Wuppertal, Historische Stadthalle, Saisonauftakt mit Ludwig van Beethoven, IOCO Kritik, 05.09.2015

Wuppertal, Historische Stadthalle, Saisonauftakt mit Ludwig van Beethoven, IOCO Kritik, 05.09.2015

Wuppertaler Bühnen

Stadthalle Wuppertal © Lars Langemeier
Stadthalle Wuppertal © Lars Langemeier

Wuppertaler Sinfoniker, Chor und Kamioka in Höchstform

5. September 2015 20 Uhr:

In einem der schönsten Konzerthäuser Deutschlands, der spektakulären Historischen Stadthalle Wuppertal. Kein Fremder würde hinter der so brav lautenden Baubeschreibung ein  Konzerthaus vermuten, dessen innere Architektur zu den schönsten Deutschlands zählt. Wegen seiner guten Akustik ist die Stadthalle unter Musikern international sehr beliebt. Zur Blütezeit Wuppertals in 1900 erbaut, bietet es 1500 Plätze und oft außergewöhnliche kulturelle Ereignisse. So auch am 5. September 2015. Allerdings erst nach der offiziellen Eröffnung der Spielzeit 2015/16 durch Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung (1955), in der dieser auch den kommenden Wechsel in der Leitung von Oper und Sinfonieorchesters ansprach. Die Entscheidung zur Nachfolge des scheidenden Toshiyuki Kamioka, so Jung, werde voraussichtlich bis März 2016 fallen.

Doch dann beherrschten Sinfonieorchester Wuppertal und sein Dirigent Toshiyuki Kamioka mit Ludwig van Beethoven das "Konzerthaus" und seine sprachlosen Besucher. Die neun Sinfonien Beethovens, ewig gegenwärtiges Weltkulturerbe, fordert Musikwissenschaftler in aller Welt beständig zu analytischen Herausforderung und Gegenüberstellungen. Die von Intendant Kamioka gewählte Saisoneröffnung 2015/16 mit der 1800 entandenen 1. Sinfonie C-Dur und der 9. Sinfonie d-Moll (1825)  war ebenso aufwendig wie musikalisch anspruchsvoll und begeisternd. Ein gelungener Saisonbeginn, welcher auch Zugereisten wie uns von IOCO mehr Lust auf Wuppertaler Kultur macht.

Bonn / Beethoven-Denkmal © IOCO
Bonn / Beethoven-Denkmal © IOCO

Der Uraufführung der Sinfonie Nr. 1 C-Dur am 2. April 1800  in der Wiener Hofburg  war nur ein mäßiger Erfolg. Doch Beethoven spricht das Wiener Publikum an, indem er die Komposition - noch - an populäre Komponisten wie Haydn und Mozart anlehnt; auch die Jupitersinfonie klingt ein wenig durch. Doch, obwohl nur in einem Jahr komponiert, vieles ist kühn darin, unterschied Beethoven schon damals von großen "Kollegen"; so entwickelt er in dieser Sinfonie die Haupttonart C-dur ungewohnt spät. Und so ist die Sinfonie Nr. 1 C-Dur  kompositorischer Beginn der  Sinfonien des Weltgeistes Ludwig van Beethoven; für Jahrzehnte bleibt sie beliebteste Sinfonie Beethovens. Dies änderte sich mit Beginn des 20. Jh.: Beethoven war in der öffentlichen Wertung zu einem überirdischen Musik-Titan avanciert. Seine 1. Sinfonie wollte einem Weltgeist nicht zu recht passen, sie verlor ihre Popularität.

 Wuppertal Stadthalle © Lars Langemeier
Wuppertal Stadthalle © Lars Langemeier

Die Komposition der 9. Sinfonie dauerte dagegen zehn Jahre. Seit 1815 komponierte Beethoven an Themen, aus welchen letzlich die 9. Sinfonie entstand. Kompositions-anlass war letztendlich ein Auftrag der Londoner Philharmonic Society, welche ihn 1817 bat, zwei Sinfonien zu schreiben. Die Uraufführung der 9. Sinfonie fand nicht in London sondern in Wien statt, der Stadt in der er schon sehr gebrechlich lebte. Die Uraufführung   am 7. Mai 1824 im Kärntnertortheater bietet bis heute Raum für zahllose Anekdoten: . Neben der Neunten wurde noch die Ouvertüre zu Die Weihe des Hauses und Teile der Missa Solemnis aufgeführt. Die musikalische Leitung hatte der Kapellmeister Michael Umlauf. Der inzwischen taube Beethoven trotzdem darauf bestanden, die Neunte selbst zu dirigieren. Auf Programmheften wurde als eine Art Nebendirigent angekündigt mit den Worten. Die Musiker richteten sich allerdings nicht nach Beethoven, welcher neben Dirigent Umlauf wild fuchtelte: Hoch empor streckend, tief zur Erde kauernd... Beethoven war aufgeregt. Doch die Neunte wurde zum Erfolg, das Publikum feierte Beethoven.

Bis heute besitzt Beethovens 9. Sinfonie d-Moll ihren herausragenden Platz auch in der realen Welt: Wiedervereinigungsfeier 1989, Aufführung bei zahllosen Staatsakten, seit 1972 Europahymne, UNESCO Weltkulturerbe: Mit ihrer Ode an die Freude im vierten Satz tönt sie aus zahllosen Handys, bekannt und populär. In dessen Interpretation setzt immer der Dirigent die entscheidenden, oft leider auch gewagte Akzente:

Oper Wuppertal_Intendant Toshiyuki Kamioka © IOCO
Oper Wuppertal_Intendant Toshiyuki Kamioka © IOCO

Toshiyuki Kamioka strukturierte Beethovens Musik transparent und in perfekten Tempi;  von den Wuppertaler Sinfonikern wie dem riesigen Chor bekam er was er forderte, wenn auch gelegentlich eindringlich eingefordert. Die klangliche Balance zwischen Bläsern und Streichern gelang wunderbar, die Gefahr eines Klangbreis mied Kamioka durch große Sensibilität. Die schwierigen Koloraturen der Primgeigen in der Neunten wirkten virtuos sanft, nicht wie exekutierte Fingerübungen. Wunderbar, wie sphrärenhaft sensibel  Kamioka den 3. Satz der Neunten ausklingen und den dramatischen 4. Satz begann. Auch bewahrte Kamioka durch strenge Beachtung der Tempo-Dramaturgie melodische Ausdruckskraft und klassische Interpretation. Die Solisten, Sopranistin Dorothea Brandt, Mezzo Judith Braun, Tenor Marcel Reijans und Bassbariton Olafur Sigurdarson überzeugten in ihren Soli. Großartig, präzise und warm der 150 Sänger unfassende Chor,  welcher stimmlich erstaunlich differenziert und mit prägnant artikulierten Passagen von hoher Eindringlichkeit den Besucher überraschte.

25 Minuten lauter, stehender Beifall war die Bestätigung  für den mitreißend gelungenen Saisonstart in Wuppertal. Vielversprechend besonders für Intendant Kamioka, welcher in seinem letzten Jahr in einer armen Stadt mit radikalen Kostenvorgaben und anderem  kämpfen muss. Wird alles gut, was gut beginnt?  IOCO / Viktor Jarosch / 06.09.2015