Hamburg, Staatsoper Hamburg, Lohengrin von Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.11.2016

Hamburg, Staatsoper Hamburg, Lohengrin von Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.11.2016
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Staatsoper Hamburg

Staatsoper Hamburg © Kurt Michael Westermann
Staatsoper Hamburg © Kurt Michael Westermann

Gepflegte Langeweile aus dem Orchestergraben

Konwitschnys kontroverser Lohengrin begeistert in Hamburg

Wiederaufnahme der Oper Lohengrin von Richard Wagner an der Hamburgischen Staatsoper, besuchte Vorstellung am 24.11.2016

Von Patrik Klein

Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Roberto Sacca, Ann Petersen, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair
Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Roberto Sacca, Ann Petersen, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair

Die Hamburgische Staatsoper war mal "Opernhaus des Jahres", eine Auszeichnung von einer internationalen Opernzeitschrift, über die man sicher unterschiedlicher Meinung sein kann wie über die Tatsache, ob je ein Opernhaus diesen Titel verdient hat oder nicht. Nicht zuletzt lohnt sich der Titel rein aus Werbezwecken gewaltig. Hier erhielt Hamburg den Titel Opernhauses des Jahres wegen der erfolgreichen Zusammenarbeit des Generalmusikdirektors Ingo Metzmachers mit dem streitbaren, aber um Werktreue sehr bemühten Regisseur Peter Konwitschny. Zusammen brachten die beiden genau 10 Produktionen auf die Bühne, die das Opernvolk in Hamburg kräftig aufmischten, begeisterten oder zu Wutausbrüchen und Schlimmerem verleiteten. Wagners Lohengrin zählt dazu.

Staatsoper Hamburg r / Lohengrin - Ann Petersen, Tanja Ariane Baumgartner, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair
Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Ann Petersen, Tanja Ariane Baumgartner, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair

Damals in der Lohengrin Premiere B am 21. Januar 1998 konnte man nicht glauben, dass im Parkett die berühmte Prügelszene aus den Meistersingern von Nürnberg von einigen der hanseatischen Kaufleute als Kontrapunkt zum Lohengrin dargestellt wurde. Ein Buhgewitter durchmischt mit Jubelsalven erschütterte das Haus. Viele Besucher waren nur in der Lage, mit offenem Mund dazusitzen, nicht fähig zu applaudieren, zu jubeln oder gar zu protestieren. Die erste Vorstellung hatte damals auch sprachlos gemacht!!!! Was war geschehen?

Konwitschny verlegte die Handlung und die Ritterwelt von Brabant in ein wilhelminisches Klassenzimmer mit flegelhaften Mädels und Buben in kurzer Hose. Der Kinderstube dieser Bühne wurde damit der Weg bereitet zum militärischen Aufrüsten deutschen Landes. Das Ganze wirkte verspielt, geradezu kindisch und man suchte fast vergeblich nach der Ernsthaftigkeit. Es fehlte an sittlicher Reife bei allen. Der Schwanenritter tauchte aus dem Unterboden auf während Elsa im Schrank versteckt neugierig herauslugte und dem "Lehrer" Lohengrin erwartungsvoll in die Augen schaute. Ob er vielleicht dieses Chaos hier bereinigen kann? Die Schüler kämpften die Intrigen der Handlung mit Holzschwertern. Lohengrin kämpfte dagegen ab dem zweiten Aufzug mit scharfen Waffen.  „Wir haben es hier mit unreifen Menschen zu tun, die große Sehnsucht nach etwas haben, aber nicht wissen, wie sie das leben sollen. Die Jugendlichen erleben die erste Liebe, phantasieren über die Zukunft, und der einzige Erwachsene, Lohengrin, sehnt sich, nachdem er Verantwortung übernommen hat, in die Kindheit zurück. (Peter Konwitschny)

Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Roberto Saccá, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair
Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Roberto Saccá, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Arno Declair

Als sich die Wogen von 1998 langsam glätteten, der ein oder andere Besucher noch einmal kam, um zu schauen, die Kritiken in den Medien im Wesentlichen positiv waren, wurde die Regiearbeit von Peter Konwitschny mit Preisen überhäuft. Nach dieser Saison und dem Intendanzwechsel zu Simone Young verschwand dann alles was nach Konwitschny roch vom Spielplan. Es brauchte bis 2009, dass sich Frau Young besann und die Oper in neuer Besetzung wieder auf den Plan rief. Eine gute Entscheidung. Und heute unter der nächsten Intendanz aus vormals Basel und München steht Lohengrin wieder auf dem Plan mit dem vom Senat eingekauften "Stardirigenten" Kent Nagano am Pult.

Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Wolfgang Koch, Ann Petersen, Tanja Ariane Baumgartner © Arno Declair
Staatsoper Hamburg / Lohengrin - Wolfgang Koch, Ann Petersen, Tanja Ariane Baumgartner © Arno Declair

Unweigerlich denkt man an den Lohengrin in Dresden im Mai diesen Jahres, der zuletzt gehörte und gesehene Lohengrin. Dort mit der eher langweiligen Regie von Christine Mielitz , dafür mit Spitzenstars der Oper und Christian Thielemanns überragendem Dirigat am Pult. Anna Netrebko, Piotr Beczala und Co. machten ein Fest der Stimmen und Klänge daraus. Leider wurde dieses Fest in Hamburg nicht (ganz) erreicht. Kent Nagano ist der neue "Stardirigent" der Hamburgischen Staatsoper. Zumindest wird er hier so verkauft. Es fällt auf, dass er die Konzerte mit den Philharmonikern in der Laeiszhalle und demnächst in der Elbphilharmonie bravourös gestaltet, und dass man manchmal das Gefühl hat, dass ein neues Orchester auf der Bühne steht. Die Stimmung im Orchester ist nach meinen Kenntnissen auch dementsprechend besser gegenüber der Vorgängerin geworden, was man zuletzt unter Simone Young auch im Parkett hören musste.

