Frankfurt, Oper Frankfurt, Enrico von Manfred Trojahn, IOCO Kritik, 10.02.2018

Frankfurt, Oper Frankfurt, Enrico von Manfred Trojahn, IOCO Kritik, 10.02.2018
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Oper Frankfurt

Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO
Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO

Enrico von Manfred Trojahn

"Narren sind die, die mitmachen"

Dramatische Komödie Manfred Trojahn und Claus H. Henneberg,  nach Enrico IV von Luigi Pirandello

Von Ljerka Oreskovic Herrmann

Obwohl es aus dem „vorigen“ Jahrhundert stammt, ist dieses Stück ein Spiegelbild unserer Zeit. Pirandellos Enrico erlebte 1922, Trojahns Oper 1991 (in Schwetzingen) seine Uraufführung. Und es ist zuvorderst eine wunderbare Geschichte für das Theater, um Maskerade im sprichwörtlichen und übertragenen Sinne, um liebgewonnene Rollen und folgenschwere Aktionen, die keine Erlösung gewähren.

Oper Frankfurt / Enrico - hier Holger Falk als Enrico und Juanita Lascarro als Marchesa Matilda Spina © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Enrico - hier Holger Falk als Enrico und Juanita Lascarro als Marchesa Matilda Spina © Barbara Aumüller

Doch wie kam es dazu? Ein Maskenfest bei Belcredi, Enricos Freund, auf dem Enrico als deutscher Kaiser Heinrich IV. und seine angebetete Matilda als Markgräfin Mathilde von Toskana erscheinen, endet tragikomisch, weil realitätsverlustig. Enrico, der Ver-rückte, der nach einem Sturz vom Pferd glaubt, Heinrich IV. – Italienisch Enrico – zu sein, ist nicht der vom Pfad der Vernunft abgekommene Irre, sondern all die andern, die ihn im Wahn beglaubigen. Sie sind die wahren Narren – in unserer Zeit scheint sich das sogar zu perpetuieren, denn was glauben wir nicht alles, was uns minütlich als „wahre“ Begebenheit präsentiert wird. Ein „Wahn-Sinn“, der dann umso schneller um sich greift, je weniger er plausibel dafür umso spektakulärer wirkt. Das Spektakuläre ist nicht, dass sich der „irrsinnige“ Enrico für die Inkarnation des Salierkönigs aus dem 11. Jahrhundert – berühmt wegen seines Canossa-Gangs – hält, sondern das Unvermögen seiner Umgebung diesen über 20 Jahre sich hinziehenden Spuk zu beenden. Und so spielen sie allesamt „Komödie“, ob im historisierten oder modernen Kostüm; zwei lebensgroße Portraits von Enrico und Matilda, links und rechts auf der Bühne platziert, markieren die Spielfläche und den Handlungsrahmen. Die Verkleidung überdeckt dabei nur mühsam alte Konflikte, und die erhoffte „Heilung“ macht aus der Komödie ein Drama.

Bertoldo, der neue Diener wird eingewiesen, als Gäste eintreffen. Es sind Marchesa Matilda Spina und Barone Tito Belcredi, Carlo di Nolli, ein Arzt und Matildas Tochter. Die Idee ist, Enrico mittels Schocktherapie, sprich Konfrontation mit der Vergangenheit, zu heilen, und dafür kleiden sich alle in historische Kostüme. Frida, die ihrer Mutter Matilda fast aufs Haar gleicht, trägt das Kleid von damals (und auf dem Portrait). Carlo, ein Neffe Enricos und Fridas Verlobter, hat sich als Heinrich IV. kostümiert und beide sollen anstelle der Portraits treten. Derweil tragen Matilda und Frida Probleme aus. Belcredi ist ohnehin skeptisch ob des Gelingens, so dass sich alle vorerst zurückziehen. Das Spiel nimmt eine neue Wendung, weil Enrico (im Jutegewand) seinen Dienern – außer dem treuen Giovanni – gesteht, dass er an dem Wahn festhält, um die anderen zu entlarven. Endlich ist es soweit: Frida und Carlo haben die verabredeten Plätze eingenommen, als Enrico erscheint und Frida, seine vermeintliche Matilda, für sich beansprucht. Belcredi, seine Täuschung durchschauend, stellt sich ihm in den Weg. Enrico zieht die Waffe seines Neffen Carlo und sticht zu, Belcredi stirbt. Enrico rettet sich, um unbehelligt weiterzuleben, nun in die lebenslange „Wahnsinns-Rolle“. Und die anderen? Sie werden ebenso nicht mehr aus der Nummer herauskommen können, das Spiel mit dem Wahn, der Kostümierung und Demaskierung hat sich in tödlichen Ernst gewandelt.

