Hamburg, Laeiszhalle, Telemann-Festival: Miriways, IOCO Kritik,

Hamburg, Laeiszhalle, Telemann-Festival: Miriways, IOCO Kritik,
Hamburg Laeiszhalle / Telemann Festspiele © IOCO
Hamburg Laeiszhalle / Telemann Festival © IOCO

Laeiszhalle Hamburg

Miriways von Georg Philipp Telemann

 Telemann-Festival 11/2017 - Eröffnet mit Festoper Miriways

Von Guido Müller

Komponist Georg Philipp Telemann (1681 - 1767)
Komponist Georg Philipp Telemann (1681 - 1767)

Im Gegensatz zu den heutzutage landauf und landab auch an  Stadttheatern aufgeführten Händel-Opern gibt es außer bei den Magdeburger Telemann-Festtagen leider nur sehr selten die Gelegenheit, eine veritable große Oper von Georg Philipp Telemann an Opernhäusern ungekürzt zu erleben.

In Madgeburg war bereits 2012 Miriways von 1728, die Telemann-Oper mit aktuellen politischen Bezügen eines Krieges zwischen Afghanistan und Persien in einer optisch schönen Inszenierung von Jakob Peters-Messer zu sehen, Messer hat sich gerade in Oldenburg an die Oper Siroe des in Hamburg-Bergedorf  geborenen Johann Adolph Hasse gewagt, dessen Werke noch seltener als die von Telemann auf deutschen Bühnen zu sehen sind. Allerdings wird Hasses Oper Artaserse  zur Eröffnung des Markgräflichen Opernhauses in  Bayreuth im Frühjahr 2018 dort wieder zu sehen sein.

Das Theater  Hildesheim (TfN) macht gerade mit dem Telemannschen Orpheus einen gelungenen Versuch der szenischen Wiederbelebung durch die Spezialistin für barocke szenische  Aufführungspraxis Sigrid T'Hooft.  Die Hamburger Staatsoper schließlich hat für den Juni 2018 die Inszenierung ebenfalls der Oper Miriways angekündigt - allerdings in einer stark zusammen gestrichenen Fassung. Da die Barockopern genau wie die Opern von Mozart und Wagner einer abgestimmten, austarierten und wechselreichen Musikdramaturgie folgen, verstümmeln Kürzungen der Arien, Ensembles und instrumentale Zwischenstücke diese Werke genauso wie bei einer Wagner-Oper oder Bizets Carmen.

So ist es um so erfreulicher, dass die Akademie für Alte Musik Berlin  unter dem kanadischen Dirigenten Bernard Labadie mit einem handverlesenen exquisiten Sängersensemble das Werk Miriways wenigstens konzertant fast ungestrichen aufführt. Jeder Dirigent muss sich zudem seine Aufführungsfassung selbst erstellen. Längst schon gehört ein Telemann-Festival in die Stadt, in der Telemann Jahrzehnte als bedeutendster Musikdirektor an der Gänsemarkt Oper wirkte wie er für offizielle Anlässe der reichen Hansestadt und in den Hauptkirchen tätig war.

Der NDR eröffnete in seiner Reihe NDR Das Alte Werk nun mit diesem Konzert ein Telemann-Festival aus Anlass des 250. Todestages des Komponisten. Dieses auch vom NDR live übertragene Konzert  verdeutlicht, wie Telemanns reicher kompositorischer Fundus immer viele Entdeckungen zu bieten und das angelockte, leider nicht allzu         zahlreiche Publikum mitzureißen vermag. Das Hamburger Publikum muss erst den enormen Reiz der Barockoper noch kennenlernen.

Während die Opern in Italien oder Frankreich und an denen diesen nacheifernden deutschen Höfen von Stuttgart bis Dresden meistens antike oder mythologische Stoffe benutzten, dürstete das Hamburger Publikum nach zeitaktuellen Stoffen und komischen Bestandteilen. Bereits Reinhard Keiser, der mitteldeutsche Vorgänger Telemanns bis     1718 an der Gänsemarkt Oper wusste das geschickt zu bedienen.

