Hamburg, Staatsoper Hamburg, Otello von Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 10.01.2017

Hamburg, Staatsoper Hamburg, Otello von Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 10.01.2017
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Staatsoper Hamburg

Staatsoper Hamburg © Kurt Michael Westermann
Staatsoper Hamburg © Kurt Michael Westermann

"Otello wird an sich selbst irre"

 Otello von Giuseppe Verdi in Szene gesetzt von Calixto Bieito

Premiere der Übernahme vom Theater Basel aus der Saison 2014/15 am 8.1.2017

Von Patrik Klein

Eine der letzten Produktionen aus der "guten, alten Zeit" der Hamburgischen Staatsoper verschwindet vom Spielplan und wird ersetzt durch eine moderne, kontrovers aufgenommene, aber auch in einigen Sängerleistungen umjubelte Inszenierung des spanischen "Skandalregisseurs" Calixto Bieito.

Staatsoper Hamburg / Otello - Jago, Rodrigo , Cassio , Chor © Hans Jörg Michel
Staatsoper Hamburg / Otello - Jago, Rodrigo , Cassio , Chor © Hans Jörg Michel

Die überaus erfolgreiche, traditionelle und werktreue Regie von August Everding aus dem Jahr 1975, inzwischen über 130mal im Großen Haus gegeben, mit überwiegend bemerkenswerten musikalischen und gesanglichen Qualitäten, vor allem in den ersten Jahren, als sich im Haus am Dammtor noch die erste Riege der Sängerelite die Klinke in die Hand gab, ist seit dem Abend des 8. Januars 2017 endgültig Vergangenheit. Das mag den einen betrüben und den anderen freuen.

Der Regisseur Adolf Dresen hat hierzu (sinngemäß) formuliert: "Die Werktreue ist für eine Oper ebenso schädlich wie die Werkverwurstung". Der Anspruch der meisten Künstler in der Oper heutzutage ist jedoch, gleichermaßen dem Werk und der heutigen Realität gerecht zu werden. Calixto Bieito gelingt das eindrucksvoll im Haus am Dammtor.

Von Beginn an herrscht eine düstere Atmosphäre auf der Bühne. Der Blick des Zuschauers fällt auf eine mit Stacheldraht versehene Hafenszene. Diese wird durch den auf der Bühne platzierten dominierenden gelben Kran symbolisiert. Hier tobt das Leben, es pulsiert die Wirtschaft und hier wird bis zur Erschöpfung gearbeitet. Statisten und Mitglieder des Chores betreten die Bühne aus dem Off, ihre gefesselten Hände als Symbol ihrer Unfreiheit sind gegen den Himmel hilfesuchend ausgestreckt. Auch der gelbe Kran symbolisiert die Unfreiheit, da an ihm im 3. Akt ein Arbeiter aufgehangen wird.

Hamburg / Staatsoper_Otello_Jago_Rodrigo_Chor © Hans Jörg Michel
Hamburg / Staatsoper_Otello_Jago_Rodrigo_Chor © Hans Jörg Michel

Jetzt erst hebt der italienische Dirigent Paolo Carignani den Taktstock für die berühmte Sturmszene zu Beginn dieses Dramas. In der Trinkszene wenig später wird der Unterschied zwischen arm und reich, frei und unfrei sowie mächtig und wehrlos besonders deutlich. Sektkorken knallen wie bei der Siegerkür der Formel 1. Es erfreut die an den folgenden Intrigen und Machtkämpfen Beteiligten. Der verschüttete Anteil wird von den Machtlosen gierig aufgenommen. Otello ist ein erfolgreicher Aufsteiger, einer von der Seite der Mächtigen. Nachdem Jago die Zweifel gesät hat, ist er ein von Minderwertigkeitsgefühlen geprägter Anführer und Populist, unsicher seiner selbst und damit hochgefährlich. "Eifersucht" ist sein zweiter Name. Durch die Intrigen seiner Widersacher beginnt seine Einsamkeit, die ihn in den Zustand der absoluten Ausweglosigkeit treibt, ihn letztendlich "irre macht".  Weder Desdemona noch die unterwürfig agierende Emilia können das Unheil trotz Treuschwüren und Fürbitten abwenden.

Staatsoper Hamburg / Otello - Desdemona - Emilia © Hans Jörg Michel
Staatsoper Hamburg / Otello - Desdemona - Emilia © Hans Jörg Michel

Die dramaturgisch stärksten Szenen sind im 3. und 4. Akt zu erleben, wenn Otello seine innere Wut nach außen kehrt und dem "unmündigen, unfreien" Volk seine "untreue" Gattin vorführt, die dann vom leicht zu instrumentalisierenden Volk bestehend aus Statisten und Damen aus dem Chor heftig umringt und angepöbelt wird. Auch währendem Otello seine Desdemona auf der mittleren Ebene des Krans erwürgt, sitzt am Bühnenrand eine völlig aufgelöste Emilia, die in ihrer Verzweiflung einen Schal Stück für Stück zerfetzt. Otello ist am Ende getäuscht, hat sich selbst ins Abseits manövriert und wird von der Gesellschaft ausgestoßen. Zum folgerichtigen letzten Schritt, nachdem er Desdemona erdrosselt hat, klettert er auf den Ausleger, der weit ins Publikum ragt, singt sein "Un altro bacio" alleingelassen in den Zuschauerraum und stirbt an einem Herzinfarkt.

