Berlin, Komische Oper Berlin, Premiere: Der Jahrmarkt von Sorotschinzi, 02.04.2017

Berlin, Komische Oper Berlin, Premiere: Der Jahrmarkt von Sorotschinzi, 02.04.2017

Komische Oper Berlin

Komische Oper Berlin / Zuschauerraum © Gunnar Geller
Komische Oper Berlin / Zuschauerraum © Gunnar Geller

Der Jahrmarkt von Sorotschinzi von Modest Mussorgski

Premiere: Sonntag, 2. April 2017 | 19 Uhr | Livestream auf theoperaplatform.eu

Die Komische Oper Berlin entdeckt Modest P. Mussorgskis letzte unvollendete Oper wieder: Der Jahrmarkt von Sorotschinzi erzählt im Kern von der kollektiven Angst einer abergläubischen Dorfgemeinschaft, aber auch von Liebe und Lebenslust. Ab April ist das selten gespielte Werk in einer Neuproduktion von Barrie Kosky zu erleben. Der Intendant und Chefregisseur inszeniert den Jahrmarkt als pralles, bisweilen groteskes Volksstück, in dessen Mittelpunkt das ausschweifende Leben und Treiben der verschworenen Dorfgemeinschaft mit all seinen Späßen und Derbheiten steht. Die Ausstattung von Katrin Lea Tag lässt das bunte und genussvolle Jahrmarkttreiben in einem zeitlos-minimalistischen Bühnenraum lebendig werden. Dirigent Henrik Nánási leitet mit dem Jahrmarkt seine letzte Neuproduktion als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin.

Basierend auf einer Erzählung von Nicolai W. Gogol erzählt der Jahrmarkt von Sorotschinzi eine zeitlose Geschichte über Gemeinschaft und Außenseitertum, Aberglauben, kollektive Angst und Manipulation – aber eben auch über die Liebe, die Lust und das Leben. Trinklieder, Tänze, Volksgesänge und ein wilder Hexensabbat: Das Volk als überschäumende Quelle der Energie steht im Mittelpunkt von Mussorgskis temporeicher und in der Sprunghaftigkeit ihrer Handlung überaus eigenwilliger Oper. Vom Komponisten nur in Fragmenten hinterlassen, konnte dieses komisch-groteske Meisterstück erst viele Jahre nach Mussorgskis Tod uraufgeführt werden. Zuletzt war es 1948 in Berlin zu sehen, in der ersten Spielzeit der Komischen Oper unter Walter Felsenstein.

Im Zentrum der Oper steht der Chor: Die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin werden wie schon bei Moses und Aron unterstützt vom Vocalconsort Berlin. Die Solopartien übernehmen die Ensemblemitglieder Mirka Wagner, Jens Larsen, Tom Erik Lie, Carsten Sabrowski und Ivan Turši sowie Agnes Zwierko, Alexander Lewis und Hans Groning als Gast.

Die Premiere wird auf theoperaplatform.eu live gestreamt.


Modest P. Mussorgski:   Der Jahrmarkt von SorotschinziOper in drei Akten [1880/1932], Libretto vom Komponisten nach der Erzählung von Nikolai W. Gogol, nach dem Autograf des Komponisten rekonstruiert von Pawel Lamm, vervollständigt, und instrumentiert von Wissarion J. Schebalin, In russischer Sprache

Stab: Musikalische Leitung: Henrik Nánási, Inszenierung: Barrie Kosky Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag, Dramaturgie: Ulrich Lenz, Chöre: David Cavelius, Licht: Diego Leetz

Besetzung: Tscherewik, ein Bauer: Jens Larsen | Chiwrja, seine Frau: Agnes Zwierko | Parasja,, Tochter des Tscherewik: Mirka Wagner | Gevatter: Tom Erik Lie | Grizko, Bauernbursche: Alexander Lewis | Afanassi Iwanowitsch: Ivan Turši? | Zigeuner: Hans Groning | Tschernobog, Oberteufel: Carsten Sabrowski | Orchester und Chorsolisten der Komischen Oper Berlin sowie Vocalconsort Berlin u.a.