Telemann Festival Hamburg / Miriways - Ensemble © Guido Müller
Telemann Festival Hamburg / Miriways - Ensemble © Guido Müller

So macht Miriways ein damals relativ aktuelles Geschehen zum Thema. Telemanns Librettist Johann Samuel Müller baute nach einem kleinen Zeitungsbericht über den afghanischen Stammesführer Mir Wais einen Opernplot von dynastischen Verwirrungen und Herzschmerz. Politischer Ausgangspunkt ist die Eroberung Persiens, die in der historischen Wirklichkeit allerdings seinem Sohn Mir Mahmud gelang. Darum baut sich ein abwechslungsreiches exotisch angehauchtes und entsprechend buntes Kaleidoskop aus Intrigen und Verwechslungen, Staatsräson und moralisierenden Ermahnungen, Liebesbeziehungen und einem Familien-Happy-End auf. Die wahre Liebe siegt am Ende mit viel Witz, Humor und Ironie schon im Geiste der Empfindsamkeit einer neuen Zeit gegen die Liebe aus Pflicht in der Ständegesellschaft des Ancien Regime.

In bester Laune bot uns die Akademie für Alte Musik unter ihrem Dirigenten Bernard Labadie mit den neun Solisten ein Feuerwerk an instrumentalen Finessen, exotischen Harmonien und sensationeller Spiellaune, die alle gegenseitig anfeuerte. Fast alle Instrumentalisten, darunter so bedeutende Solisten wie die Oboistin Xenia Löffler und der Flötist Bernhard Huntgeburth haben prominente solistische Aufgaben, in denen sie sich virtuos mit den Sängern messen.

Daher ist es besonders bedauerlich, dass die Mitglieder von AKAMUS nicht namentlich im Programm aufgeführt werden. Besondere  Herausforderungen haben beispielsweise die schon in der Ouvertüre  stark geforderten zwei Hornisten auf ihren Naturhörnern bravourös zu  meistern. Außerdem finden sich noch je zwei Fagotte und Oboen und         eine Flöte neben den Streichern im Orchester, das von dem vorzüglichen Konzertmeister Bernhard Forck angeführt wird, der auch das Händel Festspielorchester in Halle (Saale) leitet,

Hamburg Laieszhalle / Telemann Festival - Bernard Labadie © Daniel Dittus
Hamburg Laieszhalle / Telemann Festival - Bernard Labadie © Daniel Dittus

AKAMUS zeichnet einen satten, warmen, aber nie dickflüssig-ruppigen  sondern eher durchgängig eleganten und stets präzisen Ton aus. Schwungvolle Opulenz und dynamische Detailfreude, flinke und immer die emotional richtigen Tempi, die für Telemann typische Lautmalerei und melodischer Witz ebenso wie affektgeladene tiefe Gefühle vermittelt das Orchester in historischer Aufführungspraxis auf ideale und  mustergültige Weise. Dazu geben dem Spitzenensemble zudem zusätzlich Gelegenheit einige Zwischenmusiken und festliche Märsche, von denen einer stark an den späteren Trauermarsch aus Georg Friedrich Händels Oratorium Saul  erinnert

Der kanadische Dirigent Bernard Labadie hatte sichtlich mit AKAMUS  und mit seinen Gesangssolisten großen Spaß an der Umsetzung. Das reicht dann bis ins abwechslungsreiche Schlagwerk, in dem auch schon mal Kastagnetten oder eine leer getrunkene Weinflasche bei einer der für Telemann mit Augenzwinkern typischen Trunkenheitsarien gegen geizige Narren zum Einsatz kommen - Ähnlichkeiten mit Hamburger Pfeffersäcken wären rein zufällig - hier köstlich im Spiel und Gesang           Dominik Köninger in der kleinen Rolle des Scandor. Neben ihm verlieh Paul McNamara dem Gesandten schöne tenorale Würde. Das Continuo begleitete durchgängig äußerst vielfarbig, spritzig und abwechslungsreich.

Maßstabsetzend waren aber nicht nur das Spitzenensemble sondern durchgängig auf allerhöchstem Niveau auch die fast ausnahmslos Telemann erprobten Gesangssolisten. Eine besondere Freude war zu beobachten wie die Kollegen, die gerade nicht im Einsatz waren, an der Seite mit ihren singenden und äußerst ausdrucksstark spielenden           Kollegen mitfieberten, im Geiste sangen und sich im Gelingen freuten.

