzten Gallien verlegt Florian Lutz in ein Comic-Dorf mit Asterix, Obelix und dem weißbärtigen Druiden Miraculix, welche Hinkelsteine heben, in großen Kesseln Zaubertränke mischen und mit Besen und Harken bewaffnet in glänzenden Uniformen auftretende Römer bekämpfen. Auf der Rundbühne bilden ein kleiner Wald mit Giraffe und Wildschwein wie ein Wohnraum mit Klavier und Schminktisch die bescheidenen Kulissen. Die zentralen Protagonisten Norma, Pollione, Oroveso und Adalgisa wechseln häufig zwischen historischer und moderner Kleidung wie Perücken, Normas Kinder spielen arglos vergnügt auf dem Flügel, Pollione verführt Adalgisa in seichtem Flavio Briatore-Look, der Intendant treibt derweil sein Ensemble mit Mikro zu Höchstleistungen und Norma geht einmal von der Bühne, weil sie, wie sie reklamiert, "nicht andauernd Casta Diva singen" möchte. Dazu kämpfen wiederholt die Asterix-Gallier gegen die Römer: Merkmale einer Inszenierung, welche der herrschenden silbernen Norma-Seligkeit reale wie skurrile Züge entgegen setzten möchte.

Regisseur Lutz ging mit seiner Inszenierung einen schweren Weg und schaffte eine irdische wie einfallsreiche "Norma zum Anfassen". Norma soll nicht allein Esoterikern überlassen bleiben.

Abseits der Regie-Tumulte wurde diese Norma-Premiere im ausverkauften Theater Bonn von Anbeginn zu einem vom Publikum mit großem Beifall belohnten musikalischen Genuss. Dirigent Robin Engelen  dirigierte die Ouvertüre spritzig und geschmeidig, läßt die Melodien lyrisch fließen und folgt den weiten Kantilenen ohne Tempi zu verschleppen. Ein denkbar schwieriges und daher umso gelungeneres Dirigat, muß Engelen doch in der Inszenierung nicht nur mit Partitur, Ensemble und Orchestern "fertig werden", sondern auch mit komplexen Regievorgaben, Windmaschinen und Dampferzeugern. Großes Gespür bewies Engelen in der Abstimmung von Orchester, Solisten und dem von Sybille Wagner hervorragend einstudierten, riesigen  Chor und Extrachor des Theater Bonn.

Theater Bonn / Miriam Clark (Norma) bei Premierenfreier, hr G. Oniani (Pollione) © IOCO
Theater Bonn / Miriam Clark (Norma) bei Premierenfreier, hr G. Oniani (Pollione) © IOCO
Theater Bonn / Norma / Treibender Intendant (R. Silbernagl) © Thilo Beu
Theater Bonn / Norma / Treibender Intendant (R. Silbernagl) © Thilo Beu

Norma ist ein von romantischen Klangfarben durchsetzter “Liebeshymnus”, ein schwerer Prüfstein für alle SängerInnen. Die noch junge Miriam Clark gestaltete ihren Koloratur-Parcours der zerrissenen Norma mit ergreifend ausgestalteten Kantilenen, wunderbar getragenen Piani, dazu mimisch wie gestisch mitreißend. Ihr Atem schien unendlich. Die Casta Diva-Arie formte Miriam Clark ohne jedes Zeichen von Überforderung. Mit wohltimbrierten Messa di Voce und glühendem Mezzosopran gab Nadja Stefanoff der Rivalin Adalgisa authentisch Stimme und Persönlichkeit. In ihren unendlich scheinenden Duetten verschmolzen die weich timbrierten Stimmen zu reinstem Belcanto, deren Glanzpunkt die wunderschönen a capella Arien waren. George Oniani spielt den Pollione, ungewohnt, als lässiger Frauenverführer im Habitus des F1-Playboys Flavio Briatore. Sein tenoraler Schmelz gelang kraftvoll, geschmeidig und bruchlos. Wunderbar ergänzt sein Timbre die reinen Frauenstimmen im ersten und zweiten Akt. Auch Ramaz Chikviladze als Orovese, Normas Vater, wird mit wohltönendem und starkem Bass den Belcanto-Ansprüchen des Abends gerecht. Die kleineren Partien dieser Norma-Produktion waren gut besetzt: Tamas Tajanyi verlieh mit gefälligem Tenor dem Flavio Charakter. Auch Daniela Denschlag meisterte ihre Clotilde – Partie sehr gut.

Eine kontroverse, weil ungewöhnliche Norma-Inszenierung fand nach lautstarkem und holprigem Beginn doch noch ein halbwegs versöhnliches Ende. Ungeteilt lautstarker Applaus galt allen SängerInnen, Chor und Orchester, an der Spitze für Miriam Clark, Nadja Stefanoff und George Oniani. Überraschung: Selbst das junge Regieteam um Florian Lutz fand unter den Besucher zum Ende viel Zustimmung: Für eine facettenreiche wie originelle, vom Traditionspfad gewohnter Norma-Produktionen abweichende Inszenierung. Alles nur Ungewohnt? Jungen oder wenig versierten Norma-Besuchern bietet diese lebhaft moderne Produktion progressiv frischen Zugang zum Belcanto, arrivierte Opernfreunde finden in ihr reichlich Diskussionsstoff. So gilt denn seit dem 28.10.2012 im Theater Bonn: Auch Norma kann frisches und lebendiges Musiktheater sein.  IOCO / Viktor Jarosch / 30.10.2012

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