Premiere: Sonntag, 2. April 2017, 19 Uhr (live auf theoperaplatform.eu), Weitere Vorstellungen: 9. / 14. / 22. Apr; 13. Mai / 10. Jun / 16. Jul 2017, Einführungsmatinee: So, 19. Mrz, 12 Uhr (ab 10 Uhr Opernfrühstück)


Zur HandlungDie Geschichte spielt in einem ukrainischen Dorf – Sorotschinzi, dem Geburtsort von Nikolai Gogol. Hier treibt ein Teufel sein Unwesen: Aus der Hölle vertrieben, habe er, so erzählt man sich, aus Langeweile einst das Saufen begonnen und seinen blutroten Kittel beim Schankwirt von Sorotschinzi versetzt, um ihn nach Jahresfrist wieder einzulösen. Der Schankwirt aber verkaufte den Kittel, weswegen der Teufel ihn bis heute sucht und Bewohner und Durchreisende in Sorotschinzi immer wieder aufs Neue in Angst und Schrecken versetzt. So auch den Bauern Tscherewik, dessen Tochter Parasja den Bauernburschen Grizko liebt, ihn aber nicht heiraten darf, weil die streitsüchtige, ihren Mann Tscherewik fortwährend schikanierende Stiefmutter Chiwrja einen einfachen Bauernburschen für eine schlechte Partie hält. Es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet der nicht voll zur Gemeinschaft gehörende Zigeuner ist, der die Ängste der abergläubischen Dorfbewohner geschickt zu nutzen weiß, um den beiden Liebenden zu ihrem Glück zu verhelfen…

Über Werk, Fassung, Komponist und musikalische Aspekte Modest P. Mussorgski (1839-1881), ein wahrhafter Querschläger der russischen Musikszene seiner Zeit, vollendete die wenigsten seiner Werke, hinterließ aber geniale Fragmente, denen oft der finale Feinschliff noch fehlt. Der Jahrmarkt von Sorotschinzi, seine letzte Oper, ist ein extremes Beispiel dafür: Das 1874 begonnene Werk bearbeitete der alkoholkranke Komponist bis fast zu seinem Tod. Gezeichnet von Halluzinationen schaffte er es aber nicht mehr, es zu vollenden. Unter den unterschiedlichen Fassungen, die spätere Komponisten vollendeten, wählte Barrie Kosky die fünfte und letzte Fassung von Pawel Lamm und Wissarion J. Schebalin (1932), da sie den Absichten des Komponisten am nächsten zu kommen scheint und der ungehobelten, kraftvoll-zupackenden Kompositionsweise Mussorgskis Rechnung trägt. Kosky reichert die Fassung zudem mit vier auf Liedern Mussorgskis basierenden A-cappella-Chören für den auf 80 Sängerinnen und Sänger erweiterten Chor an. Walter Felsenstein setzte die Oper 1948 in der ersten Spielzeit der Komischen Oper in der Fassung von Nikolai Tscherepnin auf den Spielplan.

»Ochsen, Säcke, Heu, Zigeuner, Töpfe, Weiber, Lebkuchen, Mützen – alles ist so leuchtend bunt und schwirrt vor den Augen!« – so beschreibt Gogol das aufgeregte Treiben auf dem Jahrmarkt in Sorotschinzi. Und mitten in diesem lärmenden Getümmel spielt Mussorgskis Oper, in der sich Märchenhaftigkeit der russischen Schule mit einer ordentlichen Portion derber Trinklust mischt. Doch der Stoff des Stücks ist tiefgründiger: Im Mittelpunkt der Handlung steht das Volk als Kollektiv – es geht um geteilte Angst, geteilten Aberglauben. Angst wird nicht weniger, wenn man sie teilt – sondern kann sich gar unkontrollierbar vervielfachen. Dies passiert in großen Nationen ebenso wie im kleinen Dorf Sorotschinzi.