Nach der festlichen dreiteiligen Ouvertüre im französischen Stil mitvirtuos konzertierenden Naturhörnern hat die ihren edlen Mezzosopran samtig verströmende Marie-Claude Chappius als zurück gelassene fürstliche Gattin Samischa des Heerführers Miriways ihren berührenden großen ersten Auftritt mit einer Schlafarie, die auch als Parodie auf diesen in italienischen Dramma in Musica meist zum Aktschluss üblichen                    Arientypus verstanden werden kann. So verfährt Telemann höchstvirtuos mit den Traditionen der europäischen Oper. Der Französin gelingt wie allen ihren Kollegen eine bewunderswürdige  Deutlichkeit des deutschen Textes, elegante lebendige Artikukation der  Rezitative und vorbildlicher vokaler Diktion. Damit machen sie die Übertitel fast überflüssig. Ebenso gelingen ihr aber auch die schon rokokohaften Neckereien in anderen Arien. Perlmuttgleich schillert ihre  Stimme, duftige Nachtigallentriller entströmen ihrer auch schon mal tief melancholisch angehauchten Stimme.

Ihr Ehemann Miriways wird in atemberaubender stimmlicher und spielerischer Präsenz und Sicherheit vom kurzfristigen Einspringer André Morsch von der Staatsoper Stuttgart dargestellt. Sein Talent für die von Telemann geforderte Stimm- und Darstellungskunst scheint unerschöpflich. Der trotz seiner jungen Jahre bereits besonders als Hugo Wolf und Franz Schubert Liedsänger anerkannte Bariton zeigt nicht nur eine am  Lied geschulte perfekte Stimmtechnik sondern verströmt in allen Lagen  mit seiner kernigen Balsamstimme eine exemplarische Legatokultur. In  seiner großen Arie "Laß mein Sohn dir raten, nimm die Vernunft zum Führer an!", einem Höhepunkt der Kompositionskunst des großen Aufklärers Telemann begleitet ihn Xenia Löffler auf der Oboe und beide  verschmelzen zu einer zutiefst berührenden Wirkung. André Morsch trifft sowohl stilsicher wie komödiantisch den galant-staatsmännischen Ton ebenso wie das heiß Aufbrausende des Vaters oder die metallisch glänzende Wut des Herrschers. Seine Verzierungstechnik ist höchst stilsicher und in perfekter gesanglicher Diktion. Er singt stets offen, äußerst deutlich artikulierend und bewunderungswürdig koloratursicher.

Hamburg Laieszhalle / Telemann Festival_ Ensemble © Daniel Dittus
Hamburg Laieszhalle / Telemann Festival_ Ensemble © Daniel Dittus

Seine verlorene geglaubte Tochter Bemira singt Sophie Kartäuser zärtlich elegant und mit Feinheit und leidenschaftlicher Hingabe. Ihr restlos und schmerzlich verfallen ist der von Robin Johannsen mit der   ihr eigenen stimmlichen Perfektion gesungene Sophi. Verzweifelt als sich chancenlos glaubender Geliebter zieht sie alle Register ihrer                 kristallklaren und perfekt atmenden Stimmkunst gerade in den atemberaubend schwierigen Arien und läuft dann richtig zu Höchstform  auf.

Neben dem hohen aristokratischen Paar darf in der deutschen Barockoper immer ein halb ernstes, halb lustiges Paar nicht fehlen wie die Diener entsprechend der Dreistände-gesellschaft. Dies sind die persische Nisibis der Koloratursopranistin Lydia Teuscher und der Murzah des Baritons Michael Nagy. Wie kostbarste Perlen klingen Lydia Teuschers Koloraturen, höchst virtuos, in fein dynamischer Abstufung und zugleich mit sanften Krallen wie ein Kammerkätzchen. Um sie buhlt Michael Nagy mit allen stimmlichen Schönheiten und Ausdrucksmitteln seines stets tief berührenden, warmen und hellen kräftigen Baritons. Auch die Parodie auf die große italienische Virtuosenarie mit "Dieser Strahl soll"  gelingt ihm perfekt differenziert und mit leuchtendem koloratursicheren Heldenbariton.

Sein von der Mezzosopranistin Anett Fritsch mit herzerfrischendem Spielwitz und größter Präsenz dargestellter persischer Nebenbuhler Zemir hat einige der ausdrucksstärksten Arien der Oper. Anett  Fritsch vermag jede ihrer ausdrucksstarken Arien zu einem smaragdig dunkel  und kräftig leuchtenden Schmuckstück zu gestalten.

Das Spitzenensemble erhält nach über drei Stunden verdienten  anhaltenden Riesenbeifall und zahlreiche Bravorufe des begeisterten Publikums. Wir hoffen auf mehr Telemann-Oper und Opern vom  Gänsemarkt in Hamburg und eine Neuauflage des Telemann-Festivals!

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