Bei den Opern ist es insgesamt etwas anders. Es gab die Gelegenheit, Tristan mit Nagano im Mai in Hamburg und kurze Zeit später in Berlin mit Runnicles zu hören und zu vergleichen. In Punkto Sängerfreundlichkeit wurde er durch Herrn Runnicles um Längen geschlagen, auch die Tempi und Dynamik haben in Berlin deutlich besser gefallen. In Hamburg scheint das Orchester der "Star" zu sein und Sängerfreundlichkeit nicht die erste Priorität zu haben. Im Lohengrin heute das Vorspiel extrem getragen, das Tempo fast parsifalähnlich feierlich, und so ging es weiter durch die 3 langen Akte. Das war sicherlich alles musikalisch akademisch richtig, was er da mit dem Orchester machte, aber es ging in keinster Weise nahe, oder sogar unter die Haut...es war irgendwie blutleer. Was hatte Thielemann in Dresden für Klänge gezaubert, das Orchester anschwellen lassen bis zum Orkan oder leise zurückgenommen, dass nur noch ein Hauch hörbar war. Die Lautstärke sängerfreundlich angepasst wo immer möglich. All das fehlte in der besuchten Lohengrin-Vorstellung vollkommen...gepflegte Langeweile erklang aus dem Graben.

Aber es gibt auch Großartiges zu berichten. Insbesondere der Chor der Hamburgischen Staatsoper hat einen großen Anteil an der musikalischen und darstellerischen Qualität des Abends. Singen und agieren bei den zum Teil halsbrecherischen Aktionen auf der Bühne gelingen präzise und stimmschön. Oft wird dem Dirigenten der Rücken gezeigt und dennoch fantastisch gesungen und agiert. Man spürt förmlich, dass es den Akteuren des Chores einen Riesenspaß machte, damals und heute, die Konwitschnyinszenierung zu gestalten. Alle Achtung für die Sängerinnen und Sänger des Chores unter Eberhard Friedrich, die hier heute den tragenden Part des Abends liefern.

Staatsoper Hamburg / Zu Recht bejubelt; der Chor der Hamburgischen Staatsoper © Patrik Klein
Staatsoper Hamburg / Zu Recht bejubelt; der Chor der Hamburgischen Staatsoper © Patrik Klein

Stimmlisch gibt es Gänsehautmomente durch die beiden "Bösewichte" des Abends. Telramund und Ortrud. Fabelhaft Wolfgang Koch als Telramund, der zur Zeit in Hamburg nebenbei noch den Jochanaan in der Salome gibt. Auch diese Rolle kann man derzeit in Hamburg mit Bewunderung genießen. Koch hat das Hamburger Publikum in der Vergangenheit mit Rollen wie Kurwenal, Don Giovanni, Alberich und Harry Joy (Bliss) verwöhnt. Heute Abend in Topform und unter die Haut gehend. Ihm zur Seite steht die nicht minder eindrucksvolle Ortrud der Freiburgerin Tanja Ariane Baumgartner, die die Rolle mit ihrem wunderschönen Mezzo fantastisch ausfüllt. Sie hatte mich im Juni diesen Jahres mit ihrer Brangäne in Berlin bereits "erobert". Höhepunkt der Beginn des zweiten Aktes, als ihre Giftpfeile in Richtung Telramund ihre Wirkung zeigen. Musikalisch diese Szene die aufregendste des Abends.

König Heinrich wird vom soliden, aus Bayern stammenden und in Hamburg fest verwurzelten und mit dieser Rolle bayreutherfahrenen Willi Schwinghammer glanzvoll dargestellt. Der Lohengrin von Roberto Saccà wird von dem international gefragten und sehr erfahrenen Deutsch-Italiener ganz ordentlich gesungen. Im ersten Akt wirkte er noch etwas unsicher, vielleicht nicht gut eingesungen und es schwante Schlimmes für den 3. Akt, aber er fing und steigerte sich im Laufe des Abends beachtlich. Ich hatte ihn etliche Jahre nicht mehr gehört, sein extrem lyrischer Klang existiert auch noch immer, aber das "heldische" Metall hat sich für die dramatischen Stellen besonders im 3. Akt sehr gut entwickelt. Leider hatten Elsa und der Heerrufer irgendwie keinen besonders guten Tag...aber das passiert, leider.

Staatsoper Hamburg / Schlussapplaus Lohengrin, 24.11.2016 © Patrik Klein
Staatsoper Hamburg / Schlussapplaus Lohengrin, 24.11.2016 © Patrik Klein

Insgesamt ein annehmbarer, wenn auch nicht musikalisch fesselnder Genuss. Die großartige Inszenierung von Peter Konwitschny hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Dennoch ist sie immer noch hochaktuell und gedankenanregend. Und die "unreife" Gesellschaft hat sich zumindest im Parkett der Hamburgischen Staatsoper weiterentwickelt und auf Prügelszenen wie in 1998 verzichtet; immerhin. Freundlicher, einhelliger Applaus nach einem fast 5stündigen Wagneropernabend vor leider wieder nicht vollem Haus. Aber das ist ein anderes Thema, zu dem zu späterem Zeitpunkt etwas zu sagen ist.

Staatsoper Hamburg: Der Lohengrin von Richard Wagner, letzte Vorstellung der Spielzeit 2016/17 am 27.11.16.

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