Inspiriert durch Gogols Erzählung, schrieb Mussorgski das Libretto zu seiner Oper selbst. Er verknüpfte die Handlung mit Volksliedern, choralartigen Gesängen, wilden Tänzen und Trinkliedern. Der bekannteste Teil der Oper ist dabei die zum Chorstück erweiterte Nacht auf dem kahlen Berge als Traum des Bauernburschen Grizko. Für die Vertonung alter heidnischer Bräuche wählte Mussorgski exzessive Ausbrüche in musikalische Grenzbereiche. Auf einem Fest der entfesselten Sinne ist keine Spur von spießiger Beschaulichkeit oder dumpfer Gemütlichkeit mehr zu spüren: Wo der Teufel tanzt, darf es ruhig schrill und hysterisch zugehen. Als Gegenbild zur täglich geordneten Routine bricht die Nacht des Hexensabbats mit allen Regeln, auch den musikalischen. Das Fehlen von Symmetrie und Form wurde Mussorgski immer wieder zum Vorwurf gemacht. Sein strenger Lehrer Mili Balakirew beispielsweise versah ihm harmonisch kühne Stellen gar mit der Anmerkung »unsinnig«.

Dass Mussorgski den volkstümlichen Ton so gut traf, war wohl kein Zufall. Ihm fehlte in seinem Leben quasi durchgehend der heitere Teil einer exzessiven Feier, nicht aber der destruktive. Obwohl die schon in seinen Zwanzigern beginnende Trunksucht ihm zunehmend das Komponieren erschwerte, schuf er mit seiner höchst eigenwilligen Tonsprache Arbeiten, die zu den wahrhaftigsten Momenten auf der Opernbühne gehören. Seine größten Werke – Boris Godunow und Chowanschtschina – gehören der Gattung »Musikalisches Volksdrama« an und wie beim Jahrmarkt spielt die Gemeinschaft auch hier eine entscheidende Rolle.

Über das Inszenierungsteam

Barrie Kosky ist seit der Spielzeit 2012/13 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. Am Ende seiner ersten Spielzeit wurde die Komische Oper Berlin in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt zum Opernhaus des Jahres gewählt, 2016 wurde er in derselben Umfrage zum Regisseur des Jahres ernannt. 2014 erhielt er den International Opera Award als Regisseur des Jahres, im darauffolgenden Jahr wurde die Komische Oper Berlin mit dem International Opera Award in der Kategorie Ensemble des Jahres ausgezeichnet.

Zu seinen jüngsten Arbeiten an der Komischen Oper Berlin zählen Die Zauberflöte (zusammen mit »1927«), deren Vorstellungen inzwischen weltweit von mehr als 250.000 Zuschauer*innen auf drei Kontinenten besucht wurden, Die Monteverdi- Trilogie, Ball im Savoy, West Side Story, Moses und Aron, Les Contes d’Hoffmann, Jewgeni Onegin sowie seine Inszenierung von Castor et Pollux (Koproduktion mit der English National Opera), die 2012 mit dem Laurence Olivier Award als beste neue Opernproduktion ausgezeichnet wurde. Engagements als Opernregisseur führten Barrie Kosky unter anderem an die Bayerische Staatsoper München (Die schweigsame Frau und Der feurige Engel), zum

Glyndebourne Festival (Saul), an die Oper Frankfurt (Dido and Aeneas/Herzog Blaubarts Burg und Carmen), De Nationale Opera Amsterdam (Armide) sowie ans Opernhaus Zürich (La fancuilla del West und Macbeth). Seine Inszenierungen waren außerdem an der Los Angeles Opera, am Teatro Real Madrid, an der English National Opera in London, an der Wiener Staatsoper, an der Oper Graz, am Theater Basel, am Aalto Theater Essen, an der Staatsoper Hannover, am Deutschen Theater Berlin sowie am Schauspielhaus Frankfurt zu erleben.

Barrie Kosky war 1996 Künstlerischer Leiter des Adelaide Festivals in Australien und inszenierte an der Opera Australia, der Sydney Theatre Company, der Melbourne Theatre Company und bei den internationalen Festivals in Sidney und Melbourne. Von 2001 bis 2005 war er Ko-Intendant des Schauspielhauses Wien. Im Oktober 2016 debütierte er mit großem Erfolg mit Die Nase am Royal Opera House Covent Garden in London. In der Spielzeit 2016/17 inszenierte er an der Komischen Oper Berlin bereits Die Perlen der Cleopatra, nun folgt Der Jahrmarkt von Sorotschinzi. Seine Produktion von Saul für das Glyndebourne Festival eröffnete das Adelaide Festival 2017. Im Juli 2017 debütiert er außerdem mit Die Meistersinger von Nürnberg bei den Bayreuther Festspielen. Zukünftige Pläne umfassen unter anderem erneute Engagements an der Bayerischen Staatsoper, der Oper Frankfurt, der Los Angeles Opera sowie beim Glyndebourne Festival.

