Plauen, Theater Plauen-Zwickau, Kammeroper Mare Nostrum von Mauricio Kagel, IOCO Kritik, 02.10.2015

Plauen, Theater Plauen-Zwickau, Kammeroper Mare Nostrum von Mauricio Kagel, IOCO Kritik, 02.10.2015
theater_plauen_zwickau.jpg

Theater Plauen Zwickau

Theater Plauen-Zwickau © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
Theater Plauen-Zwickau © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch

Theater Plauen - Mare Nostrum: Kammeroper von Mauricio Kagel

Kolonialgeschichte auf den Kopf gestellt

Vorspann: In Zeiten dumpfen, leider auch oft sächselnden Ressentiments gegen alles, was anders ist, kommt ein verblüffender Denkanstoß gerade recht. Die Kammeroper Mare Nostrum von Mauricio Kagel, innovativ im September 2015 im Theater Plauen vorgestellt, stellt Kolonialgeschichte auf den Kopf und trifft den Nerv unserer Zeit.

Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch

Was für ein intellektueller Spaß! Hier wird das Denken als höchstes Vergnügen der menschlichen Rasse herausgefordert und praktiziert in seiner dialektischen Variante. Oder, um es volkstümlich auszudrücken (und für den Hausgebrauch in allen Lebenslagen zu empfehlen): Die Verhältnisse sich schlicht einmal andersherum vorzustellen und verblüffend festzustellen, was dabei an Erkenntnisgewinn zu erzielen ist. Konkret heißt das bei Kagel, ein Stamm aus Amazonien macht sich auf, die „Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraums“ (Untertitel) in Angriff zu nehmen. Was bedeutet, als dass wir diesmal die ungewaschenen Wilden, die bärtigen Barbaren mit ihren seltsamen Bräuchen sind, die mit Peitsche und Schwert, billigem Tand und faulen Versprechungen bei Laune gehalten und gefügig gemacht werden müssen. Kurzweilig vorgeführt als szenisches Spiel; gesungen von einem Countertenor und einem Bariton, der auch als Sprecher fungiert. Text und Musik: Mauricio Kagel.

Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch

Dieser Name steht für Neue Musik, und mag, bei allen Bemühungen des Theater Plauen, einschließlich der kenntnisreichen Einführungs-matinee, dazu geführt haben, dass die Premiere nicht ausverkauft war. Dabei brachte allein das mehr oder weniger mühelose Dechiffrieren des von Bariton Shin Taniguchi gesprochenen Textes mit seinen Verballhornungen und dem Buchstabenvertauschen erhellende Erkenntnis. Im Kontrast dazu der in höchsten Tönen schwebende Gesang des Countertenors Daniel Lager, der als „Eingeborener“ klagend und jubilierend zu hören ist, bis hin zum orgiastischen Masturbationsgestöhne. Beide Akteure sind ständig in Bewegung, unterstützt von zwei, Spieler genannten, sehr ernsthaften jungen Männern. Das Bühnenbild von Martin Rupprecht (verbunden mit eindrucksvollem Licht) lässt uns das Mittelmeer ahnen und überzeugt mit einer Fülle an dramaturgisch geschickt eingesetzten Requisiten. Die Musik (Musikalische Leitung: Maxim Böckelmann, der auch dirigiert) passt perfekt zum Stück, erfreut in ihrer Klarheit und Strenge. Das kleine Orchester ist hervorragend besetzt: Kerstin Gleitsmann (Piccolo, Altflöte), Dariusz Cieplucha (Englischhorn), Annette Schneider, (Mandoline, Spanische Gitarre), Maria-Anja Hübenthal (Harfe), Nicolaus Köhler (Violoncello) und Mirela-Florina Walla (Schlagzeug), wobei Letzteres nur einen oberflächlichen Eindruck der vielen, von Frau Walla zum Klingen gebrachten „Instrumente“ vermittelt.

 Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch
Theater Plauen / Mare Nostrum © Theaterfotograf Peter Awtukowitsch

Die koloniale Entdeckerfahrt entlang der Länder des Mittelmeerraumes dauert anderthalb Stunde. Strukturiert auch dadurch, dass die beiden Akteure nach jeder Station ein Kleidungsstück fallen lassen. Zu hören sind Texte mit landestypischen Versatzstücken, die – auch dank eines, das Programm ergänzenden Beipackzettels – gut zu entschlüsseln sind, und die Musik tut ein Übriges, um sich geografisch zurechtzufinden. Am Schluss wird der Kolonisierte zum Opfer. Der Kolonialherr zückt das Fernrohr und erkundet neue Ziele. Schaut er gen Norden? Regisseur Jürgen Pöckel riet zur Einführung, das Stück „am besten drei Mal zu besuchen“, dann erst erschließe sich das auf den ersten Blick oft nicht leicht zu Erkennende ganz und erhöhe zudem das Vergnügen. Es wäre schon zu begrüßen, wenn möglichst viele Besucher wenigstens einmal diese amüsante, hintergründige, musikalisch anspruchsvolle und witzige Kammeroper besuchten.     Lutz Behrens / 02.10.2015

Nächste Vorstellungen: 25.10.2015 18 Uhr, 27.11.2015 19.30 Uhr, Kleine Bühne.

---| IOCO Kritik Theater Plauen Zwickau |---