München, Staatstheater am Gärtnerplatz, Candide von Leonard Bernstein, IOCO Kritik, 02.01.2016

München,  Staatstheater am Gärtnerplatz, Candide von Leonard Bernstein, IOCO Kritik, 02.01.2016

Staatstheater am Gärtnerplatz München

Staatstheater am Gärtnerplatz © Bernd Eberle
Staatstheater am Gärtnerplatz © Bernd Eberle

Candide von Leonard Bernstein nach Voltaire

Optimismus trotzt Inquisition, Mord und Folter

Leonard Bernsteins (1918-1990) große Welterfolge fielen ihm nicht über Nacht zu.  Acht Jahre, von 1949 bis 1957, brauchte es, um West Side Story auf die Bühne zu bringen. Eine kurze Zeit im Vergleich zur Entstehungsgeschichte von Candide. 1953 schlug Lillian Hellmann Leonard Bernstein erstmals vor, aus Voltaires 1758 entstandener Satire Candide oder der Optimismus ein Musical zu komponieren. Voltaire geißelt in seinem Roman mit beißend übertriebenem Optimismus, als der besten aller Welten, seine schreckliche reale Welt der Inquisition und anderer Mißstände. Gemeinsam mit John LaTouche und Richard Wilbur komponiert Leonard Bernstein und erstellt ein erstes Libretto.1956 fand die Premiere dieser Candide Urfassung im Martin Beck Theatre in New York statt. Bis 1989 wurden jedoch Libretto und Komposition von Candide beständig überarbeitet, durch Leonard Bernstein und andere. Ein spöttisches Bonmot verlieh deshalb dem Musical den Preis für „die am häufigsten überarbeitete Show der Theatergeschichte“.

Gaertnerplatztheater / Candide-Ensemble © Christian POGO Zach
Gaertnerplatztheater / Candide-Ensemble © Christian POGO Zach

In diesem Musical bekommt der gutmütige Mensch, Candide, aus einem warmen Nest  Westfalens verstoßen, auf 24 Stationen, rund um den Erdball, alle Härten des Lebens zu  spüren, in Cádiz, Lissabon, Paris, Buenos Aires, Eldorado, Venedig und anderen Stätten.  Alle Ereignisse sind darin miteinander verknüpft. Wäre Candide nicht aus Liebe zu eines Barons Töchterlein Cunegonde aus einem Schloss verstoßen worden, wäre er nicht der Inquisition in die Hände gefallen, wäre er nicht.… Eine Katastrophe jagt die andere; Gauner und Schurken haben freies Spiel. In Westfalen, im herrschaftlichen Schloss, wo alles beginnt, wird eine junge Schar Adliger und Candide auf die beste aller Welten vorbereitet. Ihr Lehrer Pangloss, (Alexander Franzen) lehrt dort seine Schüler, fanatischen, radikalen Optimismus zu leben. Die reale Welt jedoch ist böse. Candide, arglos und jung, durchlebt so viele Stationen des Bösen der Welt, doch, wie gelernt, mit unerschütterlichem, festem  Optimismus.

Gaertnerplatztheater / Candide Chor und Ensemble © Thomas Dashuber
Gaertnerplatztheater / Candide Chor und Ensemble © Thomas Dashuber

Regisseur Adam Cooper, 1971, ist international gesuchter Choreograph und in München kein Unbekannter. Für das Gärtnerplatztheater hatte er in 2015 auch die Uraufführung des Musicals Gefährliche Liebschaften choreographiert.  Die Reithalle,  problematische Ausweichspielstädte des Gärtnerplatztheaters für Candide, lässt im traditionellen Sinne keine Bühnenbilder zu. So werden in Candide alle Stationen der Handlung auf 20 gleich großen Bildern, auf Holztafeln gemalt, an den Wänden seitlich der Bühne angebracht, dargestellt. Cooper bringt die rasant wechselnden Schauplätze in atemberaubendem Tempo auf die Bühne.  Chor, Tänzer und Ensemble sind darstellerisch permanent gefordert; wie  das Publikum, welches der schnelllebigen Handlung folgen muß. Sparsame Utensilien kennzeichnen die einzelnen Stationen und Begebenheiten. Alfred Mayerhofer setzt mit den bunten originellen Kostümen optisch gelungene Höhepunkte.

Gaertnerplatztheater / Candide Ensemble © Thomas Dashuber
Gaertnerplatztheater / Candide Ensemble © Thomas Dashuber

Das Orchester ist, leider, hinter einem transparenten Gazevorhang platziert, welcher auf einer Weltkarte die abrupt wechselnden Reiseziel Candides durch einen fliegenden, großen Pfeil anzeigte. Eine hilfreiche Orientierung für die Zuschauer. Marco Comin und das Orchester des Gärtnerplatztheaters haben es in dieser Inszenierung akustisch schwer. Aber sie spielten mit Freude Bernsteins Komposition, waren stets präsent und verwandelten unruhige Rhythmen in packend zündende Klänge.

Gideon Poppe füllt die Titelpartie des immer unschuldig bleibenden Candide wunderbar mit warmem Tenor und jugendlich naiver Freimütigkeit. Getragen wird das Musical  von Alexander Frantzen, welcher in vier großen Partien, als Voltaire, als guter Lehrer Pangloss, als Cacambo und als Martin dem Stück gesanglich wie darstellerisch Charakter und Fluss verleiht. Cunegonde hat das Leben hart gebeutelt, die behütete junge Dame wurde zur Kurtisane: Mitreißend singt und spielt Cornelia Zink die zahlreichen Facetten dieser Entwicklung. Ihre große Koloraturarie „Glitter and be gay“ bestand sie mit Bravour und großem Sonderapplaus. The Old Lady, Dagmar Hellberg, war weiterer amüsanter wie unterhaltsamer Höhepunkt des Abends. Ganz persönliche Erinnerungen seiner jüdisch-polnischer Vergangenheit hat Bernstein damit eingearbeitet. Auch Erwin Belakowitsch sowie Juan Carlos Falcon überzeugen in verschiedenen Rollen.

Der große der Chor des Gärtnerplatztheaters (Felix Meybier) ist zentral für den Erfolg der Inszenierung. Mal als Mönche, mal Soldaten, mal Einwohner Eldorados, mal ...  gab der Chor der Welt des Bösen, in der Mord, Vergewaltigungen, Misshandlungen, Folter wetteifern, stimmlich und darstellerisch mitreißende Klangfarben und Gesicht.

Der perfide Weltenbummel endet versöhnlich in Venedig. Ihres Optimismus´ ein wenig beraubt, doch glücklich in der Liebe, werden sich Candide und Cunegonde dort einig, dass das beste Leben, ihr wahres Glück, im Bestellen des eigenen Gartens liegt.

Das Publikum in der ausverkauften Reithalle feierte die schwierige wie einfallsreiche Candide Inszenierung, Ensemble, Chor und das meist leider im Hintergrund versteckte Orchester mit anhaltendem Beifall.

IOCO / D. Zimmermann / 30.12.2015

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