Rostock, Volkstheater Rostock, Belcanto: Ermione von Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 07.05.2016

Rostock, Volkstheater Rostock, Belcanto: Ermione von Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 07.05.2016
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Volkstheater Rostock

Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen

Ermione: Belcanto Genuss im Volkstheater

„Für diese Oper braucht man einen guten, zwei sehr gute und einen verrückten Tenor“ – Kein Wunder, dass sie so selten aufgeführt wird.  Ermione in Rostock ist die Fortsetzung des in der vergangenen Saison begonnen Belcanto-Zyklus. Diesmal - nach dem letztjährigen Maometto II – szenisch, und damit eine Deutschland-Premiere. Von Thomas Kunzmann

Rostock / Volkstheater Gulnara Shafigullina als Ermione © Frank Hormann / Nordlicht
Rostock / Volkstheater Gulnara Shafigullina als Ermione © Frank Hormann / Nordlicht

Mutig in einer Stadt, die unter dem Sparknebel der Landesregierung mal Tanz und Oper abschaffen will, dann plötzlich auf „Opernhaus“ setzt und das Schauspiel zu kastrieren beabsichtigt. Das fest engagierte Ensemble ist bereits auf 5½ SängerInnen geschrumpft, der Chor besteht aus 23 Mitgliedern. Die Solisten werden verstärkt durch die in Rostock schon bekannten Gulnara Shafigullina (Don Giovanni, Maometto), Takako Onodera (Cosi, Fledermaus, Butterfly, Nabucco u.v.a.m.) und Daniel Philipp Witte (Titanic, Rössl, Mahagonny). Ashley Catling ist erstmalig am Volkstheater Rostock, Chorsängerin María Teresa Gonzalez springt für die erkrankte Theresa Grabner ein.

 Rostock / Volkstheater Ermione - Ensemble mit Chor © Dorit Gaetjen
Rostock / Volkstheater Ermione - Ensemble mit Chor © Dorit Gaetjen

Die Handlung von Rossinis 1819 entstandener, heute fast vergessener Ermione ist schnell erzählt – und schwer verstanden: Nach dem Fall Trojas befinden sich die Verlierer in der Hand von Pirro, Herrscher von Epirus. Unter ihnen Andromaca, die Witwe Hektors mit ihrem Sohn Astianatte. Oreste als Abgesandter Griechenlands fordert den Tod des trojanischen Tronfolgers Astianatte, um eine spätere Rache zu verhindern.

Oreste liebt Ermione, diese liebt jedoch Pirro, der liebt wiederum Andromaca die bleibt aber dem toten Hektor treu. Der Liebe wegen tut jeder, was er rein politisch-moralisch nicht will und so wird jeder Einzelne zum ambivalenten Volksvertreter, zum Bittsteller und Tyrann – schwankend zwischen Staatsraison und der Suche nach individuellem Glück. Sie treiben gegen den eigenen Willen das Schicksal voran, ohne am Ende mit Liebe belohnt zu werden.

Rostock / Volkstheater Ermione © Dorit Gaetjen
Rostock / Volkstheater Ermione mit Fenicio und Andromaca © Dorit Gaetjen

Gespielt wird auf salonartiger Bühne, vielleicht die Empfangshalle vor dem Thronsaal Pirros, eine Hektor-Büste steht mahnend: für die Einen zum Gedenken, für die Anderen zur Warnung. Vor der Pause fällt es schwer, das Beziehungsgeflecht zu durchschauen. Dem 1819 entstandenen Werk fehlt eine Einführung der Charaktere, die Handlung ist komplex, die Vorgeschichte erschließt sich nur allmählich. Trotz großartiger Arien und Duette ist nachvollziehbar, dass die Oper in ihrer Zeit scheiterte. Heute bietet sie die Möglichkeit, sich vollständig auf die vielschichtige Musik einzulassen. Die Norddeutsche Philharmonie unter dem Dirigat von David Parry spielt die Belcanto-Oper farbenreich und lässt den Sängern genügend Raum, ihre Gefühle wie aufblitzende Wut oder tiefe Sehnsucht in komplexe Koloraturen zu übersetzen. So kommen für einige Momente völlig ungeschützt die Menschen hinter den Figuren zum Vorschein. Gesanglich wie schauspielerisch eine großartige Leistung nahezu aller Beteiligter. Paul Nilon als Pirro, der bereits im konzertanten Maometto II in Rostock überzeugte, avanciert zum Publikumsliebling. Sein kraftvoller und trotzdem filigraner Tenor ist wie gemacht für die Rolle des unbeirrbaren Despoten. Gulnara Shafigullina in der Titelpartie der Ermione singt mit scheinbarer Leichtigkeit mal scharf, mal introvertiert von Hass, Rache und Wahnsinn, dass es einem Schauer über den Rücken treibt. Einziger Ruhepol in der emotionsgeladenen Inszenierung ist sowohl schauspielerisch als auch gesanglich der warme Bass des Hauslehrers Fenicio, Ensemblemitglied Karl Huml.

Rostock / Volkstheater - Ermione © Thomas Häntzschel / Nordlicht
Rostock / Volkstheater - Ermione © Thomas Häntzschel / Nordlicht

Das Rostocker Publikum goutiert das Experiment „unbekannte Oper“ mit langanhaltendem Applaus. Einige sehen das Stück schon zum wiederholten Male. Nicht nur für eingefleischte Rossini-Freunde ist einmal mehr das Musiktheater in Rostock eine dringende Empfehlung. Ich spreche mit zwei Hamburgern, die extra angereist sind: „Wir haben ja Vieles erwartet, aber dass es so gut wird, das nicht!“ Für sie sind es immer öfter die kleineren Bühnen, die die Erwartungen an Inszenierungen und abwechslungsreiche Spielpläne erfüllen. Sie versprechen wiederzukommen und werden Freunde mitbringen.    IOCO / Thomas Kunzmann / 6.5.2016

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