Verdi hat mit den Figuren Otello, Jago und Desdemona drei ganz besondere musikdramatische Charaktere entwickelt. Für eine erfolgreiche Aufführung braucht man dazu drei überragende Sängerpersönlichkeiten, einen großartigen Dirigenten mit Feingefühl für die Sänger und einen sicheren Chor. Diese Anforderungen werden am meisten erfüllt vom Titelhelden und vom Chor der Hamburgischen Staatsoper.

Staatsoper Hamburg / Otello - Desdemona, Chor © Hans Jörg Michel
Staatsoper Hamburg / Otello - Desdemona, Chor © Hans Jörg Michel

Der international erfahrene und gefragte Italiener Marco Berti, der in Hamburg sein Debut feiert, gibt den Otello. Erst vor einer Woche springt er ein für den erkrankten Carlos Ventre und muss sich in kürzester Zeit in die Produktion einfinden. Mit vollem körperlichen und musikalischen Einsatz meistert er die anspruchsvolle Partie oft an die stimmlichen Grenzen gehend, manchmal sogar etwas darüber hinaus und verliert damit ein wenig an Linie. In den leisen lyrischen Passagen überzeugt seine klangschöne Tenorstimme besonders. Ihm zur Seite steht die aus St. Petersburg stammende Desdemona von Svetlana Aksenova, die ebenso ihr Debut an der Hamburgischen Staatsoper feiert. In den ersten beiden Akten wirkt sie noch unsicher, stimmlich spröde und für ein Haus dieser Größe etwas unterdimensioniert, kann sich aber in den beiden Schlußakten erheblich steigern und ihrem Gatten durch feine Stimmführung besonders in den leiseren Passagen ebenbürtig erscheinen. Sie bekommt dafür auch entsprechenden Beifall.

Staatsoper Hamburg / Otello - Rodrigo und Cassio, Chor © Hans Jörg Michel
Staatsoper Hamburg / Otello - Rodrigo und Cassio, Chor © Hans Jörg Michel

Als Jago kann man den italienischen Bariton Claudio Sgura erleben. In Hamburg trat er bereits in der vorhergehenden Saison als Jack Rance (La Fanciulla del West) auf. Hier gibt er den prächtig disponierten Bösewicht allerdings etwas zu schmalbandig, an Schwärze in der Stimmfärbung fehlend. Seine große schlanke Statur und Bühnenpräsenz kompensieren diese stimmlichen Abstriche jedoch etwas. Denkt man hier an Jagos aus den vergangenen Jahrzehnten, so wird die gesangliche Kluft zwischen damals und heute im Haus am Dammtor besonders deutlich.

So gewinnt man das Gefühl, die Hamburgische Staatsoper setzt zur Zeit bei Neuproduktionen eher auf teure, spektakuläte Regisseure statt auf sängerisch, musikalischen Hochgenuss.

Solide sind die Leistungen von Markus Nykänen als Cassio (jedoch ist auch seine Stimme für ein Haus dieser Größenordnung zu klein), Alexander Roslavets als Lodovico, das Hamburger Urgestein Peter Galliard als Rodrigo, Bruno Vargas als Montano und vor allem Nadezhda Karyazino als Emilia.

Wieder einmal kann man sich auf den Chor der Hamburgischen Staatsoper verlassen, der seit einigen Jahren von dem aus Berlin (Staatsoper Berlin) kommenden und bei den Bayreuther Festspielen erfahrenen Chorleiter Eberhard Friedrich geleitet wird. Die Inszenierung verlangt ihnen viel Beweglichkeit ab. Dennoch wird präzise eingesetzt und musiziert. Der Italiener Paolo Carignani, der von 1999 bis 2008 Generalmusikdirektor an der Oper Frankfurt war und bereits Erfahrung mit dem Philharmonischem Staatsorchester Hamburg durch Aufführungen von Wagners Parsifal in 2008 hat, konnte die Probenzeit krankheitsbedingt nur angeschlagen gestalten. Das Orchester erklingt stellenweise einfach zu laut und lässt die gewünschte Balance zwischen Graben und Bühne gelegentlich vermissen.

Staatsoper Hamburg / Otello - Ensemble © Patrik Klein
Staatsoper Hamburg / Otello - Ensemble © Patrik Klein

Das Premierenpublikum hat die Aufführung erwartungsgemäß kontrovers aufgenommen. Im fast ausverkauften Haus der Hamburgischen Staatsoper werden die Sänger, der Chor, das Orchester und der Dirigent mit viel Beifall bedacht. Für das Regieteam mit Calixto Bieito, Susanne Gschwender verantwortlich für das Bühnenbild, Ingo Krüger für die Kostüme und Michael Bauer für das Licht, gibt es sowohl Beifall als auch heftige Missfallenskundgebungen.

Otello an der Staatsoper Hamburg: Weitere Aufführungen am 11.1., 14.1., 17.1., 20.1., 25.1. und am 7.2.2017...bei den Aufführungen am 17.1., 20.1., 25.1. und am 7.2.17 singt Carlos Ventre den Otello)

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