Henrik Nánási stammt aus Pécs, Ungarn. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Béla-Bartók-Konservatorium in Budapest und an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Nach ersten Engagements am Stadttheater Klagenfurt und am Theater Augsburg wurde er 2007 Erster Kapellmeister und Stellvertretender Chefdirigent am Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Er hat zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien erhalten, so unter anderem die Würdigung der Bayreuther Richard-Wagner-Stiftung, das Stipendium des Bundesministeriums für Wissenschaft, Verkehr und Kunst sowie die Anerkennung der Dr. Martha Sobotka- Charlotte Janeczek-Stiftung für außerordentliche künstlerische Begabung.

Heute ist Henrik Nánási ein international gefragter Künstler an zahlreichen Opernhäusern. Er leitete Turandot am Royal Opera House Covent Garden in London, La traviata an der Bayerischen Staatsoper und Carmen in der Arena di Verona. Weitere Aufgaben führten ihn an die Hamburgische Staatsoper, an die Oper Frankfurt sowie an die Dresdner Semperoper. Zuletzt gab er sein Debüt am Opernhaus Zürich, am Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia und an der Lyric Opera of Chicago. Er arbeitet mit namhaften internationalen Orchestern zusammen, darunter das Radio-Symphonieorchester Wien, das Bruckner Orchester Linz, die Essener Philharmoniker, das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, das Orchestra del Teatro di San Carlo di Napoli und das Orchestra del Teatro Massimo Palermo.

Seit der Spielzeit 2012/13 ist Henrik Nánási Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin. Dort verantwortete er die musikalische Leitung der Neuproduktionen von Die Zauberflöte, Mazeppa, Così fan tutte, Der feurige Engel, Die schöne Helena, Don Giovanni, Gianni Schicchi/Herzog Blaubarts Burg, Jewgeni Onegin sowie im Sommer 2016 Cendrillon. In der Spielzeit 2016/17 gab er neben seinen Aufgaben an der Komischen Oper Berlin sein Debüt an der Opéra National de Paris mit Mozarts Die Zauberflöte. Darüber hinaus kehrte er mit Rossinis Il barbiere di Siviglia an das Royal Opera House Covent Garden in London zurück. Auf dem Konzertpodium gab Nánási sein Debüt beim Orchestra del Teatro La Fenice di Venezia. Im Mai 2017 kehrt er mit einer Neuproduktion von Massenets Werther an das Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia zurück. Im September 2017 folgt sein Debüt an der San Francisco Oper mit Strauss’ Elektra.

Die Berlinerin Katrin Lea Tag studierte von 1993 bis 1999 Bühnenbild, Malerei und Graphik an der Akademie der bildenden Künste Wien. 1997 gewann sie den 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb für Regie und Bühnengestaltung in Graz. Es folgten mehrfache Assistenzen bei Katrin Brack. Sie entwarf Kostüme für Inszenierungen von Dimiter Gotscheff (darunter Iwanow, eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2006). Seit 2006 arbeitet sie regelmäßig mit Michael Thalheimer (Kostüme u. a. am Deutschen Theater Berlin, am Thalia Theater Hamburg, am Burgtheater Wien, an der Staatsoper Berlin, am Königlich Dramatischen Theater in Stockholm, am Schauspiel Frankfurt), mit Barrie Kosky (Bühne und Kostüme u. a. an der Oper Frankfurt, an der Staatsoper Hannover, an der English National Opera in London, an der Komischen Oper Berlin und an der LA Opera), mit Christiane Pohle (u. a. bei der Ruhrtriennale 2005 und am Akademietheater Wien) und Hans Neuenfels (Ariadne auf Naxos, Staatsoper Berlin) zusammen. An der Komischen Oper Berlin zeichnete sie zuletzt 2015 für die Bühnenbild und Kostüme vonvon Jacques Offenbachs Les Contes d’Hoffmann verantwortlich.

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