Ulm, Theater Ulm, Werther von Jules Massenet: Modern fordernd, IOCO Kritik, 02.07.2016

Ulm, Theater Ulm, Werther von Jules Massenet: Modern fordernd, IOCO Kritik, 02.07.2016
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Theater Ulm

Theater Ulm / Zuschauerraum © Carola Hoelting
Theater Ulm / Zuschauerraum © Carola Hoelting

Werther von Jules MassenetDie Leiden eines Verliebten - Im heutigen Alltag

Um 1900 war Jules Massenet (1842 – 1912) wegen herlisch lyrischer Melodien und der Spannweite seiner Kompositionen der populärste französische Komponist. Ambroise Thomas (1811 - 1896) und Charles Gounod (1818 - 1893) waren seine frühen Lehrmeister. Massenet verehrte Liszt und Wagner, bevor er sich endgültig dem sentimentalen Lyrismus verschrieb. Massenet komponierte immer mit dem Primat der Melodik in suggestiv sinnlichen Farben; grelles, grobes ist ihm fremd. Manon und Werther wurden so seine populärsten Opern gefolgt von Thais, Don Quichote, Le Cid und Cendrillon.

Johann Wolfgang von Goethe © IOCO
Johann Wolfgang von Goethe © IOCO

So populär die Oper Werther heute sein mag, seine seine Entstehung war mühsam: Massenet hatte bis 1884 (Manon) alle seine Opern in Paris uraufgeführt. 1885, auf einer Deutschland-Reise, lernt Massenet in Wetzlar Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther kennen und verfiel ihm wie viele junge Menschen seiner Zeit. Goethe hatte in seinem Frühwerk (1774) autobiographisches wie erlebtes verarbeitet. Zwar verändert Massenet die Handlung über das Scheitern der Liebe eines Dichters zu einer Frau, welche bestimmt ist einen anderen Mann zu heiraten, um aus dem monoperspektivischen Briefroman ein Opernlibretto zu schaffen. Bei Goethe stirbt Werther allein; bei Massenet findet Charlotte den sterbenden Werther, dessen Seele sich nach seinem Tod mit Charlotte verbinden möchte. So bleibt das Autistische in Goethes Roman, die radikale Vereinzelung auch in der Massenets Oper erhalten, in der Person des Werther.

Ulm / Theater Ulm Werther Ensemble © Jochen Klenk
Ulm / Theater Ulm Werther Ensemble © Jochen Klenk

Die Uraufführung der 1886 vollendeten Oper fand in Paris keine Förderer. Erst 1892 wurde die Oper an der Wiener Hofoper erfolgreich uraufgeführt, mit einem ins Deutsche übersetzten Libretto. Die französische Werther-Fassung gelangte erst 1893, in Paris zur Uraufführung.

Regisseurin Antje Schupp bringt am Theater Ulm den schwärmend romantischen Werther als moderne Alltagsgeschichte auf die Bühne.  Im sparsamen Bühnenbild  zeigt sich unverbogenes heutiges Leben, Luftballons steigen in den Himmel, Hamburger statt Brot wird verteilt, aus Bierdosen getrunken, dazu flotte Jeans, Kapuzen und Shirts tragendes Ensemble (Bühne und Kostüme Mona Hapke). Albert (Kwang-Keun Lee), der Zukünftige von Charlotte, tritt in modernem Geschäftsanzug auf. Werther (Eric Laporte) bricht ein in dies irdische Alltagsambiente im Theater Ulm mit einem Übermaß an Schwärmereien: Zur Ouvertüre schreibt er an einem kleinen Tisch der verehrten Charlotte (I Chiao Shih) lange Liebesbriefe „je vous écris...“, welche auf den Bühnenhintergrund projiziert werden, unförmige Stapel von Liebesbriefen türmen sich bei Charlotte, ein großes Christusbild deutet Liebe mit Opferbereitschaft an, seine Leggins tragende Charlotte hüllt Werther in einen prächtigen aber überzeichnenden Hermelinmantel: Ist Werther krank, out of touch oder nur selbstsüchtig?

 Ulm / Theater Ulm Werther schreibt Charlotte © Jochen Klenk
Ulm / Theater Ulm Werther schreibt Charlotte © Jochen Klenk

Massenets Komposition drückt pures sinnliches Träumen, selbstvergessenes seelisches Verlangen aus. Kein Stoff, der sich gern mit Realitäten paart. Die an den Gefühlen zerrende Musik, von „Pourquoi me réveiller?“ (Warum weckst du mich?) bis zu naiv umrahmendem Kindergesang "Chant de Noel" ist sie komplex komponiert, keine Nummern-Oper. Konkretes wie Träume bildet sich in der Partitur Massenets filigran ab; generell in den Grundformen, farbig in den Nuancen. Hendrik Haas und das Ulmer Philharmonische Orchester im Graben interpretieren diese hoch romantische Komposition ebenso sensibel wie ausdrucksvoll und stehen damit doch immer wieder Gegensatz zu dem Geschehen auf der Bühne, welches den "Geist der heutigen Zeit“   abbildet, mit zeitgenössischen Alltäglichkeiten.  Erwehrt sich in der Ulmer Inszenierung also eine moderne Frau in Leggins nur mühsam den Annäherungen eines sympathischen aber, leider,  übermäßig verliebten Verehrers? Der Gegensatz von suggestiver Musik und Libretto zum oft tapsig-flapsigen Bühnengeschehen fordert die Fantasie des Besuchers und gibt der Inszenierung Antje Schupp im Theater Ulm eigenen Reiz. Der sichtbare Gegensatz der Protagonisten macht diese Inszenierung  modern wie in seiner Deutungsvielfalt anspruchsvoll.

 Ulm / Theater Werther hüllt Charlotte in Hermelin © Jochen Klenk
Ulm / Theater Werther hüllt Charlotte in Hermelin © Jochen Klenk

Das Ensemble überzeugt dabei stimmlich wie mit darstellerischer Freude; dies nicht nur in den großen Partien des aufdringlich verliebten Werther (Eric Laporte) und der selbstbestimmten Charlotte (I Chiao Shih). Ebenso formen Michael Burow-Geier als Le Bailli, Thorsten Sigurdsson als sein Freund Schmidt, und Edith Lorans als Schwester Sophie den Werther im Theater Ulm mit sicheren Stimmen und starker Bühnenpräsenz einen gelungenen Opernabend. IOCO / Viktor Jarosch / 02.07.2016

Werther am Theater Ulm: Die kommenden Vorstellungen 10.7.2016, 17.7.2016:,  Theaterkasse 0731/161-4444 (Theaterkasse),  0731/161-4458 (Abobüro)