Oper Frankfurt / Enrico - hier Holger Falk als Enrico © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Enrico - hier Holger Falk als Enrico © Barbara Aumüller

Während die Musik antreibt, peitscht, die Schraube weiterdreht, hält die Szene manchmal inne: eine Musik, die auf das finale Ende zu prescht, das Bühnenspiel dagegen wie ein retardierendes Moment für einen Sekundenbruchteil das Geschehen anhält – daraus entsteht ein beeindruckendes Spannungsgefüge, was sich auch auf das Publikum überträgt und die Konzentration förmlich mit Händen zu greifen ist. Tobias Heyders Regie ist dieses Kunststück gelungen, mit der Musik und doch eigenständig von ihr das Spiel um Rollen, Maskeraden und Täuschungen des Lebens darzustellen und bis zum unausweichlichen Ende die Spannung zu halten. Britta Tönnes Bühnenbild verströmt den Hauch der Geschichte ohne jedoch antiquiert zu wirken: Die riesige Rund-Bibliothek im Hintergrund und noch deutlicher die Ahnentafel stellen eine Verbindung zu Heinrich IV. und zur Vorgeschichte her. Verena Polkowskis Kostüme reichen von modern und den mit wenigen Handgriffen und Umhängen durchgeführten Wechsel hin zur historischen Anmutung. Eniricos Kutte kommt dabei eine doppelte Bedeutung zu, denn sein Träger ist ein „aus der Zeit“ gefallener Mensch: Sie verweist vordergründig auf die lange zurückliegende Historie, vor allem auf den sich in der Kleidung ausdrückenden Irrsinn Enricos. Während Enricos’ Äußeres wahnhafte Züge offenbart, zeugt seine Sprache und sein Gesang vom Gegenteil. Holger Falk ist ein grandioser Enrico, stimmlich und darstellerisch souverän und überzeugend bis in jede Faser seiner Kutte – er dominiert das Geschehen, auch dann wenn er nicht auf der Bühne ist.

Juanita Lascarro gibt eine wunderbar schrille Marchesa Matilda Spina, die ihre Unruhe und das Bedauern über den Verlust ihrer Jugend schwer verbergen kann, und doch auch schöne lyrische Momente hat. Sebastian Geyer zeigt Belcredi, den Dritten im Bunde in dieser Geschichte um Begehrlichkeiten und Zurückweisungen als kühlen und rationalen (besonders im Sprachduktus) Gegenspieler Enricos. Angela Vallone spielt Frida als genervt-trotzige Tochter, die ihrer Mutter ziemlich zusetzt. Theo Lebow zeigt Carlo di Nolli als einen von der Situation etwas überforderten jungen Mann. Dietrich Volle ist der hochtrabende und vermeintlich „alles-im-Griff-habende“ Dottore, Dogus Güney der behutsame und treue Diener Giovanni und nicht zu vergessen sind die hervorragenden vier Diener. Allen voran Peter Marsh (in einer sehr hohen Tenorpartie) als Landolfo, Samuel Levine als Bertoldo, Björn Bürger als Arialdo und Frederic Jost als Ordulfo.

Oper Frankfurt / Enrico - hier v.l. Peter Marsh als Landolfo, Samuel, Levine als Bertoldo, Björn Bürger als Arialdo, Frederic Jost als Ordulfo, Juanita Lascarro als Marchesa Matilda Spina, Holger Falk als Enrico, Dietrich Volle als Dottore © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Enrico - hier v.l. Peter Marsh als Landolfo, Samuel, Levine als Bertoldo, Björn Bürger als Arialdo, Frederic Jost als Ordulfo, Juanita Lascarro als Marchesa Matilda Spina, Holger Falk als Enrico, Dietrich Volle als Dottore © Barbara Aumüller

Diese Diener, die Trojahn in Anlehnung an die vier Gespielen der Zerbinetta in der Ariadne auf Naxos, kreierte und auch Richard Strauss musikalisch zitiert, sind ähnlich wie diese agil und bemüht ihrem Herrn zu Diensten zu sein. Sobald sie aber die alten Gehröcke anziehen, ist es als bleibe die Zeit stehen, sie verharren beinahe wie eine Schutztruppe um Enrico gruppiert. Dieses Spielen verdankt sich der genauen und guten Zusammenarbeit zwischen „Graben“ und Bühne. Graben in Anführungszeichen, weil es im Bockenheimer Depot tatsächlich keinen gibt und sich die Bühne auf Augenhöhe des Dirigenten befindet. Deshalb geht das große Lob an das (verkleinerte) Opernhaus- und Museumsorchester unter der Leitung von Roland Böer, der in Frankfurt kein Unbekannter ist. Wie er mit dem Orchester immer wieder die Stimmung der Protagonisten auf der Bühne aufgreift, vorantreibt, die Einzelstimmen (so z.B. die Trompete) mit den anderen Instrumenten zusammenführt und dennoch nie das Geschehen auf der Bühne aus dem Blick verliert, ist beeindruckend. Trojahns Musik steckt voller Anspielung auf die Werke des 20. Jahrhunderts, der Text von Claus H. Henneberg stellt die eindringliche Frage nach Identität und der Rolle, die jeder im Leben spielt.

Ein großartiger, packender Abend, der mit großem Applaus, auch für den anwesenden Komponisten Manfred Trojahn, belohnt wurde.

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